Pulvernahrung
Ernährungstrend Food-Replacement im Test

Statt richtigen Mahlzeiten gibt es beim Trend Food-Replacement lediglich gehaltvolle Shakes. Ob sich das langsfristig durchsetzen kann? Wir machen den Test
Food-Replacement: Trinken statt Essen ist der neue Trend
Foto: Syda-Productions / Shutterstock.com

Stellen Sie sich doch mal vor, Sie wären jeden Tag 16 Stunden topfit, bestens gelaunt, uneingeschränkt leistungsbereit – ohne Unterbrechung durch Tätigkeiten wie Einkaufen, Kochen und Essen. All das verspricht jetzt das Konzept Food-Replacement – Nahrungsersatz, der in 2 Minuten zubereitet ist und Ihren Körper mit allem Notwendigen versorgt. Der US-Trend findet auch hier zu Lande immer mehr Anhänger unter den Vielbeschäftigten und Kochmuffeln. Men’s Health hat die Fakten gecheckt und eines dieser neuen Produkte 10 Tage lang ausprobiert.

Was steckt hinter dem neuen Trend "Food-Replacement"?

Schneller Nahrungsersatz („Food-Replacement“) ist im Silicon Valley und in anderen Start-up-Hotspots zurzeit der Renner. Das bekannteste Produkt in diesem neuen Food-Segment heißt Soylent. Dessen Erfinder, der US-Software-Entwickler Rob Rhinehart, ist mit dem Produkt so erfolgreich, dass er jetzt nicht mehr programmiert, sondern nur noch weltweit Pulver vertreibt. Als Basis für Soylent und seine Konkurrenten dient in der Regel ein Proteinpulver, etwa Sojaproteinisolat oder Haferprotein. Dieses wird angereichert mit Öl, Ballast- und Mineralstoffen sowie Vitaminen. Der Brennwert der Produkte liegt bei ungefähr 2000 Kalorien. Sie enthalten mehr als 60 Gramm Eiweiß, etwa 250 GrammKohlenhydrate und im Schnitt rund 70 Gramm Fett. „Diese Ernährungsform bringt dem Menschen alle Nährstoffe, die er braucht“, so Dr. Matthias Riedl, Ernährungsmediziner und Leiter des medizinischen Versorgungszentrums Medicum in Hamburg. Gourmets kommen nicht auf ihre Kosten, die Drinks schmecken eher neutral. Einige gibt es in Geschmacksvarianten (Vanille, Stevia-Süße), andere Pulver lassen sich je nach Gusto mit Fruchtsäften zubereiten. 

Der Nahrungsersatz eignet sich besonders für Kraftsportler – © vuk8691 / Shutterstock.com

Für wen ist der Nahrungsersatz geeignet?

Vom Nahrungsersatz profitieren besonders Menschen, die unter Zeitdruck stehen und dann gern zu zuckerreichen Snacks, zum Beispiel Schokoriegeln, greifen. „Im Gegensatz zu diesen Snacks oder süßem Fast Food, lässt einNahrungsmittel wie Soylent den Blutzuckerspiegel nicht extrem in die Höhe schießen“, erläutert Dr. Sibylle Adam, Professorin für Ernährungswissenschaften an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg. „Der gefürchtete Hunger-Ast hat bei solchen Lebensmitteln keine Chance, denn sie sättigen langanhaltend.“ Zudem verhindern sie eine einseitige Ernährung.

