"Der Kindergarten ist ein Totschlagargument"

„Wir kümmern uns zu wenig um Erwachsenenbildung“, sagt Thomas Sattelberger.
„Wir kümmern uns zu wenig um Erwachsenenbildung“, sagt Thomas Sattelberger.(c) Voithofer Valerie
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In Bildungsdiskussionen würde viel zu oft auf die Wirksamkeit der frühkindlichen Erziehung verwiesen. Dabei sei eigentlich lebenslanges Lernen entscheidender, sagt der Manager Thomas Sattelberger.

Die Presse: Sie haben in Wien über die Bedeutung der Erwachsenenbildung gesprochen. Kümmern wir uns darum zu wenig?

Thomas Sattelberger: Ja, darum kümmern wir uns zu wenig. Unser Fokus ist zuallererst Schule, dann Hochschule. Und dann hat sich's. Und alles das, was zwischen 25 und 65, oder 67 oder 72 Jahren passiert, lassen wir links liegen.

Warum wird das jetzt relevant?

Es gibt zwei Gründe. Der demografische Umbruch führt dazu, dass die Menschen länger arbeiten müssen. Und die Digitalisierung verändert die Bedeutung alten Wissens dramatisch und beschleunigt die Entwicklung neuen Wissens auch dramatisch.

Das heißt jetzt aber nicht: Der 55-jährige Arbeiter muss lernen, mit dem Computer umzugehen.

Nein. Sondern der 32-jährige Versicherungsangestellte muss lernen, wie er damit umgeht, dass Roboter zunehmend simple Versicherungsverträge erstellen und den Kunden beraten können. Und dass er sich im Grunde auf viel komplexere Fragen konzentrieren muss.

Wie kann man ihn darauf vorbereiten, dass sein bisheriger Job in ein paar Jahren obsolet ist?

Und der nächste auch, ein paar Jahre später. Das muss man so radikal sagen, weil die technologischen Umbrüche rasant sind.

Wie bereitet man sich darauf vor?

Die Frage ist: Schaffen unser Schul- und Hochschulsystem und die Erwachsenenbildung eine Lernkultur, in der Menschen Freude haben zu lernen? In der Menschen nichts eingetrichtert wird, sondern in der sie selbst ihre Neugierde konstant behalten?

Das fängt ja irgendwie doch wieder bei der Schule an.

Nicht unbedingt. Das kann auch bei der Frage anfangen, wie ein Weiterbildungskurs aussieht. Ich halte den Begriff Training zum Beispiel für obsolet. Training ist Instruktion. Was wir aber brauchen ist die Freude von Menschen, sich neue Themen zu erobern.

Was heißt das konkret?

Das heißt, lernen zu experimentieren und Prototypen zu entwickeln. Nicht nur technisch, sondern das geht auch in anderen Bereichen: Wenn ich als Soziologe beispielsweise ein neues Gesellschaftsmodell entwickle, dann ist das ein Prototyp. Das muss man testen. Gemeinsam mit anderen Menschen.


Was macht jetzt der Versicherungsvertreter für einen Kurs?

Er müsste zuallererst einmal erleben und erfahren, wie die Finanztechnologien seine traditionelle Branche attackieren. Er müsste eine Start-up-Atmosphäre schaffen. Üben, das eigene Geschäftsmodell zu attackieren. Etwas antizipieren, was noch nicht da ist. Und dann sagen, wie reagieren wir.

Diesen Raum, diese Zeit gibt es aber vielfach gar nicht.

Ja, das ist das Problem. Daher laufe ich herum wie ein Rufer in der Wüste und sage: Firmen müssen die Trainingsabteilungen durch Experimentierlabore für Kreativität ersetzen. Und das machen ja auch ein paar. Aber eben nur ein paar.

Aber: Was kann man ausrichten, wenn jeder sechste Jugendliche nicht ordentlich lesen kann?

Wenn man sieht, mit welcher Freude junge Menschen in anderen Lernarrangements lernen, muss man eher fragen, ob das alte Bildungssystem renoviert werden muss. Oder – wenn es nicht für Innovation taugt, sondern nur für den Erwerb von Grundfertigkeiten und auch da nur lückenhaft – ob man nicht etwas Neues braucht.

Was zum Beispiel?

Wir haben sogenannte Maker-Garagen gefördert. Das sind Garagen an einer Schule – nicht in einer Schule. Dorthin kommen junge und ältere Menschen: Ein älterer Techniker, drei Studenten von der TU München, eine junge Informatikerin sind die Lerncoaches. Klassische Lehrer gibt es nicht.

Und wie läuft das ab?

Da gibt es eine Anekdote: Kanzlerin Angela Merkel hat sich das einmal angesehen. Dann sagte sie zu dem Studenten: ,Sie haben dem Buben also jetzt beigebracht, wie der 3-D-Drucker funktioniert.‘ Und der Bub sagte: ,Nein, ich mir selbst.‘ Da habe ich selbst Lust zu lernen und finde selbst meinen Weg.

Auch in der Arbeitswelt.

Wenn man die Arbeit der Zukunft ansieht, die das traditionelle Modell – ein lebenslanger Arbeitgeber, alles ist planbar – infrage stellt, in der es viel mehr Freelancer und viel mehr Brüche geben wird: Da brauche ich diese Fähigkeit, mich immer wieder neu zu erfinden.

Sie sagen explizit: An der Schule und nicht in der Schule. Warum?

Wie geht man mit etwas um, an dem man seit Jahrzehnten herumdoktert? Doktert man das 51. Mal rum? Bisher ist die Lage nicht besser geworden, sondern schlechter.

Aber ist nicht alles, was nach der Schule passiert, gewissermaßen eine Reparaturmaßnahme?

Ich bin ein entschiedener Gegner davon, dauernd zu sagen: Wir müssen früh anfangen, bei der vorkindlichen Erziehung. Man muss ganz früh anfangen: Das sagen die, die nicht handeln wollen.

Das hört man nicht oft.

Natürlich kann man an jedem Teil der Bildungskette anfangen. Aber das mit dem Kindergarten ist ein Totschlagargument. Und eines, das nicht berücksichtigt, dass es bis zum mündigen Menschen in der Arbeitswelt dann 20 Jahre dauert. Die Zeit haben wir ja gar nicht.

ZUR PERSON

Thomas Sattelberger (67) war bis 2012 im Vorstand der Deutschen Telekom. Bei den deutschen Wahlen im Herbst tritt er für die FDP an. Am Montag sprach er in Wien bei einer Veranstaltung der Initiative Aufschwung Austria von Matthias Strolz über Erwachsenenbildung und lebenslanges Lernen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.04.2017)

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