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  4. In Hollywood-Filmen gelten Frauen mit Brille als unattraktiv - über einen Essay von Isaac Asimov

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Hollywood, was hast du gegen Brillenträgerinnen?

Hat Angst, der Brille wegen keinen abzukriegen: Marilyn Monroe als Pola in "How To Marry A Millionaire" Hat Angst, der Brille wegen keinen abzukriegen: Marilyn Monroe als Pola in "How To Marry A Millionaire"
Hat Angst, der Brille wegen keinen abzukriegen: Marilyn Monroe als Pola in "How To Marry A Millionaire"
Quelle: Getty Images/Moviepix
Ein hässliches Entlein wird zur Überfrau - sobald sie ihre Brille abnimmt. Das ist die Story vieler Liebesfilme, schon in den 50ern. Ein Autor hat einen guten Rat für Kinozuschauer, die das nervt.

Pola ist kurzsichtig, extrem kurzsichtig. Ihre fabelhafte Cat-Eye-Brille trägt sie dennoch ungern. Denn, so Polas Theorie: „Männer beachten Frauen mit Brille nicht.“ Pola ist eine Filmfigur, 1953 machten die Kinozuschauer mit ihr in der romantischen Komödie „How to Marry a Millionaire“ Bekanntschaft. Gespielt wurde Pola von Marilyn Monroe - einer Hollywood-Schönheit, die garantiert niemand übersah, erst recht kein Mann und auch nicht, wenn sie Brille trug.

Das Paradox aus dem Film - Hammerfrau wird ganz und gar unscheinbar, weil sie eine Brille trägt - fiel in den 1950ern schon Isaac Asimov auf, eigentlich Chemiker und Science-Fiction-Autor. Gelegentlich schrieb der gebürtige Russe, der in New York aufwuchs, aber auch gesellschaftskritische Essays. So auch 1956: In „The By-Product of Science Fiction“ beschreibt Asimov das Hollywood-Klischee von der grauen Maus mit Brille.

„Betty Grable (oder Marilyn Monroe oder Jane Russell) arbeitet als Bibliothekarin oder Lehrerin (die zwei Frauenberufe, die laut Filmkonvention ein unglückliches Dasein als alte Jungfer garantieren) und natürlich trägt sie eine große Hornbrille. Jeder männliche Zuschauer reagiert auf Betty Grable mit Brille genauso wie auf Betty Grable ohne Brille. Aber in der verzerrten Wahrnehmung des männlichen Helden sieht Betty Grable mit Brille unscheinbar aus. Schließlich nimmt sich eine erfahrene Freundin Betty Grable an und entfernt die Brille. Und nun, da sie schön ist, verliebt sich der männliche Held unsterblich in sie. Happy End.“

Nach diesem Schema F funktionierten Liebesfilme vor 60 Jahren, erschreckend oft funktionieren sie noch heute danach. Einige aktuellere Beispiele: „Plötzlich Prinzessin“ mit Anne Hathaway, die mit Brille das hässliche High-School-Entlein darstellt, ohne aber als elegante Thronfolgerin erstrahlt.

Oder „Eine wie keine“: In der Teenie-Komödie aus dem Jahr 1999 verliebt sich der Schul-Schönling erst dann in die kunstinteressierte Außenseiterin, als sie die Latzhose gegen Minikleider - und ihre Hornbrille gegen Kontaktlinsen tauscht.

"Eine wie keine"
"Eine wie keine"
Quelle: Picture Alliance

Mit „Ugly Betty“ ging die Mär von der klugen, aber unscheinbaren Brillenträgerin, die sich in eine attraktive und vor allem Sehhilfe-freie Frau verwandelt, sogar in den USA in Serie.

"Ugly Betty"
"Ugly Betty"
Quelle: Picture Alliance, Getty Images

Und in „Batman Returns“ switcht Michelle Pfeiffer zwischen der harmlosen Sekretärin mit Brille...

... zur gefährlich-anziehenden Catwoman im Latexanzug ohne Brille.

Bei Asimov riefen Geschichten wie diese vor allem eines hervor: Erstaunen. Darüber, dass das keinem auffiel. In „The By-Product of Science Fiction“ schreibt er:

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„Gibt es wirklich Menschen, die stumpfsinnig genug sind, um nicht zu sehen, dass die Brille Betty Grables gutes Aussehen in keiner Weise ruiniert hat und das auch dem Helden bewusst sein muss? Und dass Betty Grable nun, da sie kein Gesicht mehr vom anderen unterscheiden kann, wahrscheinlich sowieso den Falschen küsst?“

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Knapp zwei Dritteln der Kinozuschauer sollte das tatsächlich Kopfschmerzen bereiten. So viele, 63,5 Prozent der Deutschen, tragen laut einer Allensbach-Studie eine Brille. Bei den Frauen sind es sogar 67 Prozent. Bleibt die Frage: Bildet Hollywood trotz der hohen Trägerdichte mit seinem Brillen-Klischee vielleicht einen gesellschaftlichen Konsens ab? Werden Brillenträgerinnen wirklich als weniger schön wahrgenommen? Gleich mehrere Studien führen das ad absurdum, in einer Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung gab zum Beispiel ein Drittel der Männer an, Frauen mit Brille wirkten im Gegenteil besonders klug - und sexy.

In den 50er-Jahren, als „How to Marry a Millionaire“ lief, mag das noch anders gewesen sein. Und die Brillenträgerin ein Hinweis an das weibliche Publikum: Lieber nicht zu klug wirken, das schreckt Männer, die eine gute Hausfrau heiraten wollen, doch nur ab. Ganz ähnlich argumentierte Asimov in seinem Essay, auch, wenn er es nicht konkret auf Frauen und ihre schwierige Stellung bezog:

„Die Brille ist eigentlich keine Brille, sie ist ein Symbol für Intelligenz. Und so lernt der Zuschauer zwei Dinge: Erstens ist jeder Beweis dafür, dass man sehr gebildet ist, ein sozialer Nachteil und löst Unzufriedenheit aus. Zweitens ist Bildung unnötig, wer will, kann sie herunterschrauben und wird mit seinen limitierten intellektuellen Fähigkeiten glücklich werden.“

Warum sich die Filmindustrie nie ganz vom Brillen-Klischee löste? Weil, so doof das klingt, es einfach gestrickte Unterhaltung ist. Genau wie eine ganz in Weiß gekleidete Bridget Jones, die in einen Haufen Matsch fällt. Das ist kein kluger Humor, sorgt bei vielen aber eben doch für Lacher. Isaac Asimov riet sowieso davon ab, sich Hollywood-Filmen anzusehen - und empfahl stattdessen die Lektüre von Roboter- und Raumschiff-Geschichten, von denen er selbst sehr viele geschrieben hat. Aus diesem Grund heißt sein Text auch „Das Nebenprodukt von Science Fiction“: Im Gegensatz zu romantischen Komödien ließe dieses Genre schließlich „Intelligenz, Bildung und sogar wissenschaftliche Karrieren attraktiv erscheinen“ und könne so vielleicht ganz nebenbei junge Menschen dazu inspirieren, selbst in die Forschung zu gehen. Man möchte Pola aus „How to Marry a Millionaire“ am liebsten zurufen: Werd’ Atomphysikerin, dann übersieht dich niemand! Ob mit oder ohne Brille ist da fast schon egal.

Den kompletten Essay von Isaac Asimov lesen Sie hier.

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