Erfinder Rob Rhinehart hat sein Produkt Soylent für den dauerhaften Gebrauch entwickelt und auf Durchschnittsmenschen zugeschnitten, die hauptsächlich sitzend arbeiten und im Alltag mäßig aktiv sind. Für alle, die sich nicht mit diesem Einheits-Food zufriedengeben möchten, gibt’s die Möglichkeit, sich eine individuelle Mischung herstellen zu lassen, abgestimmt auf das Körpergewicht und den Kalorienverbrauch. Letzterer ist zum Beispiel bei Ausdauerathleten höher. „Nehmen diese einfach pro Tag einen Drink mehr zu sich, stimmt zwar die Kalorienzufuhr, doch der Energieanteil aus Kohlenhydraten ist zu gering und der Proteinanteil zu hoch“, erklärt Ernährungsmediziner Riedl. Und so lassen sich keine sportlichen Höchstleistungen erbringen. Der Nahrungsersatz ist eher für Kraftsportler geeignet. Weniger aktive Menschen sollten ein Produkt wählen, das nicht mehr als 1 Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht liefert. Wichtig ist, maximal 30 Gramm reines Eiweiß pro Portion zuzuführen. „Bei einem zu hohem Proteinanteil legen Sie rasch an Gewicht zu“, warnt Mediziner Riedl. 

(A)sozialer Aspekt: Ist Trinken das neue Essen? 

Essen hatte früher ausschließlich den Zweck, dem Körper Nährstoffe zuzuführen. Mittlerweile ist die Philosophie eine andere: „Allein die offenen Küchen in modernen Wohnungen zeigen, dass Essen heute ein wichtiges Element der Kommunikation geworden ist“, sagt Ökotrophologin Adam. „Ohne das Mittagessen würde man etwa kaum noch dazu kommen, mit seinen Kollegen über private Dinge zu sprechen.“ Würde man also die Ernährung komplett auf Soylent oder eine andere Ersatznahrung umstellen, fiele dieser soziale Aspekt unter den (Ess-)Tisch. 

Lebensmittel versus Pulver-Mahlzeit: Wie gesund ist die Flüssignahrung?

Was für ein Potenzial natürliche Lebensmittel haben, sollte man in keinem Fall außer Acht lassen. „Es bestehen immer Wechselwirkungen zwischen Inhaltsstoffen“, sagt Mediziner Riedl. So gewinnen die verschiedenen sekundärenPflanzenstoffe im Gemüse in der Kombination an gesunder Wirkung. Ernährungswissenschaftlerin Adam ergänzt: „Auch wenn in Nahrungsersatzgetränken alle wichtigen Nährstoffe enthalten sind, können sie aus natürlichen Lebensmitteln doch viel besser aufgenommen werden. Die Bioverfügbarkeit ist deutlich höher.“ Was natürliche Lebensmittel besonders macht, ist das, was man noch nicht über sie weiß. So ist etwa die Wirkung von sekundären Pflanzenstoffen teilweise noch nicht erforscht. „Grünkohl zum Beispiel enthält Stoffe, die ihn vor Frost und uns wiederum vor Krebs schützen“, erklärt Riedl. Aber es gibt noch mehr bedenkenswerte Faktoren. „Wenn Sie jede Mahlzeit durch Flüssignahrung ersetzen, dann verlieren Sie schnell den Bezug zum Essen“, so Adam. „Steigen Sie wieder auf Normalnahrung um, wissen Sie gar nicht mehr, was für Ihren Körper gut ist.“ 

Food-Replacement im Test: 10 Tage ohne Essen

Unser Tester: Alex Evans ist als Food-Blogger (www.letsgetf.it) und Übersetzer ständig im Stress. Der Vielarbeiter freut sich über jede Art der Zeitersparnis. Aber er liebt auch das Essen, ist ein bekennendes Schleckermaul. Als wir ihn baten, ein neues Lebensmittelkonzept, das Produktivität und Energie steigern soll, für uns zu testen, hat er spontan zugesagt. Doch sein inneres Schleckermaul hätte wohl widersprochen, wenn ihm wirklich klar gewesen wäre, worauf er sich dabei einlässt. Im Tagebuch-Stil schildert-Alex für Sie seine Erfahrungen und Erlebnisse. 

