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SPON-Wahltrend Jungwähler strömen zur SPD

Martin Schulz mobilisiert den Nachwuchs: Immer mehr junge Leute wollen plötzlich SPD wählen - das zeigt der repräsentative Wahltrend von SPIEGEL ONLINE. Allein auf Schulz verlassen dürfe man sich aber nicht, warnen die Jusos.
SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz, Juso-Chefin Johanna Uekermann

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz, Juso-Chefin Johanna Uekermann

Foto: Kay Nietfeld/ dpa

Mit 61 Jahren gehört Martin Schulz eher zur Generation Gleitsichtbrille. Trotzdem begeistert er überraschend viele junge Menschen: Seit Schulz als Kanzlerkandidat feststeht, hat die SPD ihre Zustimmungswerte bei Unter-30-Jährigen um mehr als ein Drittel gesteigert.

Keine andere Partei hat in dieser Altersgruppe derart zugelegt. Im Gegenteil: Linke und Grüne haben junge Sympathisanten verloren. Kaum Bewegung gibt es bei den jungen Anhängern von Union, FDP und AfD.

Das zeigen neue Daten aus dem SPON-Wahltrend in Zusammenarbeit mit dem Umfrageinstitut Civey. (Warum die Umfrage repräsentativ ist und wie die Daten zustande kommen, erfahren Sie weiter unten in diesem Artikel.)

Der Erhebung zufolge würden aktuell fast 38 Prozent der 18- bis 29-Jährigen für die SPD stimmen. Zum Vergleich: Ende Januar, kurz bevor Sigmar Gabriel seinen Verzicht zugunsten von Schulz erklärte, stimmten aus dieser Altersgruppe nur rund 23 Prozent für die SPD.


Zwar ist die Parteipräferenz nach Altersgruppen schwer zu berechnen, die sogenannte statistische Fehlergrenze liegt zwischen vier und 5,5 Prozent. Doch die Zustimmungswerte für die SPD sind so deutlich gewachsen, dass rein statistische Schwankungen als Erklärung ausfallen.

Deshalb sind die Zahlen aussagekräftig, der Langzeittrend ist eindeutig: Die SPD hat nicht nur im allgemeinen Bundestrend, sondern speziell bei jüngeren Wählern erheblich dazugewonnen.

Grüne und Linke verlieren junge Anhänger

Wie hat die SPD das geschafft? "Unter jungen Menschen gibt es fast überhaupt keine Parteibindung mehr. In dieser Altersgruppe kann eine Überraschung wie durch Martin Schulz deshalb einen besonders starken Effekt haben", sagt der Berliner Politologe Carsten Koschmieder. "Viele junge Leute scheinen darauf gewartet zu haben, dass ein neuer Kandidat die politische Landschaft aufmischt."

Ob die neuen, jungen SPD-Anhänger von konkurrierenden Parteien herübergewandert sind, oder ob sie ursprünglich aus dem Nichtwählerlager stammen, darüber gibt die Statistik keine Auskunft.

Fest steht aber, dass vor allem Grüne und Linke zunehmend Schwierigkeiten haben, junge Menschen für sich zu begeistern. Das zeigen die Zahlen aller Parteien im Vergleich zum Jahresbeginn:


Warum Jungwähler wichtig sind

Für die SPD ist der Erfolg erfreulich: Neben Frauen galten Jungwähler lange als "Problemzielgruppe" der Sozialdemokraten. Gemeinsam mit der Union schnitt die SPD bei der letzten Bundestagswahl vergleichsweise schwach bei jungen Menschen ab, während Grüne und Linke hier stärker punkten konnten.

Zwar zählen am Wahltag eher die Stimmen die Älteren. 2013 war gut jeder dritte Wahlberechtigte über 60 Jahre alt. Trotzdem sollte man das Potenzial von Jungwählern nicht unterschätzen, meint Koschmieder: "Junge Menschen allein sind nicht wahlentscheidend. Aber sie können die entscheidenden Prozentpunkte zu einem guten Wahlergebnis beisteuern."

Beim Brexit-Votum in Großbritannien zum Beispiel blieben viele Jüngere zu Hause und überließen Älteren das "Nein" zur EU. Als es zu spät war, gingen bestürzte junge Briten demonstrieren.

Jusos warnen auf Ausruhen auf Schulz-Erfolg

Die Jugendorganisation der SPD, die Jusos, feiern Schulz entsprechendund stecken schon jetzt viel Energie in seine Kampagne. Schulz sei ein Vollbluteuropäer und treffe damit "den Nerv der jungen Generation", sagt Juso-Chefin Johanna Uekermann. Außerdem besetze er das Thema soziale Gerechtigkeit prominent. Jemand wie er habe der SPD vorher gefehlt.

Ein Juso-Wahlkampf für Gabriel wäre schwierig geworden, daraus macht Uekermann keinen Hehl. "Sigmar Gabriel war verhaftet im Konsens der Großen Koalition, Martin Schulz steht für Aufbruch." Und erst durch Schulz würden die Jusos wieder "öffentlich eine Wertschätzung erfahren", so Uekermann weiter. "Er war selbst mal Juso, ist interessiert an unseren Vorschlägen und offen für neue Ideen."

Gleichzeitig warnt die Juso-Chefin davor, sich auf dem Schulz-Effekt auszuruhen. Es käme jetzt mehr denn je darauf an, die Altersstrukturen in der Partei und in politischen Ämtern aufzubrechen.

Denn bislang tut die SPD wenig für ihren Nachwuchs: Im Schnitt sind Parteimitglieder der SPD 60 Jahre alt. Auf den Landeslisten, die die SPD für die Bundestagswahl aufstellt, dominieren ältere Jahrgänge.

Auch die 29-jährige Uekermann hatte sich für ein Bundestagsmandat beworben, landete aber auf einem fast aussichtslosen Listenplatz. "Es ist paradox: Die SPD ist gerade auf Frauen und junge Menschen angewiesen. Gleichzeitig schaffen wir es zu häufig nicht, unsere eigenen guten Leute zu fördern und mehr Jüngere auf die Listen zu kriegen", sagt sie.

Womöglich könnte es in der SPD bald größeren Druck geben, Platz für junge Leute zu machen: Seit der Nominierung von Schulz sind mehr als 10.000 Menschen in die SPD eingetreten - fast die Hälfte davon ist unter 35 Jahre.

Anmerkungen zur Methodik: Der SPON-Wahltrend wurde in Kooperation mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey im Zeitraum vom 16.01.2017 bis 20.03.2017 online erhoben. Die Stichproben umfassten insgesamt je mindestens 5000 Befragte, der statistische Fehler lag bei 2,5 Prozent. Bei der Befragung nach Altersgruppen und ihrer Parteipräferenz und bei den Angaben mit Bezug auf das Geschlecht ist die statistische Fehlertoleranz größer, sehr feine Unterschiede sind in diesen Ergebnissen also nicht aussagekräftig.


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