Dann macht doch mal!

Innovationen Klagen über eine zu schwache Gründerkultur gibt es reichlich. Die Wirtschaft selbst könnte mehr tun, um gute Ideen und Projekte voranzubringen

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Hasta la Smartphonista, baby.
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Foto: Joern Pollex/Getty Images

Immer dann, wenn es um die Zukunftsfragen der Wirtschaft geht, ist das Lieblingsthema der Spitzenpolitiker und Konzernchefs die Innovation. Das gilt besonders in Wahlkampfzeiten. Ob von links, rechts oder mittig – wer staatstragend über die Ordnung der Wirtschaft spricht, erwähnt derzeit wieder das magisch anmutende Signalwort Innovation und alle sich anbietenden Anschlusskompositionen: Man fordert "Innovationsfähigkeit" und "innovationsförderliche" Weichenstellungen. Man beschwört den "Innovationsstandort" Deutschland und hofft auf ein besseres "Innovationsklima". Es fehle noch immer an einer ergiebigen Startup-Kultur, heißt es vor allem von Liberalen und Ultradigitalen; kurz an einer vitalen Gründerszene auch außerhalb der Ballungszentren.

Übers Innovieren in der Wirtschaft zu philosophieren ist das eine. Wirksame Konsequenzen herbeizuführen etwas anderes. Es ist bekannt, dass Innovationen diffus beginnen. Am Anfang ist das große Chaos. Von der Idee zum Produkt ist es mitunter ein langer und steiniger Weg. Zwar werden Förderprogramme der öffentlichen Hand bereitgestellt. Doch es bestehen verschiedene Zugangshürden. Manches Vorhaben wird schon wieder beerdigt, bevor es produktiv in Gang kommen kann. Öffentliche Gelder sind sicherlich ein wichtiges Instrument zur Förderung der Gründerkultur. Allerdings sind die Mittel begrenzt und können nicht zugleich mit dem nötigen Know-how bereitgestellt werden. Warum auch? Schließlich ist die Wirtschaft gefragt, geht es doch um deren ureigenste Interessen. Allerdings scheint es so zu sein, dass der Steuerzahler mit Geldflüssen dort einspringt, wo die Wirtschaft eigenmittel Mittel selbst bisher nicht in genügendem Umfang aufbringen möchte.

Bezahlt wird aus der Portokasse

Hier kommen die Konzerne des Landes ins Spiel. Warum wird nicht längst jede kapitale Aktiengesellschaft mit eigenen Förderprogrammen aktiv? Im angelsächsischen Raum sind diese als "Inkubatoren" weiter verbreitet. Studierende und Absolventen unterschiedlicher Disziplinen entwickeln in solchen betrieblichen Brutkästen ihre Ideen auf Probe. In der bestens geschützten Komfortzone einer klassisch-konservativen deutschen Konzerngesellschaft gibt es unzählige Optionen und Mittel fürs Experimentieren. Und wenn es schief läuft? Kein Problem. Dann können die Unternehmenstanker nur profitieren; eben von jenen Gründern, die möglicherweise sogar mehr Entbehrungen in Kauf genommen und Fleißarbeit aufgebracht haben, als viele eigene Konzernmanager während ihrer Betriebszugehörigkeit. Außerdem hätten die Geförderten als quasi Halb-Außenstehende derweil das Unternehmen von innen kennengelernt und könnten als junge Gestalter oder Experten gleich im Haus verbleiben. Ist soviel Pragmatismus der finanzstarken Großkonzerne mit ihren hervorragenden Ausstattungen an Ressourcen zu viel verlangt? Die Frage ist rhetorisch. Innovationsprojekte bezahlen die großen Player beinahe aus der Portokasse.

Sicherlich gibt es jedoch ein ganz anderes Problem. Zur Machbarkeitsfantasie in der Politik wie in der Wirtschaft gehört die Vorstellung der konsequent geplanten, systematisch "erzeugten" und durchgehend controllten Innovation. Mit der Wirklichkeit des Innovationsgeschäfts haben solche BWL-Ideale freilich nur begrenzt zu tun. Innovationen sind in erster Linie Ergebnisse des wilden Austestens, Verwerfens und Umplanens. Zündende Einfälle entstehen in den kleinen Momenten des großen Zufalls. So kommt es häufig vor, dass Ideen sich im Laufe ihrer Entwicklung hinsichtlich der Zwecksetzung in beträchtlichem Maße verändern. Aus der initialen Idee entsteht eine etwas oder sogar völlig andere. Und nachträglich wird daraus, etwa für die Außendarstellung, ein scheinbar wohlgeformtes Entscheidungsgewebe gestrickt.

Innovieren heißt kopieren

Vor Jahrzehnten fand eine berühmt gewordene Studiengruppe um die US-Managementforscher Michael Cohen, James March und Herbert Simon bei ihrer Untersuchung von Arbeitsabläufen heraus, dass in planerischen und innovatorischen Entscheidungsprozessen nicht einfach Lösungen für Probleme entwickelt, sondern identifizierte Probleme bereits bestehenden Lösungen zugeordnet werden können. Zielsetzungen und Problemstellungen ergeben sich im Diskurs der tüftelnden Akteure, die eigene Präferenzen einbringen und diese sich einander addieren. Wie in einem Papierkorb, so die Forschergruppe, vermengen sich unterschiedliche Schnipsel und Schichten miteinander. Es entstand das so genannte "Mülleimer-Modell". Lösungen, die sich Probleme suchen eine zeitlos faszinierende Beobachtung, die gängigen linearen Entwicklungsmodellen höchst zuwiderläuft.

