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Rassismus "Heute sind es die Syrer, morgen die Sachsen"

Der Journalist Mohamed Amjahid schreibt über Flüchtlinge - und wird selbst häufig für einen gehalten. Jetzt hat er ein Buch über Diskriminierung in Deutschland veröffentlicht.
Polizisten umringen Männer am 31.12.2016 am Kölner Hauptbahnhof

Polizisten umringen Männer am 31.12.2016 am Kölner Hauptbahnhof

Foto: Henning Kaiser/ dpa
Zur Person
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M. Heinke

Mohamed Amjahid, Jahrgang 1988, ist freier Journalist und Buchautor. Er schreibt unter anderem für den SPIEGEL und ist Thomas-Mann-Fellow in Los Angeles. Im März 2021 erscheint sein neues Buch »Der weiße Fleck. Eine Anleitung zu antirassistischem Denken« im Piper-Verlag. 

SPIEGEL ONLINE: Herr Amjahid, in Ihrem Buch schreiben Sie: "Wir alle hegen rassistische Vorurteile." Wann haben Sie sich zuletzt selbst bei einem erwischt?

Amjahid: Eine Situation ist mir zumindest besonders in Erinnerung: 2012, als Obama gegen Romney antrat, fuhr ich als Reporter quer durch die USA. An einem Busbahnhof stand ein Mann, schwarz, tätowiert, Käppi, Muskeln. Ich lud mein Handy an einer Steckdose in seiner Nähe, blickte auf die Anzeigetafel, merkte, dass mein Bus gleich losfuhr, und schnappte das Telefon. Und er sagte zu mir: "Du denkst, ich bin ein Dieb." Ich verneinte natürlich instinktiv. Aber als ich dann im Bus saß, war ich mir nicht mehr so sicher, ob ich nur in Eile gewesen war - oder ob das nicht eine unbewusste Aggression von mir war.

SPIEGEL ONLINE: Woher stammen diese Vorurteile?

Amjahid: Wir lernen alle Rassismus, die jahrhundertelange Kolonialisierung durch Weiße hat ihn bis heute in unsere Seelen eingehämmert: Meine marokkanische Mutter glaubt zum Beispiel noch immer, dass Weißsein automatisch zum Erfolg führen muss und liegt mir in den Ohren, dass ich ihr ja ein helles Enkelkind produzieren soll. Nur sind rassistische Strukturen in letzter Zeit eben besonders sichtbar geworden, weil die US-Amerikaner sich entschieden haben, eine pussygrabbende Orange zum Präsidenten zu wählen.

SPIEGEL ONLINE: Sind Sie auf gewisse Weise auch dankbar für jemanden wie Trump, weil er Rassismus, der zuvor verschleiert war, manifest gemacht hat?

Amjahid: Ich schwanke da, genauso wie beim Aufkommen der AfD. Natürlich wünsche ich mir einerseits, dass die alle zurück in ihre Höhlen abhauen. Aber gleichzeitig freue ich mich auch, dass die Empörung bei Biodeutschen angekommen ist. Es gibt jetzt zum Beispiel den Begriff Fake News. Über mich werden, seitdem ich als Journalist arbeite, im Netz Lügen und Beschimpfungen verbreitet. Früher wurde man damit aber alleingelassen. Wenn mich mal wieder jemand als grabschenden Araber bezeichnete, kam von einigen nichtbetroffenen Bekannten als Reaktion: "Jetzt hab dich nicht so." Das hat sich etwas geändert.

SPIEGEL ONLINE: Die Sensibilisierung mag wachsen. Manche warnen aber auch davor, dass dadurch gleichzeitig neue moralische Sprechverbote entstehen, die einen lebendigen Diskurs unmöglich machen.

Amjahid: Ich finde es absurd, wenn jemand ein Sprechverbot moniert. Man kann in Deutschland sehr viele Sachen sagen, und jede Talkshow zum Thema AfD oder Migration belegt, dass diese Sachen auch permanent gesagt werden. Politische Korrektheit, wie ich sie verstehe, hat nichts mit Verboten, sondern mit Respekt zu tun. Wir sollten einfach Eigenschaften nicht verallgemeinern. Und das gilt nicht nur für Vorurteile gegen Nichtweiße, sondern auch etwa, wenn Linke auf Twitter pauschal Sachsen-Shaming betreiben. Heute sind es die Syrer, morgen die Sachsen. Sündenböcke sind nie gut, weil sie konstruktiven gesellschaftlichen Diskurs unterdrücken.

