Interview

«Etwas kaufen, das ewig hält»

Ökologie steht über allem, was die amerikanische Sportbekleidungsfirma Patagonia tut. Im Gespräch gibt der Gründer Yvon Chouinard Einblick in die spezielle Firmenkultur.

Giorgio V. Müller, Interlaken
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Den ersten geschäftlichen Erfolg hatte der Patagonia-Gründer mit der Herstellung von Kletterhaken. (Bild: PD)

Den ersten geschäftlichen Erfolg hatte der Patagonia-Gründer mit der Herstellung von Kletterhaken. (Bild: PD)

Herr Chouinard, Sie haben Patagonia zu einem Unternehmen gemacht, bei dem umweltfreundliches Produzieren Priorität hat. Trotzdem müssen auch Sie weiterhin toxische Chemikalien einsetzen, um Textilien wasserabweisend zu machen. Wann kommt die saubere Alternative?

Das kann ich nicht beantworten, ich weiss es auch nicht.

Sind diese Chemikalien denn überhaupt ein so grosses Problem wie behauptet?

Patagonia ist die einzige Firma, die seit 1996 ausschliesslich Biobaumwolle verwendet. Mit konventionell angebauter Baumwolle wird viel mehr Schaden an der Umwelt angerichtet als mit wasserabweisenden Beschichtungen; davon spricht aber niemand.

«Je schneller eine Firma wächst, desto schneller stirbt sie auch.»

Trotzdem unternimmt auch Patagonia viel, um eine umweltverträgliche Lösung für die Beschichtung von Sportkleidern zu finden. Unter anderem haben Sie via Ihren Wagniskapitalfonds Tin Shed Ventures viel Geld dafür investiert.

Ja, das stimmt. Unser Ziel ist immer, das beste Produkt zu machen. Bei Kleidern heisst das für uns, etwas herzustellen, das fast ewig hält. Das endlose Konsumieren und Wegwerfen ist das wahre Problem. Wir lassen Modetrends beiseite. Für einen Konsumenten ist es am nachhaltigsten, etwas zu kaufen, das ewig hält. Oder vielleicht zu warten, bis er sich so einen Artikel leisten kann. Das heisst verantwortliches Verhalten.

War Patagonia aus diesen Gründen auch eine der ersten Firmen, die aus gebrauchten PET-Flaschen Faservlies-Pullover fertigten?

Lange standen wir vor dem Dilemma, dass ein aus wiederverwertetem Polyester gefertigter Pullover nie so gut war wie einer aus frischem Polyester. Deshalb muss man warten, bis man die Qualitätsnachteile beseitigt hat. Darum ist es auch noch nicht sinnvoll, eine wasserfeste Jacke umweltfreundlich herzustellen, solange sie nicht wirklich wasserfest ist.

Bei der Wasserfestigkeit muss der Konsument also stets noch zwischen Umweltschutz und Qualität wählen?

Irgendwann wird beides möglich sein. In vielen unserer Produkte verwenden wir nun auch gebrauchte Baumwolle oder Wolle und können trotzdem die gleich hohe Qualität bieten. Aber das hat viel Zeit und Arbeit gebraucht.

. . . und kostet den Konsumenten auch einiges mehr?

Natürlich, weil es auch uns mehr Kosten verursacht. Aber vor allem unsere jungen Kunden schätzen das. Deshalb kaufen sie unsere Produkte. Wir haben ausserordentlich loyale Kunden.

Ihr Wagniskapitalfonds hat vor gut zwei Jahren über 1 Mio. $ in die kleine Schweizer Firma Beyond Surface Technologies investiert. Was bezwecken Sie damit?

Mittlerweile hat unser Fonds in rund 40 Firmen 75 Mio. $ angelegt. Die Erzielung eines Gewinns hatten wir bei keinem Investment im Visier, diese Überlegung liessen wir komplett weg. Der einzige Grund, weshalb wir in diese Firmen investieren, ist die Chance, dass sie einen Beitrag zum Wohlergehen unseres Planeten leisten können. In der Tat haben wir damit aber sogar eine Rendite von 10% erzielt, und es kam auch noch nie zu einem Totalausfall.