ALEX’ 1. TAG „Mein Testprodukt Huel (erhältlich über https://de.huel.com) schmeckt süßlich und leicht nach Vanille. Das Ganze dreimal am Tag ist dann doch ein wenig langweilig, aber ich versuche es. So richtig leistungsfähig fühle ich mich am Abend noch nicht – ganz im Gegenteil: Leichte Erkältungssymptome wie Kopf- und Halsschmerzen kommen dazu. Aber den Erfahrungsberichten anderer Leute zufolge ist das normal.“

ALEX’ 3. TAG „Der Verzicht aufs Essen ist mir leider viel präsenter als die Zeit, die ich auf Grund der Umstellung gewinne. Ich ertappe mich, wie ich immer wieder mit Stielaugen Richtung Kühlschrank starre. Ich muss so sehr ans Essen denken, dass ich mir aus dieser teigartigen Masse Pfannkuchen mache. Ist zwar geschummelt, aber ich freue mich, endlich mal wieder etwas kauen zu können.“

ALEX’ 5. TAG „Die Erkältungssymptome sind verschwunden. Seit gestern fühle ich mich topfit, bin den ganzen Tag hellwach. Das  Essen vermisse ich immer weniger. Ich bin zufrieden, habe Lust, aktiv zu sein. Das schlägt sich auch positiv auf meine Arbeit nieder, ich bin viel motivierter als vorher. Allein das war es wert, die ersten, schwierigen Tage nach dem Wechsel durchzuhalten.“

ALEX’ 7. TAG „Ich fühle mich unwohl, wenn ich der Einzige bin, der nichts isst. Würde ich zu einer Verabredung mit meinem Shake auftauchen, würde ich ausgelacht oder nur fragende Blicke ernten. Grundsätzlich finde ich das Food- Replacement-Konzept ganz gut. Aber auf Dauer würde ich mir 2 bis 3 echte Mahlzeiten pro Woche gönnen, damit ich mit Familie und Freunden essen gehen kann.“

ALEX’ 10. TAG „Ich gewinne in der Tat deutlich Zeit durch das Experiment, bin entspannter und konzentrierter bei der Arbeit. Aber langsam fühle ich mich, als würde ich nur fürs Arbeiten leben. Gar nichts zu essen, ist spaßfrei. Interessant ist es schon, dass ich nichts mehr zu futtern brauche. Wer weiß, vielleicht ernähren sich Menschen im Jahr 2092 nur noch von Pulver, um so die Umwelt zu schonen und bis zum 80. Lebensjahr zu arbeiten. Mir reicht’s jetzt allerdings. Morgen kommt wieder ein saftiges Steak auf den Teller!“

Fazit zum flüssigen Nahrungsersatz

Nahrungsersatz wie unser Testprodukt Huel ist durchaus praktisch und zeitsparend – aber ist das Ganze auch langfristig sinnvoll? – © PR

Eine Dauerlösung über Jahre ist Food-Replacement eher nicht. „Für länger als 3 Monate ist die komplette Umstellung nicht zu empfehlen“, sagt Ernährungsmediziner Riedl. Blähungen und Bauchschmerzen könnten dabei auftreten. Expertin Adam vermutet, dass die Kaumuskulatur schwinden könnte. Aufschluss brächten Langzeitstudien, die es aber natürlich noch nicht gibt. Trotzdem birgt diese Art der Ernährung eine Chance. Phasenweise Labordrinks zu schlucken, ist definitiv besser, als gar nichts zu essen oder hektisch Fast Foodzu verschlingen. Mit so einem Shake etwa vor einem wichtigen Meeting bliebe der Hunger aus – und auch das damit verbundene Aggressionspotenzial. Aber ein Leben lang nichts mehr essen? Depressive Verstimmung sei auf Grund so eines Verzichts nicht zu erwarten, meint Ernährungsmediziner Riedl, warnt aber: „Mal ehrlich, das wäre wie eine Kastration. Alles, was Menschen von Natur aus wirklich Spaß macht, ist doch Essen und Sex.“ Wir wollen Ihnen jedenfalls keines von beiden verderben. 

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Erscheinungsdatum 11.04.2024