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Editorial Wenn der Regelbruch zur Regel wird

Die EU gibt sich Regeln, die sie dann bricht. Bei den italienischen Krisen-Banken wird es wohl wieder so sein. Von Horst von Buttlar
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Capital-Chefredakteur Horst von Buttlar

Stellen Sie sich unser Finanzsystem wie ein großes Orchester vor. Bei einer Krise verstummt die Musik. Es wird totenstill, keiner spielt. Und die Frage, die sich nach dem Brexit viele wieder stellen, ist: Wird die Musik aufhören zu spielen?

„After the Music Stopped“ heißt ein bekanntes Buch über die Lehman-Krise, geschrieben vom Princeton-Professor Alan S. Blinder, der den Titel in Anspielung auf das legendäre Zitat von Chuck Prince wählte, bis 2007 Chef der Citigroup: „Wenn die Musik aufhört zu spielen, werden die Dinge kompliziert“, hatte Prince in Bezug auf die Liquidität im Finanzsystem gesagt. „Aber solange die Musik spielt, musst du aufstehen und tanzen. Und wir tanzen noch.“

Die Banken retten, schon wieder?

Seit dem Brexit-Votum hat die Musik nicht aufgehört zu spielen, vermutlich wird sie das auch nicht. Denn wir haben seit Lehman unsere Lektion gelernt. Die Musik verändert sich nur. Wir hörten, unmittelbar nach dem 23. Juni, wie in einer italienischen Oper den Sklavenchor südeuropäischer Banken aufziehen, mit großem Crescendo. Wir hören Paukenschläge britischer Immobilienfonds, kreischende Geigen, Dissonanzen, als würde man zu einer Sinfonie von Mozart etwas Schönberg beimischen.

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Wenn Sie dies lesen, sind die Banken Italiens vielleicht schon „gerettet“ worden, vielleicht wird noch verhandelt oder gleich ein supercalifragilisticexpialigetisches Bankenrettungspaket geschnürt, wie David Folkerts-Landau es gefordert hat. 150 Mrd. Euro hat der Chefökonom der Deutschen Bank vorgeschlagen. Für jeden Steuerzahler mag das nach einer wahnsinnigen Forderung klingen – die Banken retten, schon wieder? Mit einer Summe, die der Hälfte des Bundeshaushalts entspricht? Unsere Faust mag sich noch so fest ballen in der Tasche, möglich ist das, vielleicht sogar notwendig.

Das Problem sind dabei weniger diese monströsen Zahlen. Das Problem ist erstens, dass Europa seine Krise nicht überwunden hat, das Brexit-Votum hat uns das wieder spüren lassen. Zweitens droht das wenig Erreichte, die zaghafte Erholung, etwa in Spanien oder Portugal, durch politischen Stillstand oder neue Traumtanzregierungen zerstört zu werden. Und drittens versucht Europa, sich seit vielen Jahren Regeln zu geben – muss aber immer wieder feststellen, dass diese Regeln ungeeignet, unrealistisch oder aus irgendwelchen Gründen unpassend sind. Und es bisweilen sogar größeren Schaden anrichten würde, sie anzuwenden, als sie nicht zu befolgen.

Vertrauen wird zerstört

So war es bei den Maastricht-Kriterien, die so gut wie europäische Folklore sind. So war es bei der „No bail-out“-Regel für Griechenland. Und nun also bei der Abwicklung von Banken nach dem „Bail-in“-Prinzip.

Die Regelbrecher haben ja gute Argumente: Eine Bankenkrise in Italien könnte anstecken, übergreifen, die drittgrößte Wirtschaft der EU gar aus dem Euro treiben. Doch der Eindruck des ewigen Regelbruchs zerstört auch Vertrauen. Und so wirkt unser europäisches Orchester wie ein Spielmannszug, der auf einer dieser endlosen Penrose-Treppen herumirrt. Die Musik spielt noch, aber wir kommen nicht weiter, die Melodie läuft in einer Endlosschleife.

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