«Ich habe vorgesorgt, damit Patagonia nie eine Publikums-
gesellschaft wird.»

Anscheinend lassen Sie den Firmen, in die Sie investieren, alle Freiheiten und reden ihnen nicht drein, stimmt das?

Ja, man muss sie in Ruhe lassen.

Und wenn ein technischer Durchbruch gelingt, wollen Sie ihn offenbar mit der ganzen Branche teilen?

Ja, das tun wir. Das machten wir schon so mit unseren biologisch abbaubaren Neopren-Surfanzügen. Wir luden die anderen Firmen ein, unsere Technologie anzuwenden. Bei der Biobaumwolle haben wir unseren Konkurrenten sogar geholfen, die entsprechenden Anbieter zu finden. Ich bin wirklich nur im Geschäft, um diesen Planeten zu retten. Ich mache es nicht, um eine immer noch grössere Firma zu haben. Und trotzdem sind wir grösser und rentabler geworden, ich glaube, das ist wohl Karma.

Werden Sie denn von den Konkurrenten nicht schamlos ausgenützt?

Die machen uns nachträglich weis, es sei ihre Idee gewesen. (Lacht schallend.) Aber das ist uns egal. Wir sind ein sehr gesundes Unternehmen, haben keine Schulden und wachsen schneller, als wir eigentlich möchten. Was will man mehr?

In Patagonias Unternehmensblog «The Cleanest Line» wird angedeutet, bei den umweltfreundlichen Beschichtungen sei ein Durchbruch noch in diesem Jahr möglich. Stimmt das nach wie vor?

Ich bin nicht mehr so eng im Tagesgeschäft drin. Ich bin ein Unternehmer, ich habe Ideen, lade diese bei meinen Mitarbeitern ab, lasse die Leute daran arbeiten und mache mich dann wieder aus dem Staub. Ich bin kein Mikromanager. Anschliessend an dieses Gespräch fliege ich zurück nach Jackson Hole, Wyoming, zum Fliegenfischen. Bis im November werde ich von dort vielleicht drei, vier Mal im Büro anrufen.

Wie gross ist der strategische Stellenwert der Ökologie bei Patagonia?

Man muss wissen, dass in unserer Firma der Schutz und die Verantwortung für die Umwelt nicht ein gesondertes Thema sind, sondern Bestandteil eines jeden Arbeitsplatzes und jedes unserer Mitarbeiter. Was immer wir tun, hat mit Ökologie zu tun. Mit anderen Firmen kann man das nicht vergleichen.

Operativ haben Sie die Unternehmensleitung schon vor Jahren abgegeben. Und diesen November werden Sie 79. Wie geht es mit Ihrem Unternehmen weiter?

Patagonia gehört einer Stiftung, ich bin nur noch der Gründer einer rechtlich gewinnorientierten, aber gemeinnützigen Gesellschaft, einer sogenannter B-Corp. Meine Kinder werden nichts erben. Ich habe vorgesorgt, dass Patagonia nie eine Publikumsgesellschaft werden kann.

Sie haben gar keine gute Meinung von Publikumsgesellschaften.

Richtig, denn es würde den Tod unserer Firma bedeuten. Aber ich weiss auch, dass alle Dinge einen Anfang und ein Ende haben. Irgendwann wird es auch Patagonia nicht mehr geben. – Das gilt übrigens auch für die USA. Das Land ist unregierbar geworden. Derzeit erleben wir das Ende des amerikanischen Imperiums. Noch nie gab es ein Weltreich, das nicht kollabierte. Und im Geschäftsleben ist es dasselbe: Je schneller eine Firma wächst, desto schneller stirbt sie auch.