Das Lesen deutscher Zeitungen ist Arbeit

Geschrieben am 23. Oktober 2016 von Paul-Josef Raue.
Der Designer Norbert Küpper

Der Designer Norbert Küpper

In Skandinavien sind die meisten Lokalzeitungen ein Fest fürs Auge, die dennoch ausreichend Futter für den Verstand bieten: Zeitungen sind aufgemacht wie Magazine mit großzügigem und frischem Layout.

Warum sind deutsche Redakteure offenbar so verschieden im Vergleich zu skandinavischen?, fragte ich Norbert Küpper, einen der wichtigsten Designer für Tageszeitungen in Deutschland:

In Deutschland ist man Journalist, weil man gerne schreibt. Man geht gerne mit Sprache um, ist sprachlich kommunikativ. Dass man auch visuell kommunikativ sein kann und viele Informationen so noch besser übermitteln kann, wird offenbar noch nicht ausreichend vermittelt. Redaktionssysteme scheinen auch zu kompliziert, um alternative Storyformen zu gestalten – jedenfalls für Redakteure.

Die Abneigung, Design zu schätzen, wurzelt tief in der deutschen Zeitungs-Geschichte und der Philosophie, wie wir Journalismus sehen. Die fünf Gründe:

  1. Das Lesen deutscher Zeitungen ist Arbeit. Wer seinen Verstand nutzen will, muss sich mühen. Immanuel Kant ist der Vater dieser Vermutung, er schreibt in seinem Essay „Was ist Aufklärung?“: „Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen gerne zeitlebens unmündig bleiben.“ Das Gegenteil der Faulheit sind Eifer und Mühe; der ideale Zeitungsleser ist also der Eifrige, der im Weinberg der Aufklärung schuftet.
  2. Schreiben ist Arbeit.Wolf Schneider hat die Idee festgeschrieben: Nicht der Leser muss sich plagen, um Texte zu verstehen, sondern der Journalist, um sie verständlich zu schreiben. Schneiders Idee ist zwar in vielen Köpfen, die Wirklichkeit ist meist davon entfernt: Menschen scheuen Mühe, Redakteure auch, sie überlassen den Lesern die Arbeit und nennen ihr Ergebnis „anspruchsvoll“.
  3. Die Welt ist wichtiger als der Nachbar. Der Typ des Generalanzeigers, der in die weite Welt schaut, ist noch immer das Ideal vieler Verleger und der meisten Chefredakteure, auch wenn fast alle Leser- und Marktforschungen das Gegenteil belegen: Das Lokale vorn! Selbst den Oberstudienrat interessiert am meisten das neue Konzept für das Stadtzentrum, auch wenn er kritisiert: Dann erfahren die Bildungsfernen nichts mehr von der Regierungskrise in Bangladesch.
  4. Der Leser ist nicht bereit. Der Chefredakteur, der im Wochenend-Magazin mit mehr Weißraum spielt, bekommt gleich Anrufe und Briefe von Lesern: „Bekommen Sie den Platz in der Zeitung nicht mehr gefüllt? Ich hätte da einige Anregungen“; andere drohen gleich: „Ich bezahle das Abo nicht für leere Seiten“; wieder andere empfehlen: „Schreiben Sie doch darüber ,Raum für Notizen‘, dann hat es wenigstens einen Sinn.“
  5. Es hat noch keiner so radikal versucht. Der Verleger fürchtet Ärger und Abo-Kündigungen; er kennt die Schilderung von Kollegen, die nach einem Relaunch von den schrecklichsten Stunden ihres Lebens berichten. Der Chefredakteur fürchtet sich vor dem Unmut seiner Redakteure, die weniger Stellen bekämen zugunsten von Layoutern und Infografikern, die er für ein Qualitäts-Layout einstellen muss.

Mehr zum skandinavischen Layout und zu „Kvinnheringen“, Europas Lokalzeitung des Jahres, die aus Nordnorwegen kommt, im Blog JOURNALISMUS! bei kress.de

2 Kommentare

  • Da musste ich mir beim Lesen dieses Textes zunächst verwundert die entzündeten Augen reiben – da schreibt ein Mann, der meine nicht unerhebliche Zahl an Jahren noch ein wenig überschreitet von der Mühe des Lesens – und setzt im Netz den Vorspann seines Beitrags in welcher Punktgröße genau??? Schilt andere Redakteure mangelnden kommunikativen Denkens und die Sorge von Chefredakteuren zugunsten von Layoutern und Grafikern Redakteursstellen loszuwerden – um dann für das Ergebnis vom Leser auch noch Dresche zu beziehen…

    Auch inhaltlich eine Zumuntung schon im Vorspann: K40? K41? O54? Man ahnt, dass sich dahinter Abteilungen verbergen – die unterschiedlichen Funktionen also organisatorisch getrennt statt vereint sind. Aber: Wenn er Abtelungen meint und das seine Kritik ist – wieso bringt er das nicht in der eingeforderten Leserfreundlichkeit klar zum Ausdruck. „Abteilung K40 macht das Layout“ wäre jetzt auch keine allzu strapaziöse Syntax…

    Für eine schon bessere visuelle Lesbarkeit seines Beitrags hätte Raue dafür nicht einmal betriebshierarchische Hürden überwinden müssen – scheint Design, Technik und Layout doch von seinem Filius, Bruder oder Cousin besorgt zu werden. Aber doof sind eben immer nur die anderen.

    Hmm, alles in allem persönlich eine Enttäuschung – war doch zumindest bei mir der Name Raue bislang nicht mit einer ziemlich einfach gestrikten Klugscheißerei konnotiert… Schade!

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