Kein Erfolg? Dosis erhöhen! – Seite 1
Wer wissen
möchte, wie es um die digitale Kompetenz des amtierenden EU-Digitalkommissars
Günther Oettinger bestellt ist, sollte sich seinen Tweet vom 5. September
anschauen. Er enthält ein Zitat aus einen Interview, das Oettinger der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gab:
"Auch iPhone, Tablets oder Facebook bieten längst news feeds an. Wir
wollen die Verlage nicht zuletzt gegenüber diesen neuen Anbietern
stärken."
In dem Zitat
wirft Oettinger einzelne Smartphonemodelle, komplette Geräteklassen und einen
Plattformbetreiber in einen Haufen. Dass weder das iPhone noch Tablets
irgendwelche Nachrichten anbieten, sondern es natürlich einzelne Apps und
Dienste sind, die auf diesen Geräten installiert sind, sollte ein
Digitalkommissar eigentlich wissen. Es war halt eine Verkürzung, ließe sich
argumentieren. So läuft das in Gesprächen, das passiert, schon klar.
Doch das Zitat bestätigt
die Haltung, die bei Günther Oettinger und weiten Teilen der EU-Kommission
vorherrscht: Das, was aus diesem Internet und von diesen "neuen Anbietern"
kommt, verstehen wir nicht immer. Es ist deshalb bedrohlich und wir müssen
Europa davor schützen. In diesem Fall die europäischen Verlage, die mit
sinkenden Auflagen und Werbeerlösen kämpfen, während Onlinedienste wie Google sich
fleißig ihrer Inhalte bedienen, ohne dafür zu bezahlen.
Das europäische Leistungsschutzrecht soll kommen
Die mutmaßliche
Lösung für das Problem wurde nun als Teil der EU-Urheberrechtsreform
vorgestellt. Europäische Verleger sollen gemäß Artikel 11 der neuen
EU-Richtlinie künftig verwandte Schutzrechte gegenüber Onlinediensten – von
Google über Facebook hin zu App-Anbietern wie Flipboard – einklagen können.
Wenn diese Inhalte der Presse verwenden, zum Beispiel indem sie Ausschnitte von
Texten (sogenannte Snippets) zeigen, können die jeweiligen Publikationen auf
eine auszuhandelnde Vergütung bestehen, die Verwendung komplett untersagen oder
sie einfach weiterhin gratis erlauben.
Der Vorschlag
klingt nicht nur bekannt, er ist es auch. Die EU-Kommission möchte nämlich
nichts anderes als ein europäisches Leistungsschutzrecht. Genau ein solches
Leistungsschutzrecht, wie es auf nationaler Basis in den vergangenen Jahren in
Deutschland und Spanien bereits eingeführt wurde – und dort größtenteils
scheiterte.
Was nämlich in
erster Linie dafür gedacht war, den Marktführer Google mit seinen Diensten wie
Google News zum Zahlen zu bewegen, brachte weniger Einnahmen für die Verlage
als Arbeit für die Gerichte. In Spanien stellte Google seinen Newsdienst
komplett ein, in Deutschland gaben selbst jene Verlage, die für das
Leistungsschutzrecht waren, dem Unternehmen schließlich doch die Erlaubnis zur
Gratisnutzung. Aus Angst, dass die Besucherzahlen einbrechen könnten, wenn
Google sie kurzerhand von seinen Diensten ausschließt.
Die Kritik wurde ignoriert
Nun soll die in
Deutschland gescheiterte Gesetzgebung europaweit kommen. Viel hilft viel, denken
sich die Befürworter, oder wie Günther Oettinger am Mittwoch sagte:
"Der europäische Binnenmarkt mit 510 Millionen Menschen ist für jeden globalen Player so wichtig, dass er auf ihn nicht verzichten will." Anders gesagt: Wenn die gewünschte Heilung der Verlagsbranche
in einzelnen Ländern nicht funktioniert, müssen wir eben die Dosis erhöhen. Es
ist ein antiquiertes Verständnis von Medizin. Zumal der Entwurf mehr Fragen
aufwirft als er beantwortet.
