Der russische Journalist Alexey Kovalev hat sich Trumps Pressekonferenz genau angesehen. Nach fast zwei Jahrzehnten Putin kam ihm einiges bekannt vor. Worauf sich Journalisten in der Trump-Ära gefasst machen müssen.

Herzlichen Glückwunsch, liebe US-Medien! Ihr habt soeben die erste Pressekonferenz eines autoritären Anführers mit riesigem Ego und tiefer Abneigung gegen eure Branche und alles, was euch lieb und teuer ist, hinter euch gebracht. Bei uns in Russland ist das seit zwölf Jahren gang und gäbe – unterbrochen nur von einem kurzen Intervall, als unser Präsident nicht auch offiziell Präsident war – und gerade deshalb kam mir bei Donald Trumps Pressekonferenz einiges sehr bekannt vor. Und nicht nur mir, wie diese hervorragende Zusammenfassung der Moscow Times beweist.

Wladimir Putins jährliche PKs sind als das Medienhighlight des Jahres konzipiert. Sie finden normalerweise Ende Dezember ungefähr zu Weihnachten statt (zum westlichen Weihnachten – als orthodoxe Christen feiern wir Weihnachten zwei Wochen später, und zwar im Vergleich zu Silvester eher bescheiden). Dieser Umstand dürfte seinen Teil dazu beitragen, dass die Pressekonferenzen außerhalb Russlands höchstens von besonders aufmerksamen Russland-Interessierten wahrgenommen werden und sonst in den Medien praktisch nicht stattfinden. In Russland werden Putins Pressekonferenzen live auf sämtlichen Fernsehsendern übertragen und von allen denkbaren Medien abgedeckt, seien es landesweite Nachrichtenagenturen, Lokalmedien oder Auslandskorrespondenten. Sie sind darauf ausgelegt, alles zu überstrahlen, was es in Russland und im Ausland sonst an Nachrichten geben könnte.

Putins Pressekonferenzen sind minutiös geplant, dauern selten unter vier Stunden, und Putin nimmt darin die Rolle eines allwissenden, gütigen Anführers ein, der sich um eine Bande ungezogener, aber ehrfürchtiger Kinder kümmert. Nachdem Putin aller Wahrscheinlichkeit nach ein Vorbild für Trump ist, ist es keine Überraschung, wenn dieser sich offensichtlich von Putin inspirieren lässt. Für meine amerikanischen Kollegen möchte ich daher hier ein paar Beobachtungen darlegen. Für euch wird es die nächsten mindestens vier Jahre so weitergehen, und ihr werdet dabei Erfahrungen machen, die für russische Journalisten schon seit fast zwei Jahrzehnten Alltag sind. Ich spreche im Folgenden zwar von Putin, aber das eine oder andere davon könnte euch durchaus an euren nächsten Präsidenten erinnern.

Willkommen im Zeitalter des Bullshit

Vergesst Fakten. Mit Fakten oder Vernunft werdet ihr diesem Mann nicht beikommen. Er schlägt immer irgendeinen Haken. Er wird sich aus allen euren Fragen herauswinden, egal, wie clever sie sind und wie raffiniert die rhetorischen Fallen, die ihr ihm gestellt habt. Ihr werdet ihn nie wegen irgendwas, das er sagt, wirklich angreifen können. Sein Rüstzeug ist eine Ansammlung nichtssagender Pseudofakten (Putin liebt es, Fragen unter einem Berg trockener, kaum zu bestätigender Statistiken, Zahlen und Prozentangaben zu begraben), Binsenweisheiten, unpassender moralischer Gleichsetzungen und reinem, ungefiltertem Bullshit. Er weiß, dass es sich um Einbahnstraßenkommunikation handelt und er sich nicht in einem Interview befindet. Ihr könnt keine Nachfragen stellen oder sonst irgendwie nachbohren, und er kann antworten, was immer ihm gerade in den Kram passt. Ihr könnt nichts tun. Manche Journalisten versuchen das Problem zu umschiffen, indem sie zwei Fragen auf einmal stellen (unter dem Protest ihrer Kollegen, die um die eigene Fragezeit fürchten), aber auch das fruchtet nichts: Er wird die für ihn bequemere Frage beantworten und die andere unter den Tisch fallen lassen. Es gibt auch Leute, die bei dieser Gelegenheit dürftig als Fragen getarnte weitschweifige Statements unterbringen, aber auch mit dieser Taktik kommt man nicht weit. Fragen, die keine Fragen sind, fordern Antworten heraus, die keine Antworten sind. Er wird Spott über euch ausgießen wegen eures nervösen Gestammels und wenn ihr ein wichtiges Thema ansprecht, wird er wolkige, unverbindliche Antworten geben („Herr Präsident, was ist mit den entsetzlichen Menschrechtsverletzungen in Ihrem Land?“ – „Ich danke Ihnen. Das ist allerdings ein sehr ernstes Thema. Jeder muss sich an Recht und Gesetz halten. Nebenbei gefragt, gibt es nicht auch in anderen Ländern Menschenrechtsverletzungen? Nächste Frage.“)

Immerhin eure Kollegen sind doch aber auf eurer Seite, oder? Ihr sitzt doch schließlich alle im selben Boot, oder?

Falsch.

