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Weltwirtschaftsforum Davos 2017: Dunkelkammer der Weltwirtschaft

Während in den USA Protektionismus hoffähig wird, preist China in Davos die Globalisierung. Von Horst von Buttlar

Von allen Ängsten, die den normalen Deutschen in Bann halten, gehört die Angst vor China – oder freundlicher ausgedrückt: der Respekt – wohl zu den beständigsten. Und so ist es nicht ohne Ironie, dass ausgerechnet einem Chinesen am ersten Tag des Weltwirtschaftsforums in Davos die Rolle des Angstnehmers zufiel. Und nicht irgendeinem Chinesen, sondern Parteichef Xi Jinping – der als erster Staatschefs des Landes in Davos auftrat; Klaus Schwab, Gründer des World Economic Forums (WEF), hatte ihn bereits vor gut einem Jahr eingeladen.

Und Xi nutzte den Auftritt, nutzte die Rede, das Vakuum, das gefühlt die USA derzeit aufbauen, zumal Donald Trump auf dem WEF eine Rolle einnimmt wie Lord Voldemort in Harry Potter: Er macht auch vielen Angst und schwebt bei vielen Podien über allem, ohne dass „sein Name genannt“ wird.

Xi hielt eine beeindruckende Rede, die eine Art Führungsanspruch auf die immer noch globalisierte (aber um die Globalisierung kämpfende) Welt formulierte. Eine Adresse an jene, die noch an Freihandel und Kooperation glauben – und die noch beeindruckender gewesen wäre, wenn man wüsste, dass China diese Spielregeln auch beherzigt. „Wir sind eine Schicksalsgemeinschaft“, sagte Xi. Alle Länder seien voneinander abhängig. „Wir müssen Nein sagen zum Protektionismus.“

Xi zitiert Charles Dickens

Xi zitierte sogar aus Charles Dickens’ „Eine Geschichte aus zwei Städten“: „Es war die beste und die schönste Zeit.“ (Das Zitat geht so weiter: „....ein Jahrhundert der Weisheit und des Unsinns, eine Epoche des Glaubens und des Unglaubens, eine Periode des Lichts und der Finsternis. Es war der Frühling der Hoffnung und der Winter des Verzweifelns.“ Ein legendärer Buchanfang von 1859, der ziemlich gut auf unsere aufgewühlte Zeit des großen Unbehagens passt.

Sogar die zwei Metaphern, die Xi etwas durcheinander warf, passten perfekt: Die Globalisierung sei wie eine Reise auf dem Ozean, mit Sturm und Unwetter. Aber Protektionismus sei, „als ob man sich in eine Dunkelkammer einschließt“. Da sei man zwar geschützt vor Wind und Regen, aber eben auch ohne Luft noch Licht.“ Klingt einleuchtend.

Xi sprach ein Thema an, das sich in diesem Jahr über viele Panels in Davos spannt, es klingt auf den Podien an, kriecht über die Gänge und durch die Lounges: Es gibt eine große Skepsis, wie die Welt denn weiter wachsen soll und dabei die Wohlstandsgewinne für breite Massen produziert wie in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg. Und nicht nur Zuwächse für die Elite, die in eben jenen Gängen und Lounges hockt. Es gibt ein Lager, das gebetsmühlenartig auf die Fakten verweist: auf die stark gesunkene Armut, den Aufstieg einer neuen Mittelklasse in Asien von Hunderten von Millionen. Was den abgehängten Menschen in Ohio, Manchester oder Marseille aber ziemlich wenig interessieren dürfte.

Den Kapitalismus neu denken?

Die größte Sorge über Jobs geht interessanterweise dabei von denen aus, die Jobs haben – nicht den Arbeitslosen, wie Dod Seidmann, Gründer der auf Ethik spezialisierten Beratung LRN auf einem Panel sagte, das „Rethinking Capitalism“ hieß. Und wenn jeder denke, es gebe ein Problem (und ständig darüber liest), dann habe man ja automatisch ein Problem.

Auf diesem Panel saß auch Brasiliens Finanzminister Henrique Meirelles, der von einer Reise in die USA vor einigen Monaten erzählte. Da war er in einem Restaurant und aß einen Hamburger, und mehrere Leute sprachen über Trump und dass sie ihn wählen würden. Sie sagten einhellig: „Schlimmer kann es gar nicht mehr kommen“. Da habe er gedacht: Dann kommt mal mit nach Brasilien, da zeige ich Euch einige Flecken, wo es viel schlimmer ist. Wie schlimm es ist, sei eben auch immer eine Frage der Perspektive – die sich im Westen offenbar etwas verselbständigt hat. Denn heute gehört es ja zum guten Ton, eine Portion Unbehagen zu zeigen.

„Am Ende“, sagte Gita Gopinath, Wirtschaftsprofessorin an der Harvard Unisversity, „ist eben doch alles eine Frage des Wachstums.“ Womit man etwas ratlos wieder bei der Ausgangsfrage war: Wenn es nicht genügend Wachstum gibt, und damit der Wohlstand stagniert oder sinkt – was kann man tun?

Die Antworten wurden in Davos noch nicht gegeben, zumindest keine befriedigenden. Denn Teil des Problems ist es ja auch, dass seit Jahren die Antworten auf diese Wohlstandsfragen immer gleich und vor allem gleich nebulös klingen. Ungleichheit bekämpfen. Wachstum erzeugen. Mehr investieren. Die Menschen mitnehmen. Embrace Technology.

Denn wenn es so einfach wäre, Wachstum zu erzeugen, wie Donald Trump es derzeit trompetet (das BIP wächst allein schon durch seine Präsenz), dann fragt man sich, warum die Menschheit schon nicht längst damit angefangen hat, wieder ordentlich zu boomen.

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