Erstens gibt es
keine Definition davon, in welchem Rahmen die Verwendung von Presseerzeugnissen
eigentlich für eine Vergütung infrage käme, also etwa wie lang Snippets sein
dürften. Die lose Definition könnte nicht nur die Gerichte beschäftigen,
sondern in der härtesten Auslegung auch bedeuteten, das selbst Überschriften
davon betroffen sind.
Das Problem mit der Definition
Zweitens geht die Schutzdauer weit über die des deutschen Leistungsschutzrechts hinaus: Statt einem Jahr sollen Verlage nach EU-Recht bis zu 20 Jahre lang Vergütungen einfordern können. Damit sollen offiziell Pressearchive geschützt werden, doch die Idee dahinter dürfte eher sein, die Basis für einen long tail an Einnahmen zu garantieren.
Drittens schreit schon die Definition von schützenswerten Publikationen nach weiteren Gerichtsverfahren: So soll das Gesetz zwar ausschließlich "journalistische Publikationen" im Dienste der Information und Unterhaltung betreffen. Doch wo die Grenze zwischen einem unabhängigem Lifestyleblog und einem Tabloid verläuft, ist unklar. Und wer möchte schon definieren, was heutzutage Journalismus ist und was nicht?
Nächster Schritt Wettbewerbsrecht?
Diese
Kritikpunkte wurden schon mit dem Leak der Richtlinie laut. Die EU-Kommission
hat sie willentlich überhört. Unter der Prämisse, die malade europäische
Verlagsbranche zu retten, holt sie nun zum nächsten Schlag aus. Die Initiative
richte sich nicht ausdrücklich gegen Google, betonte Oettinger immer wieder.
Das mag einerseits sein, schließlich wird auch Facebook im Nachrichtenbereich
immer wichtiger. Andererseits aber passt die Einführung eines europäischen
Leistungsschutzrechts in die größeren Bemühungen der EU, den Einfluss der
US-Firmen zu bremsen.
In den kommenden
Monaten muss der Entwurf noch von den Mitgliederländern und dem Europaparlament
abgesegnet werden. Sollte dieser unverändert durchgehen, muss am Ende jeder Verlag für
sich entscheiden, ob er die Medizin namens Leistungsschutzrecht in Anspruch
nimmt und künftig von Onlinediensten Geld einklagt – oder ob er ihnen einfach
weiterhin die Nutzung erlaubt und das europäische Recht in einem ähnlichen Limbo
endet wie in Deutschland.
Auch die
einflussreichen Dienste müssen sich fragen, ob sie auf die Forderungen
eingehen, ihre Angebote in den EU-Ländern komplett abschalten oder einfach
einzelne Medien "ausladen". Dass letzteres Szenario eigentlich keine
Lösung ist, ließ Günther Oettinger bereits zwischen den Zeilen verlauten: "Natürlich
hat Google momentan eine enorme Marktmacht", sagte Oettinger. "Die
daraus entspringenden Probleme können wir aber nicht mit dem
Leistungsschutzrecht lösen." Dafür gebe es das Wettbewerbsrecht.
Die nächsthöhere Dosis, sie steht bereits im Schrank.
Wer wissen
möchte, wie es um die digitale Kompetenz des amtierenden EU-Digitalkommissars
Günther Oettinger bestellt ist, sollte sich seinen Tweet vom 5. September
anschauen. Er enthält ein Zitat aus einen Interview, das Oettinger der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gab:
"Auch iPhone, Tablets oder Facebook bieten längst news feeds an. Wir
wollen die Verlage nicht zuletzt gegenüber diesen neuen Anbietern
stärken."
In dem Zitat
wirft Oettinger einzelne Smartphonemodelle, komplette Geräteklassen und einen
Plattformbetreiber in einen Haufen. Dass weder das iPhone noch Tablets
irgendwelche Nachrichten anbieten, sondern es natürlich einzelne Apps und
Dienste sind, die auf diesen Geräten installiert sind, sollte ein
Digitalkommissar eigentlich wissen. Es war halt eine Verkürzung, ließe sich
argumentieren. So läuft das in Gesprächen, das passiert, schon klar.