FOCUS Magazin | Nr. 50 (2016)

BRIEF VON ULRICH REITZ

Sehr geehrter Donald Trump,
Sonntag, 18.12.2016 | 17:01
Donald Trump Visits His Golf Course in Aberdeen
Getty Images Gewählt als kommender US-Präsident: Donald Trump
an den nächsten US-Präsidenten, der mit Taiwans Regierungschefin sprach und so schon mal mit Weltpolitik anfing

Mit einem einzigen Telefonanruf haben Sie Weltpolitik gemacht. Nach Ihrem Gespräch mit der taiwanischen Regierungschefin Tsai Ing-wen und den national wie international aufgeregten Reaktionen darauf haben Sie klargestellt:

1. Der Führer der westlichen Welt ist der amerikanische Präsident, ganz gleich, wie der heißt.

2. Jedenfalls heißt er nicht Angela Merkel, wie die über Ihren Wahlsieg erschrockene „New York Times“ schon hoffte. Wobei die Kanzlerin Westweltführerin weder sein will noch kann.

3. Nicht jeder wirtschaftlich Etablierte ist politisch ein Anfänger.

4. China mag ein wirtschaftlicher und politischer Gigant sein. Sakrosankt ist es nicht. Das weiß jetzt nicht nur der amtierende Präsident Barack Obama, sondern das gesamte außenpolitisch knieweiche Status-quo-Establishment von Washington bis Berlin.

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5. Um das alles zu erreichen, mussten Sie nicht einmal selbst anrufen. Sie konnten sich anrufen lassen. War eigentlich jemals ein gewählter US- Präsident, der noch nicht einmal sein Amt angetreten hat, so einflussreich?

"Tsai brauchte zehn lange Minuten, um Ihnen zum Wahlsieg zu gratulieren"

Von Peking aus betrachtet, ist Tsai Ingwen eine gefährliche Frau. Sie ist das jüngste von elf Kindern eines Autoreparaturunternehmers, ein unabhängiger Kopf, eine Juristin, promoviert an der London School of Economics. Sie ist die erste Frau Asiens, der ein Aufstieg an die Macht gelang, ohne Tochter oder Ehefrau ihres Vorgängers zu sein.

Präsidentin Tsai Ing-wen
dpa/Office of the president of Taiwan Als erster neugewählter US-Präsident seit 1979 telefonierte Trump mit Taiwans Staatsoberhaupt.

Tsai entstammt der taiwanischen Unabhängigkeitsbewegung. Ihr Stil-Vorbild ist Angela Merkel. Diese Frau brauchte zehn lange Minuten, um Ihnen zum Wahlsieg zu gratulieren. Tsai nutzte die Chance, um sich den USA, Ihren USA, als Partner anzudienen. Offensichtlich gibt es tatsächlich Länder, die Sie nicht als GAU der Geschichte betrachten, sondern als Hoffnungsträger.

Das allein reichte, um den chinesischen Außenminister Wang Yi zu allerlei weltöffentlichen Klarstellungen zu bewegen. Bei diesem Anruf handle es sich um die „unbedeutende Finte“ der „taiwanischen Region“. Was heißen sollte: Taipeh verhält sich zu Peking wie, sagen wir mal, Paderborn zu Berlin - es ist ein sehr kleiner, andersgläubiger Teil des Landes. Yi pochte auf die Ein-China-Politik, die Peking nach dem Highlander-Prinzip betreibt: Es kann nur eines geben.

Sie dagegen, Mr. President-elect, nannten Tsai, natürlich auf Twitter (Sie brauchen keinen Regierungssprecher und kein Fernsehen, Sie sprechen so direkt zum Volk), Präsidentin „von“ Taiwan. Und nicht, wie alle Ihre Vorgänger seit 40 Jahren, Präsident „auf“ Taiwan, ein Titel, der auch auf den Präsidenten des deutschen Bundesrechnungshofs zuträfe, falls der sich nach Taiwan verirrte. Peking hatte Anlass zur Empörung.

"Wer sollte Ihnen vorschreiben, mit wem Sie zu sprechen haben?"

Sie aber legten noch nach: Wer sollte Ihnen vorschreiben, mit wem Sie zu sprechen haben? Hat China etwa gefragt, als es zu Lasten amerikanischer Produzenten seine Währung abwertete? Oder aufrüstete im Südchinesischen Meer und damit das Kräftegleichgewicht sprengte? Womöglich wird China das erste außenpolitische Opfer Ihres „America First“. Man kann Ihnen nicht vorwerfen, dass Sie dies nicht angekündigt hätten, und zwar schon vor fünf Jahren, 2011, auf Twitter!

Für Ihren Warnschuss suchten Sie sich Chinas allerempfindlichsten Punkt aus: die nationale Einheit des Landes. Kein Pekinger Apparatschik hat vergessen, dass die Amis sich im chinesischen Bürgerkrieg zwischen Kommunisten und Nationalisten auf die Seite der später nach Taiwan geflohenen Nationalisten gestellt hatten.

Trump und Tech-Chefs
dpa/Albin Lohr-Jones Gezielte Provokation? Der designierte US-Präsident Donald Trump brachte mit einem Telefonanruf China gegen sich auf

Jeder weiß, dass und warum Richard Nixon 1972 die Taiwaner dann schnöde fallenließ: Der wegen des Vietnamkriegs unter Druck stehende US-Präsident suchte im Kalten Krieg gegen Leonid Breschnews Sowjets nach einem neuen Bündnispartner und fand ihn im damaligen Rotchina. Die USA teilten fortan Pekings Taiwan-Sicht, wobei sie Taipehs Unversehrtheit mit Waffenlieferungen garantierten. Die Europäer, auch Deutschland, taten es ihnen gern gleich, schon wegen des größeren Geschäftsvolumens mit den kapitalistischen Kommunisten.

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FOCUS online/Wochit Das Geheimnis seines Erfolgs - So schafft es Trump mit nur vier Stunden Schlaf auszukommen - doch das ist gefährlich

Solange Taiwan eine Erdogan-ähnliche Autokratur war, hatten es Ihre Amis und hiesige Europs leicht, sich auf Pekings Seite zu schlagen. Inzwischen aber ist Taiwan eine Demokratie mit freien Wahlen, freier Presse und freier Zivilgesellschaft. Zeit für eine Revision der Beziehungen, hoffen immer mehr US-Republikaner. Fürchten immer mehr Festland-Chinesen. Für jemanden wie Sie, einen Deal-Maker, keine schlechte Chance auf einen neuen China-Handel.

40 Jahre lang sprach kein US-Präsident mehr mit einem taiwanischen Regierungschef. Auch Sie haben daran nichts geändert. Noch sind Sie ja nicht im Amt.

Yours,

Ulrich Reitz

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