Kollege Roboter, übernehmen Sie! Trends in der digitalen Transformation der PR

Cognitive PR

Haben Roboter ein Recht auf freie Rede? Unter Juristen, die sich mit Roboterrecht befassen, ist das längst keine akademische Frage mehr. Ihre praktische Relevanz für die PR dürfte spätestens seit dem US-Wahlkampf offensichtlich sein: Fake News und Automated Agenda Setting durch Social Bots haben hier im großen Stil Einzug gehalten.

Im Journalismus stehen Themen wie Robot-, Data-, Sensor-based-, Conversational- und Structured Journalism oben auf der Agenda und in Marketing und Werbung ist Automatisierung DAS Trend-Thema. Auch: Die Automatisierung der PR steht vor dem nächsten Innovationsschub – und der wird gravierend sein. Künstliche Intelligenz wird zur kompletten Disruption der Branche führen und unser Arbeiten noch drastischer verändern, als es die letzten beiden Stufen der digitalen Revolution getan haben. In einer Reihe von Beiträgen wollen wir die wesentlichen Entwicklungen beleuchten, die sich im Buzzword-Nebel bereits abzeichnen. Hier geben wir einen ersten Überblick.

Robo-Redakteure

Was gestandene Redakteure bislang noch belächeln, hält langsam Einzug in die ersten Redaktionen: Kollege Computer legt Hand an in der Schreibstube. Selbstlernende Vertextungsalgorithmen erstellen autonom Texte – und sie werden dabei immer besser. Die Nachrichtenagentur AP lässt beispielsweise seit einiger Zeit Quartalszahlen automatisch vertexten und auch in Deutschland beschäftigen sich viele Verlage inzwischen mit dem Thema.

Die wenigsten geben es zu, denn Roboterjournalismus klingt hierzulande nach Jobkiller, Kostensenkung und Qualitätsverlust. Als der Bremer Weser-Kurier im November 2015 bekannt gab, die Sportberichte künftig von Computern schreiben zu lassen, schlugen die Wellen so hoch, dass der Verlag klarstellen musste: Lediglich das Onlineportal experimentiere derzeit mit computergenerierten Texten. Dabei ist die Entwicklung im vollen Gange. Mit IBMs KI Software Watson werden bereits ganze Ausgaben gestalten. Die Frage ist nicht mehr ob Robo-Redakteure kommen, sondern nur noch, wann. Es wäre naiv zu glauben, dass diese Entwicklung nicht auch die PR gravierend verändern würde.

Bots bestimmen die Agenda

Bots gibt es schon lange, und seit geraumer Zeit haben sie auch vielfältigen Einfluss auf Rankings, Bewertungsportale und ähnliches. Überall, wo man mit einfachen Klicks automatisiert entweder die Nutzerzahlen oder aber Bewertungen hochtreiben kann, kommt diese Technologie zum Einsatz. Inzwischen ist allerdings schiere Menge überraschend. Das zeigen aktuelle Studien: Mindestens 400.000 Bots haben sich in die politische Diskussion zur US-Präsidentschaftswahl auf Twitter eingemischt. Dabei produzierten die automatisierten Accounts geschätzt 20 Prozent aller thematisch passenden Tweets – und das sind noch konservative Zahlen. Im Vorfeld der US-Wahl sind die Bots viel komplexer geworden und lassen sich kaum mehr von realen Accounts unterschieden.

Das ist aber erst der Anfang, denn hier reden wir noch über vergleichsweise dumme Bots. Das Thema gewinnt dann an Fahrt, wenn Unternehmen mit einer großen Zahl an künstlich intelligenten Bots in die Newsgenerierung, Kommentierung, Gewichtung und Meinungsbildung eingreifen. Dieses automatisierte Agenda Setting schafft enorme Risiken, die wir rechtzeitig erkennen und entschärfen müssen.

Der Pressesprecher wird Konkurrenz bekommen!

Eine pauschale Verdammung ist aber genauso wenig anzuraten, denn in der Technologie stecken auch viele Möglichkeiten. So sehen viele Medieninnovatoren etwa im Conversational-Journalism ein spannendes neues Experimentierfeld für Medienhäuser: Dialog-Bots verlängern die News auf Messenger wie Whatsapp und beginnen so ein direktes Gespräch mit den Lesern.

In dem Sinn kann man sich auch für Kommunikationsabteilungen spannende Anwendungen vorstellen. Eins ist sicher: Der Pressesprecher wird Konkurrenz bekommen! Wieviel Raum und Autonomie wir diesen Bot-Kollegen zugestehen, ob man in Zukunft überhaupt noch erkennen kann,  auf welcher Payroll sie stehen, das werden wir diskutieren müssen.

Von Daten getrieben

Beim Einsatz von Daten in der Arbeit ist die PR vermutlich schon weiter als bei den anderen hier angesprochenen Themen. Treiber sind hier die Kollegen aus dem Digital-Ressort. Denn gerade in der Bearbeitung der Online Kanäle beziehungsweise von Social Media, verwischen sich PR- und Marketing. Und im Marketing ist datengetriebenes Arbeiten gängige Praxis. Daten sind der Stoff, mit dem Kunden (mikro-)segmentiert werden, auf Datenbasis werden Plazierungen automatisiert – sogar die Ausgestaltung der Werbemittel wird personalisiert.

