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Gedenken an Obdachlose Einsamer Tod

Immer mehr Menschen in Bremen sterben einsam und alleine. Für diese Menschen hat die Innere Mission ein besonderes Projekt gegründet.
05.12.2016, 00:00 Uhr
Lesedauer: 3 Min
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Einsamer Tod
Von Sabine Doll

Immer mehr Menschen in Bremen sterben einsam und alleine. Für diese Menschen hat die Innere Mission ein besonderes Projekt gegründet.

Bertold Reetz erinnert sich besonders an eine Bestattung: „Das war sehr ergreifend“, sagt der Leiter der Wohnungslosenhilfe der Inneren Mission. Der Mann war vier Tage in Bremen und hatte in einem Wohnheim für Obdachlose übernachtet, als er plötzlich starb. „Niemand wusste, wer er war, woher er kam“, erzählt er.

Angehörige oder Freunde können nicht ausfindig gemacht werden. Der Mann kam allein nach Bremen, und so ist er auch gestorben. Für obdachlose Menschen wie ihn, die einsam am Ende ihres Lebens sind, hat die Innere Mission ein besonderes Projekt gegründet. Es ist eine Grabstelle auf dem Waller Friedhof.

Besonderes Projekt der Inneren Mission

Bertold Reetz organisiert Trauerfeier und Bestattung mit dem Pastor der Inneren Mission. Außer den beiden sind noch ein Mitarbeiter der Friedhofsverwaltung, der die Urne von der Kapelle zur Grabstätte trägt, und eine Frau aus der Gemeinde dabei, sie spielt Geige am Grab. „Das war ein sehr bewegender Moment. Traurig, aber sehr würdevoll“, sagt Bertold Reetz. Würdevoll, denn der Gestorbene wird nicht anonym in einer fremden Stadt, wo ihn niemand kennt, bestattet.

Sein Name ist mit einer Plakette auf einem Lebensbuch verewigt. Mit 30 anderen Lebensbüchern steht es in zwei steinernen Regalen links und rechts des Grabsteins auf dem Waller Friedhof. Die Urnen mit der Asche der Toten sind in die Erde davor eingelassen. „Die Lebensbücher symbolisieren, dass jeder Mensch eine Geschichte hat. Ein Leben mit Freude, Ärger und mit Träumen“, sagt Bertold Reetz.

Normalerweise werden Menschen, die arm und allein sterben, anonym bestattet. Wenn sich niemand anders darum kümmert, dass sie eine Trauerfeier und einen Namen auf einem Grabstein bekommen. Amtsbestattung heißt das im Behördendeutsch. Sie werden angeordnet, wenn sich in einem festgelegten Zeitraum keine Angehörigen ermitteln lassen.

Zehn Tage Zeit um die Angehörigen zu finden

In Bremen ist das Institut für Rechtsmedizin dafür zuständig. Dorthin werden die Menschen gebracht, die allein auf der Straße, in einem Heim oder im Krankenhaus sterben. „Zehn Tage haben wir Zeit, Angehörige zu finden, das ist gesetzlich festgelegt“, sagt Olaf Cordes, Leiter der Rechtsmedizin. Danach werden die Toten eingeäschert.

Nach einer weiteren vierwöchigen Frist, in der noch einmal nach Angehörigen gesucht wird, werden die Urnen an den Umweltbetrieb weitergegeben. Der ist für die Friedhöfe in Bremen zuständig. In anonymen Gräbern, ohne Blumen, Trauerfeier und Trauergäste werden sie in die Erde gelassen. In der Regel in Grabstellen für sechs Urnen.

Aber es sind nicht nur obdachlose Menschen, die allein und ohne Angehörige sterben. Die Gesellschaft wird älter – und einsamer. Immer häufiger muss sich der Staat kümmern. Die Zahl der Amtsbestattungen steigt in ganz Deutschland. Es ist zwar kein sprunghafter Anstieg, aber eine stetige Entwicklung, die sich auch in Bremen zeigt.

Zahl der Amtsbestattungen steigt

Gab es 2002 nach Zahlen des Instituts für Rechtsmedizin noch 218 Amtsbestattungen, sind im vergangenen Jahr 337 Menschen von Amts wegen bestattet worden. In Hamburg sind es nach Angaben der Friedhöfe inzwischen an die 1.000 Menschen pro Jahr; dort ist wie in den meisten anderen Bundesländern das Ordnungsamt zuständig.

Seit 2012 gibt es die Grabstelle mit den Lebensbüchern der Inneren Mission auf dem Waller Friedhof. Der Grabstein wurde dem Verein von einer Familie überlassen, für 30 Jahre hat der Verein die Stelle gekauft. Die knapp 10.000 Euro dafür kamen von der Bremischen Evangelischen Kirche und von Privatpersonen. Lebensbücher und Grabstein wurden von dem Künstler Jub Mönster gestaltet.

Auf drei Kacheln in der Mitte des Steins ist ein vollbepackter Kinderwagen mit Einkaufstüten zu sehen. „Ein Bild, das man von vielen Obdachlosen auf der Straße kennt“, sagt Bertold Reetz. Neben dem Wagen steht eine Palme. „Symbol für die Träume. Das sind alles Menschen, die andere Vorstellungen vom Leben hatten.“ Vor dem Grabstein hat jemand Teelichter platziert und einen kleinen Engel abgestellt.

Platz für 96 Urnen

In der Regel wird die Innere Mission vom Institut für Rechtsmedizin über einen wohnungslosen Toten informiert. „Es kommt aber auch vor, dass wir einen Anruf bekommen, wenn ein älterer Mensch ohne Angehörige in einem Pflegeheim gestorben ist“, sagt Bertold Reetz. „Natürlich sagen wir nicht Nein, und die Urne wird in der Grabstelle beigesetzt.“ Platz ist insgesamt für 96 Urnen – und Lebensbücher. Jedes Jahr zu Totensonntag gibt es einen Gedenkgottesdienst und eine Andacht an der Grabstelle.

Die Idee, sagt Bertold Reetz, stammt aus Berlin. Dort hat die Evangelische Kirchengemeinde Heilig Kreuz-Passion 2002 ein „Grab mit vielen Namen“ für Arme und Obdachlose eingerichtet. Auch der Pfarrer, der es initiiert hat, ist dort bestattet. Immer mehr solcher Projekte gibt es bundesweit – und auch in Bremen. Von ehrenamtlichen Initiativen, Vereinen und den Kirchen.

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