SPIEGEL ONLINE: Wie würde der denn aussehen?

Amjahid: Im Idealfall stelle ich dabei die Individuen in den Mittelpunkt, statt zu kulturalisieren oder zu ethnisieren.

SPIEGEL ONLINE: Erklären Sie das.

Amjahid: In jedem von uns sind mehrere Kategorien verwoben; etwa Herkunft, aber auch Geschlecht, Familiengeschichte, ökonomischer Status. Der Kurzschluss "Ein Araber klaut, also sind alle Araber kriminell" funktioniert schon deshalb nicht. Denn der ist ja mehr als nur Araber. Trotzdem ist die Reduzierung auf die Herkunft historisch zur Norm gewachsen gedanklich sehr bequem.

SPIEGEL ONLINE: Weil man sich nicht mit der eigenen Verantwortung für gesellschaftliche Missstände auseinandersetzen muss?

Amjahid: In Frankreich, wo Marine Le Pen in Umfragen zur Präsidentenwahl derzeit bei 27 Prozent steht, ist die Hetze gegen Nordafrikaner unerträglich - das ist auch möglich, weil die eigene Kolonialgeschichte nie richtig aufgearbeitet wurde. "Wir haben ihnen Krankenhäuser und Schulen gebracht, und sie danken es uns mit Gewalt und Islam", sagte mir mal eine alte Französin in Marseille. Geht`s noch? Teile meiner Familie wurden gezwungen, für die Republik der Égalité zu schuften und in den Indochina-Krieg zu ziehen; und meine Oma erinnert sich noch daran, dass sie als Marokkanerin in Meknès bestimmte Stadtteile nicht betreten durfte. Ich bin froh, dass in Deutschland mehr Bewusstsein für die Verbrechen der Vergangenheit da ist.

Marine Le Pen : ""Möglich, weil die Kolonialgeschichte nicht richtig aufgearbeitet wurde"

Marine Le Pen : ""Möglich, weil die Kolonialgeschichte nicht richtig aufgearbeitet wurde"

Foto: ROBERT PRATTA/ REUTERS

SPIEGEL ONLINE: In welchen Situationen fühlen Sie sich diskriminiert?

Amjahid: Immer, wenn ich ins Ausland will - weil ich marokkanischer Staatsbürger bin, beginnt jede Reise mit Odysseen in Botschaften. Meine deutschen Bekannten bewundern immer die vielen Sticker in meinem Pass. Und ich denke: Echt jetzt? Nimm' meinen, gib mir deinen. Aber Diskriminierung erlebe ich auch täglich als Reporter: Ich war vor Ort, als im Sommer 2015 viele Menschen aus Syrien und dem Irak am Münchner Hauptbahnhof ankamen,. Eine Helferin verfolgte mich mit einem Käsebrötchen und sprach mit mir nur eine seltsame Art Pidgin-Englisch, auch wenn ich auf deutsch antwortete - so unerschütterlich war ihr Glaube, ich sei ein Flüchtling. Das klingt jetzt witzig, aber diese Art von weißem Helferkomplex kann auch schlimm sein: Es tut mir zum Beispiel im Herzen weh, wenn Geflüchteten in betont einfachen Büchern oder Netzclips erklärt wird, was Demokratie ist. Das sind Leute, die waren vielleicht 2011 bei den Arabischen Revolutionen auf der Straße, haben Ihr Leben riskiert, um für einen Rechtsstaat einzustehen. Die können uns was erzählen über Demokratie.

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Amjahid, Mohamed

Unter Weißen: Was es heißt, privilegiert zu sein

Verlag: Hanser Berlin
Seitenzahl: 192
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26.04.2024 15.50 Uhr

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SPIEGEL ONLINE: Gibt es dennoch Situationen, in denen es nicht anders geht, als ethnisch zu diskriminieren? In der "Nafri"-Debatte nach Silvester verteidigten viele den Einsatz der Kölner Polizei als alternativlos.

