Bei einer Sintflut muss man Schiffe bauen, nicht Deiche – Interview mit Gunter Dueck zur Digitalisierung

Foto: Gabriel Vissoto

„Bei einer Sintflut muss man Schiffe bauen, nicht Deiche“

Interview mit Gunter Dueck zur Digitalisierung

Herr Dueck, welche Hoffnungen verbinden Sie mit der Digitalisierung?

Ich verbinde sie nicht mit Hoffnungen. Die Welt verändert sich, und wir sollten bemüht sein, das Beste daraus zu machen. Wir sollten also beherzt handeln. Von Deutschland wird aber durchweg gesagt, dass es hinterherhinkt – wahrscheinlich, weil sich mit der Digitalisierung zu wenige Hoffnungen verbinden. Man will nur dann losgehen, wenn es für alle besser wird. An diesen Punkt kommen wir bald, nämlich wenn es uns wegen Hinterherhinkens schlecht geht. Dann ist die Hoffnung des Aufholens für alle besser. Und dann gehen wir schon, weil wir irgendwie nicht Hoffnungen in Taten umsetzen, sondern laufen, wenn man uns von hinten tritt.

Was erachten Sie als die größte Bedrohung durch die Digitalisierung?

Gunter Dueck
Gunter Dueck lebt als freier Schriftsteller, Philosoph, Business Angel und Speaker bei Heidelberg. Nach einer Karriere als Mathematikprofessor arbeite er fast 25 Jahre bei der IBM, zuletzt bei seinem Wechsel in den Unruhestand als Chief Technology Officer. Er ist für humorvoll-satirisch-kritisch-unverblümte Reden und Bücher bekannt, zuletzt „Das Neue und seine Feinde“ und „Schwarmdumm“. Mehr auf seiner Homepage www.omnisophie.com
Sehen Sie? Gleich kommt wieder diese deutsche Frage oder die Problemstellung der German Angst. Warum fragen Sie nicht, was getan werden muss? Das sage ich schon seit vielen Jahren – unwidersprochen übrigens: Wir müssen alle (!) bildungsmäßig besser sein als der Computer, weil die Routinearbeit wegfällt. Diesen Fakt sehen nun viele als Bedrohung, aber nicht als Handlungsaufforderung. Die Bedrohung liegt also nicht in der Digitalisierung an sich, sondern an unserer Aktionsunwilligkeit mitten im Wandel. Bei einer Sintflut muss man Schiffe bauen, nicht Deiche. Deichbauer agieren wie Bedrohte und handeln aus dieser Sicht ganz falsch. Der Blick auf das Problem ist manchmal entscheidend.

Big Data, Blockchain, KI und Co. geben keine Antwort darauf, wie wir in Zukunft leben wollen. Gesellschaftliche Utopien sind im Vergleich zu Technikutopien gerade Mangelware. Wie möchten Sie im technikgeprägten Zeitalter leben?

Die Digitalisierung verändert unser Leben ja nicht so sehr. Statt der Kasse an der Bank habe ich den Automaten, statt 100 TV-Programmen eben Stream. Das Grillen und Feiern bleibt doch gleich, aber die Leistungserbringung ändert sich stark, eben durch die genannten Technologien. Es findet mehr ein Umbau der Arbeitswelt statt. Gesellschaftliche Utopien sind Mangelware, weil die Geisteswissenschaftler oder Intellektuellen sich internetphob totstellen und sich nur ab und zu für Bedrohungsjammerklagen rauswagen. Zu meiner Bildungsgretchenfrage: Die Intellektuellen haben sich immer an der Aufklärung ergötzt. Ja, Enlightenment für alle! Wissen für alle! Nun brauchen wir als positive Utopie aber viel weitergehender „Empowerment für alle“ und die Möglichkeit zu Self-Empowerment für alle! Das kann man doch sogar als Bibelleser gut finden? Die Intellektuellen wollen aber irgendwie immer nur, dass der utopische Mensch alles DARF, nun aber MUSS er Bildung haben. Wahrscheinlich behagt ihnen diese Pflicht nicht, spekuliere ich.

Eduard Käser schreibt in agora42: „Einst hatten wir Probleme und erfanden Geräte zu ihrer Lösung. Heute haben wir Geräte und erfinden zu ihnen passende Probleme.“ – Haben wir nicht schon alles erfunden, was wir brauchen? Warum erfinden wir laufend neue Geräte und Technologien?

Diese Frage wird immer gestellt. Stellen Sie sich die Frage vor zehn Jahren vor. Da hätten wir sagen können: Wir haben doch alles. Heute sagen wir: Ohne Smartphone ist das Leben gar nicht mehr so schön. Und in fünfzehn Jahren sagen wir: Selbstfahrautos sind toll, gerade für die alternde Gesellschaft. Mit 90 noch zu den Enkeln gebracht werden! Ich will sagen: Das, was wir schon neu bekommen und in unser Leben integriert haben, wollen wir nicht mehr hergeben, aber das, was gerade neu erfunden wird, sehen wir als Unsinn oder Bedrohung. Dieser Mangel an Phantasie und Wandelunlust lässt sich als Philosophie verkaufen, weil man natürlich kritisieren kann, dass heute im Silicon Valley nur um des Milliardenmachens willen erfunden wird. Das ist eben so im Umbruch, viele suchen ihre Chance mitten in der Revolution. Zu anderen Zeiten (also nach Eduard Käser: „einst“) wurde doch auch wegen vorgestellter Probleme geforscht, weil man in den Weltraum wollte oder Wettrüsten betrieb – es sind eben die Umbrüche, die hektisch erfinden lassen.

Dieses Gespräch mit Gunter Dueck führten wir anlässlich der Ausgabe zum Thema DIGITALISIERUNG.

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