Mehr Respekt, bitte!
Credit: Denis Ignatov

Mehr Respekt, bitte!

Respekt ist ein zweischneidiges Schwert. Jeder Mensch erwartet, dass er von seinen Mitmenschen respektiert oder zumindest respektvoll behandelt wird. Sie bestimmt auch, oder? Umgedreht stelle ich immer wieder fest, dass Menschen Personen in ihrem Umfeld nicht zwangsläufig respektvoll behandeln. Dass sie dem Obdachlosen vor dem Supermarkt nicht mit Respekt begegnen. Dass sie das Putzteam im Unternehmen nicht genauso freundlich grüßen wie den CEO ihrer Firma. Oder dass sie ihrer Mitarbeiterin vor versammelter Mannschaft das Wort abschneiden, weil ihr Auftritt nicht den eigenen Vorstellungen entspricht.

Auch in der öffentlichen Debatte ist häufig von Respekt die Rede: Der Fußballspieler Lukas Podolski forderte ihn ein, als zur Europameisterschaft über seine Leistung – und die anderer nicht mehr ganz junger Spieler – gelästert wurde. Sekretärinnen wünschen sich mehr Anerkennung für ihren Berufsstand, Werbe-Manager ein besseres Standing für ihre Branche. Die Liste ließe sich fortsetzen – und trotzdem ist zu beobachten, dass respektloser Umgang weit verbreitet ist: Führungskräfte fahren ihren Mitarbeitern über den Mund. Privilegierte behandeln weniger Gebildete oder Weltgewandte von oben herab. Jüngere machen sich über Ältere lustig.

Ein solches Verhalten weist nicht nur auf eine schlechte Kinderstube hin, wir tun uns auch selbst keinen Gefallen damit, davon bin ich fest überzeugt. Wer andere nicht respektiert, beschneidet sich selbst um Einblicke, Erfahrungen und Austausch. Oder würden Sie jemandem Ihr Wissen anvertrauen, der Sie von oben herab behandelt?

Von meinen Eltern habe ich gelernt, dass Respekt genauso wichtig ist wie Demut, Ehrlichkeit und Verantwortungsbewusstsein. Sie haben es mir vorgelebt – und genauso lebe ich es heute meiner Tochter vor.

In meiner Rolle als Boxer ist das regelmäßig vor laufender Kamera zu beobachten: Fury, mein Gegner aus dem vorigen Herbst, ist dafür bekannt, dass er sich gerne mal daneben benimmt. Bei der Pressekonferenz vor dem Kampf war der Brite in einem Batman-Kostüm erschienen und hatte eine als ‚Joker‘ verkleidete Person niedergerungen. Zu anderen Gelegenheiten beleidigte er mich mit Worten und verbreitete sie über seinen Twitter-Kanal. Mancher glaubt, dass solche Provokationen zu unserem Sport dazugehören; dass Fans so etwas erwarten und es die Stimmung anheizt. Mich hat ein solches Verhalten nie beeindruckt, schon gar nicht provoziert. Ich behandle jeden einzelnen meiner Gegner mit Respekt – unabhängig davon, wie schlecht sein Verhalten ist. Auch dass Fury Anfang letzter Woche nicht auf unserer Pressekonferenz zum Rückkampf am 29. Oktober erschienen ist, weil er eine Autopanne hatte und zu viel Verkehr auf der M6 war, könnte ich als Provokation verstehen. Mache ich nicht.

Ich habe schon als Jugendlicher verinnerlicht, dass es unerlässlich ist, Respekt vor seinem Gegner zu zeigen. Denn wer seinen Kontrahenten nicht ernst nimmt, wird überheblich und ist angreifbar.

Das, was im Ring eine wichtige Überlebensstrategie ist, gilt auch im Geschäftsleben. Wer seine Konkurrenten nicht für voll nimmt, wird schnell von ihnen überrundet. Beispiele dafür gibt es genug: Weil Kodak etwa Digitalfotografie und Smartphone-Hersteller belächelte und sie nicht als aufkommende Konkurrenz erkannte, musste der einstige Markt- und Technologieführer 2012 schließlich Insolvenz anmelden. Nach sage und schreibe 132 Jahren am Markt.