Amjahid: Entweder alle kontrollieren oder niemanden. Ihr könnt bei einem Fußballspiel im Pott alle kontrollieren? Und an Silvester seid Ihr nicht in der Lage, ein nicht-diskriminierendes Sicherheitskonzept zu entwickeln? Da zu sagen, den Kollateralschaden war es uns wert, ist absurd.

Polizisten an Silvester in Köln: "Entweder alle kontrollieren oder niemanden"

Polizisten an Silvester in Köln: "Entweder alle kontrollieren oder niemanden"

Foto: Oliver Berg/ dpa

SPIEGEL ONLINE: Dass Frauen beschützt werden müssen, ist ein Motiv, auf das sich viele einigen können.

Amjahid: Ich bin Feminist, Gewalt gegen Frauen ist nie entschuldbar. Es ist aber trotzdem nicht hilfreich, wenn der Islam als frauenfeindlich pauschalisiert wird. Beispiel: Alice Schwarzer. Die hat gemerkt, wie gut es funktioniert, die Rassismus-Karte zu spielen. Und diesen Rassismus verquickt sie clever mit - ja teilweise berechtigten - Interessen, und kaschiert ihn so gleichzeitig. Es geht dabei immer um Deutungsmacht. Ich werde auch immer mal wieder von Verlagen angefragt, ob ich nicht darüber schreiben will, wie doof der Islam ist. Obwohl ich übrigens Atheist bin, da reichte es auch schon, dass meine Eltern aus Marokko kommen.

SPIEGEL ONLINE: Eine Instrumentalisierung.

Amjahid: Es ist unglaublich anstrengend, aufzupassen, dass man da nicht in die Falle tappt. Tokenism ist der Begriff dafür, dass einige Nichtweiße mitreden dürfen - aber eben nur dann, wenn sie sich auch so verhalten, wie es die Weißen wollen. Und dann wird man fremdbestimmt: Du bekommst bei Maybritt Illner einen Stuhl. Aber nur, weil wir ihn dir hinstellen. Verstehen Sie mich nicht falsch: Es ist ein Unding, dass in so vielen Foren Entscheidungsträger über Leute sprechen, die gar nicht mit am Tisch sitzen. Aber häufig soll man nur als Positivbeispiel für einen guten Migranten herhalten, und das heißt im Umkehrschluss, dass die anderen nicht so gut sind.

SPIEGEL ONLINE: Wie lässt sich diese Hierarchie abschaffen?

Amjahid: Der Integrationsgedanke ist in Deutschland tief verwurzelt: Es gibt ein Ideal und an das sollen sich mal bitte alle schön anpassen. In den USA gehören zum Beispiel Lobbygruppen, die für eigene Interessen einstehen, zum politischen Prozess. Ich finde dieses Modell gut, weil es sich an einem horizontalen Nebeneinander orientiert, nicht an einer vertikalen Machtverteilung.

SPIEGEL ONLINE: Lassen sich diese Strukturen so einfach ändern? Alice Schwarzer, über die wir gesprochen haben, ist doch ein gutes Beispiel dafür, wie legitime Interessen durch Macht korrumpiert werden können.

Amjahid: Natürlich ist das utopisch. Aber ich glaube an Checks and Balances; daran, dass Macht kontrolliert wird, ist sie auf mehrere Schultern verteilt. Und was wäre denn die Alternative? Nichts tun und den Rechten das Gestalten überlassen? Vielen Vernünftigen fehlt derzeit der Mut zu sprechen. Aber vielleicht tut uns ja gut, mal zu sagen: Ich habe nachgedacht, ich habe gestritten, jetzt bin ich zu einem Ergebnis gekommen und das will ich umsetzen. Ein AfDler wie Alexander Gauland mag seinen rassistischen Diskurs total professionell, beängstigend und überzeugt abfahren. Aber Deichkind singen halt auch: "Ich bau' den Trump-Tower, aber zwei Kilometer höher".