Morgenkommentar am 28. April 2017

Teil des Problems oder Teil der Lösung, das ist hier die Frage. Jedenfalls mit Blick auf den Tschetschenenführer Ramsan Kadyrow, der in jüngster Zeit wieder ungut von sich reden macht. Vor ein paar Wochen rollte eine Anti-Schwulen-Kampagne durch sein islamisches Reich im Nordkaukasus, die Zahl der Zusammenstöße mit Aufständischen und Extremisten wächst, und obendrein geriet Kadyrow mit der mächtigen staatlichen Ölgesellschaft Rosneft ins Gehege.

Loyal und treu steht der russische Präsident zu seinem mit Abstand schillerndsten Gebietschef. Doch es ist unübersehbar, dass Wladimir Putin ausgerechnet an den beiden Figuren, denen er am nachhaltigsten die Stange hält, weniger und weniger Freude hat: Kadyrow und Premierminister Dmitri Medwedjew.

Dass viele in der russischen Elite dem Tschetschenen die Verantwortung für den Mord an dem liberalen Oppositionellen Boris Nemzow im Februar 2015 zuschreiben, ist bekannt. Schon nach der Ermordung der Journalistin Anna Politowskaja an Putins 54. Geburtstag 2006 war eine Tschetschenien-Connection ans Tageslicht gefördert worden, deren Hintermänner bis heute im Dunkeln sind. Nach dem Bombenattentat am 3. April in der St. Petersburger Untergrundbahn meldete die Financial Times, auch in diesem Fall existiere eine tschetschenische Spur.

Vor wenigen Tagen war der Tschetschene zu einem der seltenen Vier-Augen-Gespräche mit seinem Präsidenten im Kreml. Auch wenn das Treffen als Zeichen der Unterstützung für den kaukasischen Satrapen aufgenommen wurde, enthielt der kurze – stets sorgfältig redigierte – TV-Ausschnitt doch einen Hinweis auf Meinungsverschiedenheiten jedenfalls zum Thema Innere Sicherheit.

Weniger als 11 Monate vor den Präsidentschaftswahlen hält der Kreml eine Wette gegen die Zeit. Stabilität und Wachstum – “die Krise ist hinter uns” – sind die beiden Trümpfe. Männer wie Kadyrow oder der Korruptionsjäger Alexej Nawalny sind die unberechenbaren Wild Cards in dem Spiel. Mit Druck und Farbbeutelattacken – im Fall Nawalny jetzt schon die zweite – versucht man, ihrer Wirkung Grenzen zu setzen. Die unerwartet hohe Beteiligung an den landesweiten Demonstrationen Ende März hat gezeigt, wie schwierig das Spiel zu kontrollieren ist. Der Nachwuchs, den wir bisher nur hinter Smartphones kennen, könnte die dritte Wild Card sein.