Morgenkommentar am 27. April 2017

Selten ging es im UN-Sicherheitsrat so dissonant zu wie dieser Tage. Ein inzwischen virales Video aus dem UN-Sicherheitsrat liefert den Maßstab. Da fährt der stellvertretende russische UN-Botschafter Wladimir Safronkow seinem britischen Kollegen Mathew Rycroft während einer Sitzung buchstäblich übers Maul: “Schau mich an. Schau nicht woanders hin. Was schaust Du mich nicht an?” Nicht eben der Ton, den man von Diplomaten gewohnt ist und erwartet.

Safronkow ist nicht der einzige, der die Regeln der Zunft dem Prinzip der kreativen Zerstörung unterwirft. Auch die Außenamts-Sprecherin Maria Sacharowa geht bisweilen scharf und undiplomatisch zur Sache – und macht dabei gut von sich reden. Schlagfertig, scharfsinnig und treffsicher – attraktiver können Haare auf den Zähnen kaum sein.

Der kremlkritische Journalist Andrej Archangelskij erklärt den neuen Habitus der russischen Diplomatie denn auch mehr als Methode als aus Mangel an guter Erziehung. Davon könne bei Safronkow und Sacharowa keine Rede sein. Für ihn dient die rüde Art des ungerecht behandelten Underdogs dem Kampf gegen den verlogenen und arroganten Westen. Den Westen, dessen doppelten Standards man schon in den Neunzigern an den türkischen Badestränden, so Archangelskij, auf die Schliche gekommen sei.

Die Provokation als Fortsetzung des Dialogs mit anderen Mitteln. Wer im Hintergrundrauschen der Filterblasen überhaupt noch Gehör finden will, muss voll aufdrehen. Da sind die Russen nach sieben Jahrzehnten verordneten Proletenstolzes gar nicht so schlecht aufgestellt. Leitbild Raufbold. Die Messlatte für die russische UN-Mannschaft hat KPdSU-Generalsekretär Nikita Chruschtschow vorgelegt, der 1960 vor der UN-Vollversammlung das Rednerpult mit seinem Schuh traktierte. Ein Auftritt, für den man ihm in Russland noch heute nachsieht, dass er die Krim an die Ukraine verschenkt hat.