Vergesst Kameradschaft

Ihr seid nicht von Waffenbrüdern umgeben. Die Leute um euch herum sind eure Konkurrenten in einem erbittert umkämpften, auf den Crash zusteuernden Markt, dessen einzige harte Währung die Worte des Mannes auf der Bühne sind. Wer das Glück hat, eine Frage zu stellen und die Antwort als erster über den Äther zu jagen, gewinnt. Von den Leuten um euch herum habt ihr keinerlei Solidarität oder gar Hilfe zu erwarten. Wird eure Frage abgeblockt, weggespöttelt oder anderweitig nicht beantwortet, braucht ihr gar nicht darauf zu hoffen, dass jemand eure Fährte aufnimmt und eine Folgefrage stellt. Das Ziel dieses Mannes ist erreicht, wenn ihr euch gegenseitig das Wasser abgrabt und um Almosen wie einen guten Sitzplatz, Zeit am Mikro und natürlich seine Aufmerksamkeit kämpft. Besonders absurd wird das Ganze, weil immer mehr Journalisten inzwischen mit riesigen, gut sichtbaren Schildern eintrudeln, mit denen sie die Aufmerksamkeit des Präsidenten auf ihre Region oder irgendein bestimmtes Problem lenken wollen. Das sieht dann so aus:

Manche Leute sind auch gar nicht wirklich da, um Fragen zu stellen.

Stellt euch auf jede Menge Speichelleckerei ein

Ein Herzstück von Putins Pressekonferenzen sind die Sorte Fragen, die eigentlich nichts anderes sind als Steilvorlagen. Und – wer hätt‘s gedacht? – genau die mag er auch am liebsten. Herr Präsident, haben Sie Liebe in Ihrem Herzen? Mit wem feiern Sie Silvester? Was ist Ihr Lieblingsessen? „Fragen“ dieser Kategorie erweichen zuverlässig Putins Herz und werden typischerweise von Frauen gestellt, die für kleinere Regionalzeitungen arbeiten. Eine Untergruppe davon bilden die schon erwähnten, als „Frage“ verpackten Statements, diesmal allerdings gestellt von Leuten, die den Mann auf der Bühne wirklich verehren, die mit dem Kopf nicken, voller Ehrfurcht den Blick nach vorne richten und dann etwas in der Preisklasse von „Herr Präsident, sind Sie auch der Meinung, dass die Medien Sie unfair behandeln?“ von sich geben.

Eine andere Form der Steilvorlage sind lokal extrem begrenzte Probleme, mit denen ein Präsident sich normalerweise gar nicht auseinandersetzt. Herr Präsident, unsere Straße ist voller Schlaglöcher und vor Ort unternimmt niemand etwas. Herr Präsident, unser Wasserhahn tropft. Herr Präsident, wir hätten gerne einen Schachklub in unserem Dorf. Da ist Putin dann voll in seinem Element. Er kann gegen die örtlichen Behörden wettern und verfügen, dass eine neue Straße gebaut wird. Auch dieser Teil war natürlich lange im Voraus geplant.

Aber manche Fragesteller verehren ihn auch wirklich und quittieren jede seiner Antworten mit frenetischem Applaus. Teilweise vertreten die Anwesenden auch Medien, die einzig zu dem Zweck bestehen, ihn mit Lob zu überhäufen und seine Gegner unter Beschuss zu nehmen. Natürlich gibt es auch einen Quotenkritiker, dem das Stellen einer „unbequemen“ Frage gestattet wird, die dann freilich wieder in Fluten von Bullshit versinkt. Der Mann auf der Bühne bleibt wie immer Sieger („Sehen Sie, ich schätze Medien und Meinungsfreiheit“).

Ihr verliert. Immer.

Dieser Mann hat euch in der Hand. Er weiß genau, dass er die Nachricht ist. Ihr könnt ihn nicht ignorieren. Ihr spielt nach seinen Regeln, und er kann diese Regeln jederzeit und unangekündigt ändern. In seinem Fall könnt ihr auch keine Initiative zu seiner Abwahl starten. Eure Leserschaft schrumpft ständig, weil Werbebudgets gekürzt werden, und seine Einschaltquoten gehen durch die Decke. Wenn ihr euer Medium also über Wasser halten wollt, dann müsst ihr alles, was er sagt, berichten, sobald er es sagt – ohne Analyse, ohne Faktencheck. Denn erstens ist es seinen Fans völlig egal, dass er ihnen ins Gesicht lügt. Und zweitens gilt: Während ihr noch seine Lügen auseinandernehmt, hat er schon längst die nächste Wagenladung Bullshit in Umlauf gebracht, und ihr seid abgehängt.

Ich könnte das noch ewig fortsetzen, aber es sollte klargeworden sein, worauf ich hinauswill. Vielleicht kommt euch ja das eine oder andere bekannt vor, wenn ihr von Trumps PK berichtet oder sie online verfolgt habt.

PS: Dieser Artikel darf gerne weiterverbreitet, repostet und gerebloggt werden. Hier finden Sie das Original.

Der Autor ist russischer Journalist und schreibt über Propaganda, Fake News und und die russischen Staatsmedien auf noodleremover.news. Die Seite ist zwar russischsprachig, ein Beispiel für seine englischen Texte gibt es aber hier. Er ist per Mail unter kovalever@gmail.com zu erreichen, auf Twitter ist er @Alexey_Kovalev.

Übersetzung: Richard Volkmann