Im Übrigen sind Innovationen nur in seltensten Fällen jenes scheinbar revolutionäre Neuartige, als das sie gemeinhin bzw. alltagssprachlich (miss-)verstanden werden. Wer innoviert, unternimmt – und häufig müsste man präziser eigentlich sagen: übernimmt – in aller Regel schlicht kreative Rekombinationen bestehender Produkte oder Leistungen. Erstaunlicherweise beschäftigt man sich mit diesem Umstand in den Wirtschaftswissenschaften erst seit ein einigen Jahren vertieft. „Die meisten Gründer imitieren fremde Ideen. Selbst die am stärksten wachsenden und erfolgreichsten Startups adaptieren oder kopieren Geschäftsideen“, erklärt Alexander Nicolai von der Universität Oldenburg, der zur internationalen Verbreitung von Geschäftsmodellen forscht. Darin liegt womöglich ein Defizit gängiger Innovationsförderung: Immerhin ignoriert sie weitgehend die vorherrschende Adaptionslogik. Und das obwohl "First Mover"-Gründer, also die tatsächlichen Erstentwickler von Ideen, zumeist durch erfolgreiche Kopiegründungen wieder vom Markt verdrängt werden. Paradoxerweise sind "echte" Gründer also jene, deren Unternehmen das höchste Sterberisiko aufweisen. Erstaunlich ist das nicht. Die Folgegründer lernen einfach schneller aus den Fehlern der Ersten bzw. beobachten diese gründlich und adaptieren effektiv, wie eine Studie der Universität St. Gallen bestätigt.

Keine weiteren Papierberge

Was schlussendlich als Innovation tatsächlich gilt, hängt immer an Konsumenten, die Angebote des Marktes kaufmotivierend als Innovationen empfinden oder eben nicht. Letztlich entscheiden nicht exklusiv Ingenieure, Manager und Produktentwickler, was Innovation ist. Es geht allein darum, ob relevante Beobachter in der Gesellschaft etwas als neuartig wahrnehmen und als Verbesserung gegenüber dem Bestehenden erleben, wie der Berliner Techniksoziologe Holger Braun-Thürmann pointiert feststellt. Wahrnehmung und Erlebnishaftigkeit sind die alles entscheidenden Entscheidungspunkte innovativen Er- bzw. Anerkennens.

Womöglich fehlen deshalb nirgends die ach so wohlklingenden Super-Innovationsminister; ferner fehlen keine weiteren Papierberge bestehend aus allzu phrasenhaft geschriebenen Strategiekonzepten und Denkschriften, die hochglanzgedruckt auf Innovationsgipfeln und -kongressen mit dem üblichen Macherpathos präsentiert werden. Kein Mensch braucht eine "Digitalisierungsagenda", wäre man im wirtschaftlich erfolgreichsten Land des Kontinents nur ansatzweise fähig, banales schnelles Internet zu gewährleisten. Viel praktischer als alles megainnovative Managementgeklingel sind simple, ernsthaft einladende Förderstrukturen mit niedrigen Hürden und viel Raum für jene vielzitierte „schöpferische Zerstörung“, die der Ökononom Joseph Schumpeter beschrieb.

Die Entscheider der Politik und der Wirtschaft, die mehr Ideen und Engagement fordern, sollten bereit sein, dafür selbst deutlich mehr Mut und Risikoinvestitionen aufzubringen. In der Organisationsforschung ist die Bedeutung des "Slacks" bekannt: Wo Innovationen gedeihen sollen, darf man nicht allzu knapp kalkulieren. Bereitwillig gewährte Überschüsse sollen die Innovatoren nicht zum Ausruhen verleiten, sondern erkenntnisreiche, manchmal vielleicht erfolgskritische, Umwege und Exkurse beim Entwickeln der Ideen erlauben. Auf eine flächendeckende und doch so gut es geht lokal lancierte Förderung kommt es an. Elitär anmutende Innovationsprozesse fallen dagegen ihrer eigenen Logik zum Opfer. Ausgerechnet eine hoch selektive Innovationsförderung für wenige Erkorene läuft Gefahr alles mögliche zu sein, aber eines nicht: freundlich gegenüber Innovationen.

Marcel Schütz ist Organisationsforscher im Kolleg "Kulturen der Partizipation" an der Universität Oldenburg und lehrt u.a. Projekt- und Innovationsmanagement.

Literatur: Braun-Thürmann, H. (2005): Innovation. Bielefeld. / Cohen M. D.; March, J. G.; Olsen, J. P. (1972): A Garbage Can Model of Organizational Choice. In: Administrative Science Quarterly 17, S. 1–25.

Der Beitrag basiert auf einem Forschung-Praxis-Austausch im Rahmen eines Gastaufenthalts an der Wirtschaftsuniversität Wien.
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Marcel Schütz

forscht in Organisationen und experimentiert blogweise mit nicht uninteressanten Angelegenheiten mittlerer Reich- und Tragweite.

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