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Kolumne Macron lässt Europa aufatmen

Vorentscheidung in Frankreich: Aus vier Gründen ist das Ergebnis bemerkenswert. Von Holger Schmieding

Noch ist es zu früh für lauten Jubel. Noch ist die Gefahr nicht ganz ausgestanden, dass eine rechtsradikale Euro-Gegnerin in Frankreich an die Macht kommen könnte. Aber in der ersten Runde ihrer Präsidentschaftswahlen haben die Franzosen eine vielversprechende Vorentscheidung getroffen. Das Ergebnis ist aus vier Gründen bemerkenswert.

Erstens hat sich mit Emmanuel Macron ein junger und pro-europäischer Reformer durchgesetzt. Seine Botschaft der Hoffnung hat mehr Menschen angesprochen als die Botschaft der Wut seiner schärfsten Konkurrentin, der Rechtsauslegerin Le Pen.

Zweitens schnitt Le Pen mit einem Rückstand von über zwei Punkten auf Macron schlechter ab, als Meinungsumfragen das vor drei oder sechs Monaten angezeigt hatten. Ebenso wie dem niederländischen Ministerpräsidenten Rutte ist es Macron offenbar gelungen, pro-europäische Wähler zu mobilisieren, die vorab nicht sicher waren, ob sie angesichts so mancher Probleme nicht doch lieber zu Hause bleiben oder für die Radikalen stimmen sollten.

Drittens haben sich die Meinungsumfragen insgesamt als recht zuverlässig erwiesen. Anders als beim Brexit-Referendum im vergangenen Juni und der US-Wahl im November 2016 haben sie das Ergebnis recht genau vorhergesagt. Das stärkt die Hoffnung, dass die Umfragen sich auf für den entscheidenden Wahlgang am 7. Mai als zuverlässig erweisen könnten. Für den 7. Mai sagen die Umfragen seit Monaten voraus, dass sich Macron mit 62 bis 64 Prozent gegen Le Pen (36 bis 38 Prozent) durchsetzen wird. Auch die ersten Umfragen unmittelbar nach der Bekanntgabe des Erstrundenresultats bestätigen dies.

Viertens haben die unterlegenen Kandidaten der Republikaner (Francois Fillon) und der arg abgestraften Sozialisten (Benoit Hamon) sofort dazu aufgerufen, in der zweiten Runde für Macron zu stimmen. Das nährt die Hoffnung, dass Mitte-Links und Mitte-Rechts auch künftig zusammenarbeiten werden, um unter einem Präsidenten Macron Frankreich endlich zu reformieren.

Infografik: So hat Frankreich gewählt | Statista

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Es bleibt ein schaler Nachgeschmack

Allerdings ist die Freude nicht ungetrübt. Die Altparteien der Sozialisten und Republikaner wurden vom französischen Wähler geradezu abgestraft. Marine Le Pen hat es in den zweiten Wahlgang geschafft. Ganz ausschließen können wir nicht, dass sie sich nicht doch durchsetzen könnte, auch wenn es dazu wohl eines größeren politischen Erdbebens in den kommenden 13 Tagen bedürfte.

Auch so bleibt ein schaler Beigeschmack. Denn mehr als 45 Prozent der Franzosen haben am 23. April einen Kandidaten angekreuzt, der entweder den Euro und die EU verlassen will (Le Pen mit 21,4 Prozent sowie der Ultra-Gaullist Dupont-Aignan mit seinen 4,7 Prozent) oder zumindest mit diesem Gedanken liebäugeln wie der linksradikale Melenchon (19,6 Prozent). Gerade der rasante Höhenflug von Melenchon, der den offiziellen sozialistischen Kandidaten Hamon nahezu spielend verdrängt hat, ist beängstigend. Denn abgesehen von einer fulminanten Rhetorik hat Melenchon nur die linksradikalen Rezepte zu bieten, die bereits das einst blühende Venezuela in den Abgrund geführt haben. Das viele Wähler diesen Sirenengesängen zu folgen bereit sind, zeigt, dass wir auch auf dem europäischen Kontinent populistische Unfälle nicht ausschließen können, wie wir sie bereits in Großbritannien (das Votum für den Brexit und der Aufstieg des radikalen Jeremy Corbyn an die Spitze der Labour Partei) sowie in den USA (Donald Trump und der Höhenflug von Bernie Sanders in der Demokratischen Partei) erleben mussten.