Ähnliches ist überall dort zu beobachten, wo „kreative Zerstörer“ einen Markt umkrempeln und Platzhirsche überraschen, weil sie die junge, unkonventionelle Konkurrenz nicht ernst nehmen: in der Musikbranche, als Online-Services die CD ersetzten; bei Blackberry, als Touchscreens das alte Tastentelefon überholten; oder bei den etablierten hochpreisigen Fluglinien, die die Billigairlines nicht als ernsthafte Konkurrenz ansahen.

Je schneller und globaler Wirtschaft wird, desto wichtiger ist es, andere Marktteilnehmer als mögliche Partner zu akzeptieren und vielleicht sogar mit ihnen zusammenzuarbeiten, um gemeinsam schneller und schlagkräftiger zu werden. Bevor man sich ihnen öffnet und Gespräche führt, ist jedoch eines vonnöten. Respekt! Die Leistung des anderen anzuerkennen, ohne dabei sein Licht unter den Scheffel zu stellen.

Wenn ich den Studenten meines Weiterbildungsgang „CAS Change&Innovation Management“ an der Universität St. Gallen von den Vorzügen dieser sogenannten Coopetition (Kooperation mit Konkurrenten) erzähle, wenn ich von Demut und Respekt als Voraussetzung für Stärke rede, klingt es für mich manchmal wie eine Selbstverständlichkeit. Doch ein Blick in die Unternehmen zeigt, dass es das nicht ist. Manager veruntreuen Gelder und bereichern sich, weil sie die Grenze zwischen Mein und Dein nicht respektieren. Unternehmer bugsieren Steuergelder am Fiskus vorbei. Und Führungskräfte fliegen auf Firmenspesen in den Urlaub oder laden Kunden zu Lustreisen ein. Die Zahl der spektakulären Manager-Skandale hat meiner Meinung nach zugenommen: Fast wöchentlich füllt ein Skandal die Zeitungen.

Harvard-Professor Clayton Christensen hat diese Entwicklung schon 2012 in seinem Buch „How will you measure your life“ (auf Deutsch: „Wege statt Irrwege“) thematisiert: Weil seine ehemaligen Kommilitonen entweder geschieden sind, ein unglückliches Privatleben führen oder sogar wegen Betrugs im Gefängnis sitzen, wollte er sich bewusst für einen besseren Weg entscheiden. Stattdessen hält Christensen Werte wie Integrität, Loyalität und Ehrlichkeit hoch und weist darauf hin, dass beruflicher Erfolg im Vergleich zu Liebe oder Freundschaft wenig bedeutet. Er thematisiert in dem Buch Fragen wie „Wie führe ich ein glückliches und sinnerfülltes Privatleben?“, „Wie bin ich beruflich erfolgreich und habe Freude an der Arbeit?“ und „Wie vermeide ich, im Gefängnis zu landen?“. Er findet Antworten in Wirtschaftstheorien, die er auf persönliche Lebensentscheidungen überträgt; etwa die Einführung einer Familienkultur. Damit betont er Werte, die ihn, seine Kinder, Enkel und seine Frau im Berufs- wie im Privatleben leiten sollen. Anstand, Demut, Respekt gehören dazu.

Interessanterweise erlebt das Thema Respekt auch anderswo unter einem anderen Begriff eine Renaissance: Achtsamkeit. Als der emeritierte MIT-Professor Jon Kabat-Zinn auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos über Achtsamkeit referierte, hingen Dutzende toughe Top-Manager, Unternehmer und andere Entscheider an seinen Lippen. Dank Achtsamkeitstraining, so ist seine Überzeugung, können Menschen Stress, Angst und Krankheiten vorbeugen. Indem sie stärker auf sich selbst achten – und auf ihr Umfeld.

Anders ausgedrückt: Sie arbeiten daran, Respekt sich selbst und den Mitmenschen gegenüber zu entwickeln. Eine tolle Entwicklung, oder?

Egal, wie wir es nennen: Mein Leben wird lebenswerter, wenn meine Mitmenschen respektvoll mit mir und anderen umgehen. Und es wird erfolgreicher, wenn wir uns achtsam und würdevoll begegnen. Daher – und das möchte ich nicht nur meiner kleinen Tochter vorleben: Seien Sie aufmerksam und fragen Sie sich, wie Sie behandelt werden wollen. So begegnen Sie dann bitte auch Ihren Mitmenschen!