1:1 lassen sich Marketingmechanismen nicht übertragen, aber bei der Themenfrüherkennung, der Identifikation von Influencern werden Social Media Listening-Tools immer besser. Kampagnenmanagement-Software aus dem Social-Media- und Content-Marketing-Bereich hilft Kommunikatoren bei der laufenden, daten-basierten Optimierung von Kampagnen, beim Targeting und ansatzweise bei der Automatisierung von Abläufen.

Journalisten als Vorreiter

Aber das ist erst der Anfang. Ein Blick auf den Journalismus zeigt, wohin die Reise in der PR gehen kann: Hier wird experimentiert, welche Rolle Sensoren (Drohnen sind nur die prominenteste Ausprägung) bei der Content-Produktion spielen können. Sensoren wiederum produzieren jede Menge strukturierter und unstrukturierter Daten – das Spielfeld für den Datenjournalisten. Und schließlich erstellen Robot Journalists aus Daten lesbare News. Der Kreis schließt sich hier fast.

In zwei weiteren Feldern sind Journalisten Vorreiter: Erstens in der Einbindung von Nutzungsdaten in die laufende redaktionelle Arbeit (Stichwort Editorial Metrics) bis hin zum Antizipieren möglicher Leser- bzw. Nutzungstrends (Predictive Analytics). Und zweitens bei der Content-Verwaltung: Über KI-Algorithmen werden Inhalte in einzelne Bausteine zerlegt, verschlagwortet und können so bei Bedarf zu neuen Stories kombiniert werden („Structured Journalism“).

Digitaler Dialog mit Meinungsbildnern

Den Bedeutungsverlust der klassischen Meinungsbildner-Kommunikation treibt PR-Leute schon seit geraumer Zeit um. Je weniger es uns gelingt, über Journalisten und klassische Medien unsere Zielgruppen zu erreichen und zu motivieren, umso kreativer suchen Kommunikationsprofis nach Alternativen. Blogger Relations und Social Media gehören daher heutzutage zu jeder ernst zu nehmenden Kampagne. Im Bereich Consumer und Brand PR funktioniert das auch schon ganz gut. Etwas schwieriger liegt die Situation bei komplexen Fach- und Wirtschaftsthemen, für die sich in den Medien immer weniger Abnehmer finden – und die auch immer weniger gelesen werden. Auch hier wird die automatisierte PR zu aufregenden neuen Lösungen führen.

Denn was bisher rein technisch kaum möglich war, wird in absehbarer Zeit Realität sein: Ein Dialog mit Micro-Influencern, also Menschen, die im persönlichen Umfeld oder im Internet einige zig bis einige hundert Dritte erreichen. Ein personalisierter Dialog mit ihnen kommt in den Bereich des realisierbaren.

Umparken im Kopf

Zu viele Buzzwords? Ja, aber sie zeigen, an wie vielen Fronten der Innovation gearbeitet wird und dass es an Inspiration nicht mangelt. Bald schon werden wir vor der Frage stehen, ob Algorithmen zu Debatten zugelassen werden oder ob politische Systeme sie als Akteure anerkennen. Die beiden amerikanischen Juristinnen Toni M. Massaro und Helen Norton spielten bereits ein Gedankenexperiment durch, bei dem ein Roboter mit starker künstlicher Intelligenz eine Verfassungsklage wegen einer Beschränkung seiner freien Meinungsäußerung und Identität anstrengt. Sie stießen dabei auf erschreckend geringe rechtsphilosophische Hürden.

All diese Entwicklungen lassen vermuten, dass künstliche Intelligenz die Arbeit der Unternehmenskommunikation stark verändern wird. Die einzelnen Aspekte dieser Entwicklung werden wir in der Kolumne Kognitive PR näher beleuchten – und damit hoffentlich eine längst nötige Diskussion anstoßen. Die Kommunikation 4.0, die hier entsteht, basiert, genauso wie ihr großer Bruder die Industrie 4.0, auf neuen Techniken und auf einem neuen Mindset.

Dass es Arbeitsplätze kosten wird, halten wir für eher unwahrscheinlich, denn die neuen technischen Möglichkeiten werden zu einer Reihe völlig neuer Aufgaben führen. Eins ist aber sicher: Die KI stellt traditionelle Rechtsbegriffe und das ethische Selbstverständnis der Kommunikation auf den Prüfstand. Und sie wird Ausbildung und Kompetenzen, die ein Kommunikator in Zukunft benötigt, drastisch verändern. 

 

Zum Thema Cognitive PR haben die Autoren Armin Sieber und Jörg Hoewner das Cognitive-PR-Network ins Leben gerufen, auf dessen Blog Sie weitere Beiträge zum Thema – außerhalb und ergänzend zu dieser pressesprecher-Kolumne – finden.     

 

 

 

 

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