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Weltwirtschaftsforum Liebling, das wird schon wieder

Der letzte Auftritt von US-Vize Joe Biden in Davos wurde zum Symbol für eine liberale Elite, die jetzt abtritt. Von Horst von Buttlar

Als er fertig war, nach einem letzten Satz, in dem die Wörter Zukunft, Kinder und Enkel vorkamen, da konnte einem tatsächlich wieder etwas wehmütig zumute werden: Joe Biden, der scheidende US-Vizepräsident ging von der Bühne, schnellen Schrittes und ohne noch einmal zu winken oder zu lächeln. Mit einem Witz hatte er wie immer begonnen; nun, da er nur noch 48 Stunden Vize-Präsident sei, könne er endlich sagen, was er denke.

Und genau das tat Biden in seiner letzten Rede, die er auf dem Weltwirtschaftsforum hielt. Teilte gegen Russland aus, das die internationale liberale Ordnung untergrabe, deren Kollaps das Ziel von Wladimir Putin sei. Russland nutze jedes verfügbare Mittel, um gegen das europäische Projekt vorzugehen, um „Jahrzehnte des Fortschritts“ zu zerstören.

Er meinte nicht nur die US-Wahlen, sondern auch die anstehenden in Europa, in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland, als er warnte: „Wir müssen mit weiteren Versuchen rechnen, sich in den demokratischen Prozess einzumischen.“

Bidens Abgang von der Bühne, der stehenden Applaus, ein lauter Buh-Ruf, als der Name Trump fiel, war ein Symbol für das schleichende Verschwinden der „liberalen Ordnung“ – die zu einem wiederkehrenden Motiv geworden ist: Eine Ära der Vernunft geht demnach zu Ende, und eine neue, ungewisse Ära beginnt, in der die Kräfte der Unvernunft in immer mehr Ländern nach der Macht greifen. Was ein wenig an „Star Wars“ erinnert: Während die Jedi-Ritter sich auf ferne Planeten zurückziehen, baut das Imperium den Todesstern.

Angela Merkel, die Prinzessin Leia des Westens

Dieses Motiv ist uns schon oft begegnet, nicht nur beim Abgang von Barack Obama (der von Joe Biden groß Abschied nahm). Nach dem Brexit-Votum, der Wahl Donald Trumps im November und dem Terror vor Weihnachten stürzten sich vor allem liberale Briten und Amerikaner auf Angela Merkel, die – um bei Star Wars zu bleiben – zu einer Art Prinzessin Leia hochstilisiert wurde: Für die „New York Times“ wurde sie zur „letzten Widerstandskämpferin des freien Westens“. Der „Guardian“ erklärte sie zu einem „Leuchtfeuer der Vernunft“.

Wehmut, Tränen überall, und Sorgen um die Zukunft. Kann es damit getan sein? Ziehen sich jetzt alle ein paar Jahre zurück, bis Trump & Co eine große globale Grütze anrichten? Wenn dieses Konstrukt denn tatsächlich stimmt, muss sich die liberale Elite einige unangenehme Fragen stellen – zumal der Dauer-Wehmut nicht angebracht ist. Eines vorweg: mit „liberal“ ist hier nicht die FDP gemeint, sondern jene Kräfte, die für offene Gesellschaften, Gleichberechtigung, Freihandel und internationale Kooperation stehen.

Unangenehme Frage Nummer eins: Wenn die liberale Ära so großartig war, warum liegen vor uns gefühlt so viele Scherben? Warum diskutierten plötzlich alle wie wild über Ungleichheit und die 99 Prozent? Worin genau liegt das Versagen?

Unangenehme Frage Nummer zwei: Wenn diese Elite die kommenden Kräfte als solche Zumutung empfindet (und das sind sie ja auch), war sie vielleicht selbst auch eine Zumutung für andere Gruppen, die vielleicht inzwischen die Mehrheit stellen?

Unangenehme Frage Nummer drei: Wenn wir nun so viele Unfälle erleben, den Brexit-Unfall, den Italien-Unfall, den Trump-Unfall – ist es vielleicht auch „unsere Realität“, die wir hoffnungslos verklären?

„Honey, it’s gonna be okay“

Verklären tun nämlich inzwischen alle, stellvertretend sei hier noch einmal Joe Biden genannt: Früher, sagte Biden, gab es eine Welt, die in Ordnung war, eine Welt, in der der Mann, der zur Arbeit ging, zu seiner besorgten Frau sagte: „Honey, it’s gonna be okay.“

Dieses Bild von früher malen inzwischen alle, ein Bild von einer Zeit, die noch nicht von Globalisierung, Digitalisierung, Robotern und Supercomputern bedroht war. (Und schon wieder muss man an Star Wars denken...) In jener fernen Zeit gab es Fabriken voller Arbeiter, gute Löhne und Häuser voller Wohlstand.

Liebling, das wird schon wieder. Ein einfacher Satz, der in Millionen Häusern und Wohnungen bestimmt schon mal gefallen ist – er klingt einfach, vielleicht zu einfach, aber er enthält vor allem eines: Lösbarkeit. Man kann ihn jedoch heute genauso sagen, statt sich in einem kollektiven Burnout zu steigern, in der die Weltprobleme so überwältigend sind, dass nun die Bösen die Macht übernehmen.

Mehr zum Weltwirtschaftsforum in Davos: Dunkelkammer der Weltwirtschaft, Der Berg der Probleme ruft und Top 10 der wohlhabendsten Länder

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