Ein spannendes und zeitgemäßes Thema haben Sie hier ausgesucht, und lesenswert behandelt, Dr. Wladimir Klitschko. Christensen und Kabat-Zinn sind seit etwa einem Jahrzehnt auch meine Begleiter, wie auch Nalebuff und Brandenburger, die den "coopetition" Begriff prägten. Ihre Erwähnung von Podolski erinnerte mich etwa an die Tennis Geschichte zwischen Kyrgios und Stanislas Wawrinka in diesem Jahr. So wie Nalebuff et al. Spieltheorie betreiben, liesse sich das Thema des Respekts mit dem Axelrod'schen Paradigma der "tit-for-tat" Strategie in Bezug setzen (beginne mit Kooperation, und kooperiere weiter, solange der andere kooperiert, schalte aber auf Eigeninteresse um, sobald der andere Sie übervorteilt, vergeben Sie ihm, sobald er auf den guten Pfad zurückschwenkt). Allerdings machen Sie sehr deutlich, dass dies nicht Ihr Ansatz ist, insofern Sie auch nach einer Respektlosigkeit weiter daranfesthalten, Respekt zu üben. Während ich dies für löblich halte, erinnert es an die "SCHWERE KOST" von der Sie und Ihr Bruder in einem Werbespot sprachen: Dostojewski. Genauer gesagt, Fürst Myschkin. Ihre Auffassung hierzu würde mich interessieren, z. B. wie mensch sich verhalten soll, wenn der andere einen mehrmals hinhält und auflaufen lässt, oder etwa ein bereits erhaltenes Produkt nicht bezahlen aber auch nicht zurückgeben möchte. Persönlich halte ich im Rahmen der Snowden-Geschichte ja "Die Brüder Karamasoff" für eine der passendsten Lektüren unserer Zeit. Zum Schluß möchte ich noch darauf hinweisen, dass Ihr abschließender Grundsatz, Mitmenschen so zu behandeln, wie mensch selbst behandelt werden möchte, eine kulturübergreifende philosophische Regel ist, bekannt als "golden rule". Etwa ist sie reflektiert im Kant'schen Imperativ (wenngleich nicht identisch dazu), wie auch in zahlreichen Religionen und Maximen (siehe etwa https://en.wikipedia.org/wiki/Golden_Rule). PS. Insofern mensch ja beim Boxen mit einem Lied einläuft und insofern Ihr Thema Respekt lautet, lege ich Ihnen das Lied "Verdamp lang her" von BAP ans Herz; es behandelt den Versuch im Rahmen weit verbreiteter Oberflächkeit zur Menschlichkeit vorzudringen.

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Dirk Fechner

Alleiniger Inhaber bei Fechner Verkehrseinrichtung

7y

Das braucht unsere Gesellschaft.......

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Es ist meine Überzeugung, dass Erziehung und Umfeld wichtige und prägende Faktoren sind. Ich rede nicht vom Gangsterrespekt, sondern Respekt als Fundament und Lebenseinstellung. Respekt gegenüber die Natur, Tiere und Menschen. Ich wähle nicht, ob ich jemand oder etwas respektiere. Wenn jemand meint, er muss seine Abfälle aus das Autofenster entsorgen, oder an manchen Tagen ist rechts überholen erlaubt, dann fehlt es überhaupt an Empathie und Respekt. Lars Werner respektiert kriminelle nicht, aber geht das? Oder man muss sich Respekt verdienen, aber wer entscheidet dann, wann es reicht und wann nicht? Ist es nicht eine arrogante Behauptung? Ich glaube zu wissen, was LW (gut) meint, aber reden wir nicht eher von Anerkennung statt Respekt? Respektvoll HKH

Warren Wessely

Qualitätsmanager bei UPLINK-Network GmbH

7y

Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, aber wie man sehen kann, haben manche , egal wo sie herkommen, keine Kinderstube gehabt. Ich finde Ihren Beitrag sehr gut und würde ihn gerne allgemein (Facebook) auch veröffentlichen, weil ich denke, dass so ein Aufruf von Ihnen sehr wichtig ist in der heutigen Zeit. Kann ich dieses , logischerweise unter Angabe der Quelle, diese tun? Vielen Dank unabhängig Ihrer Entscheidung.

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