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Kommentar Brexit - ein Schock für die City

Die britische Finanzindustrie gehört zu den größten Verlierern des Austrittsvotums. Von Von Simon Clark und Anuj Gangahar

Die Reaktion kam schnell: Kaum war die Brexit-Entscheidung klar, sandte der Rat der City of London, jenes Gebiets, in dem nicht nur die St. Pauls-Kathedrale, sondern auch ein Großteil des Finanzdistrikts liegen, eine Botschaft der Beruhigung: Es werde, so die Nachricht, nach dem schockierenden Votum nicht zu einer Massenabwanderung von Finanzinstituten kommen.

Die Führung der City of London Corporation, die das Zentrum der britischen Hauptstadt seit Jahrhunderten verwaltet, hatte sich vor dem Referendum für einen Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union eingesetzt. Sie stand damit in einer Reihe mit den Chefs der großen internationalen Banken und anderer Finanzinstitute, die den Zugang zum gemeinsamen europäischen Markt von über 500 Millionen Bürgern behalten wollten.

"Die City of London ist seit über tausend Jahren ein blühendes Zentrum von Handel und Finanzen, und das wird auch weiter so bleiben", sagte Mark Boleat, politischer Vertreter der Corporation am Freitagmorgen. "Es wird keine massenhafte Abwanderung von Banken und Finanzinstituten aus unserer Quadratmeile geben."

Phase der Unsicherheit

Das Votum rief sogar nicht nur Ablehnung hervor. Einige Investoren in der City frohlockten, die Entscheidung werde die Institute von lästigen EU-Regularien befreien und somit für den weltweiten Wettbewerb stärken. "Was für ein phänomenales Ergebnis. Ich bin hocherfreut", sagte Edmund Truell, der als Private-Equity-Unternehmer in der City reich wurde. Truell diente als Berater für Londons ehemaligen Bürgermeister Boris Johnson, der zu einer Frontfigur der Austrittsfans geworden war.

Allerdings dürfte das Brexit-Votum für die britische Finanzindustrie eine Phase extremer Unsicherheit einläuten. Tausende von Fachkräften aus aller Welt zog es in den vergangenen Jahren in die Londoner Finanzhochburgen City und Canary Wharf. Die Beratungsfirma Z/Yen Group führt London in ihrem Ranking der weltweiten Finanzplätze an erster Stelle noch vor New York. Die Gründe: qualifiziertes Personal im Übermaß, ein günstiges regulatorisches Klims und ein vorteilhaftes Steuersystem.

Die Banken hatten sich daher vor dem Referendum auch mit eingeschaltet. Die US-Institute Goldman Sachs und J.P. Morgan Chase spendeten für die Kampagne zum Verbleib in der EU. J.P. Morgan-Chef James Dimon drohte Anfang des Monats damit, die Bank könnte Jobs aus Großbritannien abziehen und in andere Länder Europas verlagern, wenn es zu einem Brexit käme. Am Freitag hielt sich das Institut dann erst einmal zurück: Man werde, so hieß es, eine starke lokale Präsenz in Großbritannien aufrecht erhalten und "örtliche Kunden bedienen wie wir es seit über 150 Jahren tun".

In den Monaten vor der Abstimmung hatte HSBC-Chef Stuart Gulliver angedeutet, die in London ansässige Bank könnte einige ihrer Jobs im Verkauf und im Handel von Großbritannien an andere Orte verlagern.

Problem für Deutsche Börse

Die Entscheidung gegen die EU könnte sich zudem als Hindernis für die geplante milliardenschwere Fusion zwischen der London Stock Exchange (LSE) und der Deutschen Börse erweisen. Die LSE-Eigner wollen am 4. Juli über den Deal abstimmen, das Angebot für die Aktionäre der Deutschen Börse läuft acht Tage später ab. Beide Handelsplätze ließen am Freitagmorgen verlauten, sie stünden weiterhin zu den vereinbarten Bedingungen für den Deal. Der Zusammenschluss, so die Lesart, sei nie abhängig von dem Ergebnis des Referendums gewesen.

Die Büros der internationalen Finanzinstitute verteilen sich über ganz London. Viele Hedge-Fonds und Private Equity-Firmen sitzen in Mayfair im Westen. Banken wie J.P. Morgan und Morgan Stanley haben ihre Büros in den Hochhäusern von Canary Wharf, die in den alten Hafenanlagen an der Themse im Osten der Stadt stehen. Die Vertreter der City of London Corporation werden von den Angestellten der Unternehmen im unmittelbaren Finanzdistrikt gewählt. Sie betreiben Lobbyarbeit im Auftrag der gesamten in Großbritannien ansässigen Finanzindustrie.

Finanzdienstleistungen bringen einen Beitrag von 66,5 Mrd. Pfund für die britische Staatskasse, was nach Angaben der City of London etwa elf Prozent aller staatlichen Einnahmen entspricht. In der Branche arbeiten demnach 2,1 Millionen Menschen oder 7,2 Prozent aller britischen Angestellten.

"In der City herrscht die Auffassung, dass die Regierung alles tun muss, damit Großbritannien seinen Zugang zum gemeinsamen Markt behält", sagte Boleat. "Alles andere wäre der Industrie für Finanzdienstleistungen nicht dienlich und damit zum Risiko für diese sehr wichtige Branche."

Copyright The Wall Street Journal

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