Die geringe Chance, zu den Auserwählten zu gehören, tut dem Ansturm auf die «concorsi» keinen Abbruch. (Bild: Giuseppe Aresu)

Die geringe Chance, zu den Auserwählten zu gehören, tut dem Ansturm auf die «concorsi» keinen Abbruch. (Bild: Giuseppe Aresu)

Der Wahnsinn am italienischen Arbeitsmarkt

Tausende von jungen Italienern bewerben sich in diesen Krisenzeiten auf eine Staatsstelle. Die Auswahlverfahren sind bürokratisch und werden oft durch Einsprachen blockiert.

Andrea Spalinger, Rom
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Italiens Zentralbank sucht 30 neue stellvertretende Assistenten, das heisst Mitarbeiter auf der untersten Stufe der internen Hierarchie. Aufgabe dieser Neuangestellten wird es unter anderem sein, Maschinen mit gebrauchten Euro-Scheinen zu füttern, die zu stark abgenutzte, defekte oder gefälschte Noten aussortieren. Eine ziemlich öde Arbeit also. Das jährliche Bruttogehalt liegt bei 28 300 €. Nach Steuern und Abgaben wird es noch etwa die Hälfte sein.

Hochqualifizierte für Hilfsjobs

Laut Verfassung müssen in Italien für alle Stellen im öffentlichen Dienst sogenannte Concorsi pubblici (öffentliche Wettbewerbe) durchgeführt werden. Damit wollte man nach dem Zweiten Weltkrieg sicherstellen, dass Nepotismus und Korruption die Auswahl der Beamten nicht beeinträchtigte und die Chancengleichheit gewährt war. Auch die Banca d'Italia musste die 30 Stellen deshalb ausschreiben und hat nicht weniger als 84 745 Bewerbungen erhalten. Beim letzten Concorso für diese Art von Hilfsjobs 2010 hatte die Bank noch einen Abschluss der obligatorischen Schule (terza media) vorausgesetzt. Dieses Mal wurde eine Matur verlangt. Den Ansturm hat dies nicht gebremst.

Von den knapp 85 000 Bewerbern werden nun bis Ende Juli die 8140 mit den besten Curricula ausgewählt und zur schriftlichen Prüfung geladen. Das heisst im konkreten Fall, nur junge Frauen und Männer, welche die Matur mit der maximalen Punktzahl abgeschlossen und ein fünfjähriges Hochschulstudium absolviert haben, kommen in die zweite Runde. Die Auserwählten werden damit für den Job absolut überqualifiziert sein.

Den Bewerbern wird keine Stelle am Hauptsitz der Bank in der Via Nazionale in Rom garantiert. Sie riskieren, in eine der Filialen in Arezzo, Bergamo, Piacenza oder Foggia geschickt zu werden. Zudem sind auch die Aufstiegschancen bescheiden, kann man sich bei der Bank doch erst fünf Jahre nach Eintritt für eine Stelle auf höherer Stufe bewerben.

Horrende Jugendarbeitslosigkeit

Doch nach einer langen Wirtschaftskrise ist die Lage in Italien dramatisch. Am meisten leidet in dieser Situation die jüngere Generation. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt mit 37% weit über dem europäischen Durchschnitt. Staatsstellen, die Sicherheit und eine Pension bedeuten, sind unter solchen Umständen noch beliebter, als sie in Italien schon bisher waren.

Angesichts des Massenansturms hat sich die Zentralbank bereit erklärt, doppelt so viele Leute einzustellen wie angekündigt. Schriftliche Prüfungen in Recht, Wirtschaft, Mathematik, Statistik und Englisch für 8000 Bewerber scheinen aber selbst bei 60 Stellen ein unverhältnismässiger Aufwand. Und wer die Tests besteht, muss sich dann auch noch mündlichen Prüfungen unterziehen.

Der jüngste Ansturm ist kein Ausnahmefall. Bei Regierungsbehörden, Gerichten, Schulen und Spitälern überall im Land spielen sich ähnliche Szenen ab, wenn Jobs ausgeschrieben werden. Als das Justizministerium kürzlich 800 Amtsschreiber suchte, gingen 308 385 Bewerbungen ein. Bei der Mailänder Poliklinik meldeten sich 8063 Interessenten für 10 Krankenpflegerstellen.

Lähmende Einsprachen

Das Frustrierendste an den Concorsi ist jedoch, dass man sich nicht einmal in Sicherheit wägen kann, wenn man das anspruchsvolle Verfahren überstanden hat. Regelmässig blockieren nämlich übereifrige Verwaltungsgerichte den Prozess, wenn abgewiesene Kandidaten Beschwerde einreichen. Einstellungsverfahren dauern so manchmal Jahre oder werden gar annulliert. Für die 800 Amtsschreiber fand im Messezentrum von Rom ein wahrer Prüfungsmarathon statt. Doch kurz vor dem Ende wurde dieser abgebrochen, weil ein Arbeitsgericht entschieden hatte, dass eine Albanerin zu Unrecht ausgeschlossen worden sei (zu den Prüfungen waren nur italienische Staatsbürger zugelassen, was laut dem Gericht europäischem Recht widersprach).

Auch im Fall der Zentralbank-Assistenten könnten Einsprachen den Prozess blockieren. Gewerkschaftsvertreter haben bereits zum Krieg geblasen, weil Kandidaten, die «nur» eine Matur in der Tasche hätten, ausgeschlossen und damit diskriminiert worden seien. Für eine so grosse Institution wie die Zentralbank seien Prüfungen mit 85 000 Personen kein Problem, behauptet Antonella De Sanctis, eine Vertreterin der Confederazione italiana sindacati lavoratori (Cisl).

Laut Pietro Ichina, Arbeitsrechtler und Senator der Demokratischen Partei, ist die Praxis der Ausschreibungen vollkommen ungeeignet. Die Regeln seien viel zu rigide und zu bürokratisch, sagte er kürzlich in einem Interview mit der Zeitung «Repubblica». Die Massenprüfungen bedeuteten für Bewerber und Behörden zudem einen Aufwand, der in keinem Verhältnis zum Ertrag stehe. Um das Prozedere in vernünftigem Rahmen zu halten, müsste viel stärker gefiltert werden. Auch der ehemalige Verfassungsrichter Sabino Cassese forderte im «Corriere della Sera» dieser Tage eine grundlegende Reform der Regeln für die öffentliche Stellenvergabe.

Eine Studie der Zentralbank kommt zum Schluss, dass trotz dem Aufwand nicht sichergestellt sei, dass die besten Leute eingestellt würden. Die öffentlichen Auswahlverfahren seien veraltet, weil völlig auf das Auswendiglernen von Allgemeinwissen ausgerichtet. Die Fähigkeit, selbständig zu denken und praktische Probleme zu lösen, werde hingegen vernachlässigt.

Die Kosten der Concorsi für die Gesellschaft sind laut der Studie enorm. 2014 hätten sich Bewerber im Schnitt fünf Monate lang vorbereitet. Bei 280 000 Teilnehmern seien damit insgesamt über 1 Mio. Arbeitsmonate investiert worden. Wenn man von einem Durchschnittssalär von 1300 € ausgehe, hätten die Opportunitätskosten für die italienische Wirtschaft damit bei 1,4 Mrd. € gelegen, heisst es.