Macron braucht Republikaner

Wird Macron liefern können, sofern er denn tatsächlich am 7. Mai zum neuen Präsidenten gewählt wird? Wahrscheinlich ja. Er kann sich zwar nicht auf eine etablierte Partei stützen. Aber mit dem Rückenwind seines Erfolges kann seine „En Marche“ Bewegung bei den Parlamentswahlen vermutlich 20 Prozent oder mehr der Sitze einheimsen. „En Marche“ will in allen 577 Wahlkreisen antreten; wobei Macron jeweils zur Hälfte politische Neulinge und zur Hälfte erfahrene Überläufer aus anderen Parteien ins Rennen schicken möchte.

Auch die konservativen Republikaner werden bei der Parlamentswahl vermutlich wesentlich besser abschneiden als ihr skandalgeplagter Kandidat Fillon bei der Präsidentschaftswahl am 23. April. Nach dem Scheitern Fillons können die Republikaner in den einzelnen Wahlkreisen sich jetzt unbelastet von Fillon auf ihre Botschaft konzentrieren und ihre Verankerung vor Ort zur Geltung bringen.

Um wirksam regieren zu können, wird ein Präsident Macron wohl darauf angewiesen sein, dass viele Republikaner ihn im Parlament stützen. Das ist zwar nicht sicher, aber doch recht wahrscheinlich. Zumindest das deutsche Beispiel spricht dafür. Um seine „Agenda 2010“ durch den schwarz-gelb geprägten Bundesrate bringen zu können, hatte Deutschlands rot-grüner Reformkanzler Schröder ja 2003/2004 auch mit der konservativen Opposition zusammenarbeiten müssen. Dabei hatten CDU/CSU und FDP ihren Einfluss genutzt, um die von Schröder angestoßenen Reformen noch auszuweiten. Bei der nächsten Bundestagwahl wurde Schröder dann von vielen einstigen Stammwählern der SPD abgestraft, während Angela Merkel ins Kanzleramt einziehen konnte.

Ohne Reformen verliert Frankreich den Anschluss

Für Frankreichs Konservative dürfte es sich anbieten, Macron all die Reformen machen zu lassen, die Frankreich wirklich braucht. Während der unvermeidliche Unmut mancher Bürger über die zeitweiligen Härten solcher Reformen dann Macron treffen könnte, dürften sich die Konservativen auf die Chance freuen, dann bei den nächsten Wahlen in 2022 die Ernte einfahren zu können.

Unabhängig von solchen parteitaktischen Gedanken spricht auch etwas anderes dafür, dass Mitte-Links und Mitte-Rechts unter Macron bei wichtigen Reformen zusammenarbeiten könnten. Ähnlich wie in Deutschland vor knapp 15 Jahren herrscht zwischen Mitte-Links und Mitte-Rechts weitgehend Konsens, dass Reformen unvermeidlich sind. Schließlich sind sowohl Sarkozy und Hollande mit ihrem allzu zögerlichen Ansatz baden gegangen. Ohne Reformen würde Frankreich immer mehr den Anschluss an Deutschland verlieren, ein erschreckender Gedanken für nahezu die gesamte politische Elite jenseits des Rheins. Außerdem kann Frankreich nur mit wirtschaftlichen Erfolgen auf Dauer die Populisten zurückdrängen.

Risiken bleiben. Le Pen könnte theoretisch doch noch gewinnen. Oder Macron könnte sich als unfähig erweisen, seine Ideen durchzusetzen. Aber er hat mit seinem Antreten als unabhängiger Kandidat Mut und Geschick bewiesen. Sein Programm der vielen kleinen und gezielten Angebotsreformen ist genau das, was Frankreich braucht. Wenn er Frankreich stärkt, kann dies auf ganz Europa ausstrahlen. Ein wirtschaftlich genesendes Frankreich, dass sich zu einem weiterhin dynamischen Deutschland dazugesellt, wäre ein Traumszenario für den ganzen Kontinent.

Holger Schmieding ist Chefvolkswirt der Berenberg Bank
Holger Schmieding ist Chefvolkswirt der Berenberg Bank

Holger Schmiedingist Chefvolkswirt der Berenberg Bank. Er schreibt hier regelmäßig über makroökonomische Themen.

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