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Sascha Lobo

Absturz der Enthüllungsplattform Assange macht WikiLeaks zum Instrument für Trump

Die Enthüllungsplattform WikiLeaks war wichtig für unsere Demokratie. Jetzt ist ihr Gründer Julian Assange nur noch verbittert - und unterstützt sogar Donald Trump.
Julian Assange

Julian Assange

Foto: PAUL HACKETT/ REUTERS

Kürzlich hat WikiLeaks einen 678 MB großen Schwung neuer Dokumente  der Demokratischen Partei in den USA veröffentlicht. Der Zeitpunkt - mitten im Präsidentschaftswahlkampf - ist natürlich kein Zufall, im Gegenteil symbolisiert er den vorläufigen Tiefpunkt eines Sturzes.

Denn WikiLeaks, man muss es so formulieren, macht inzwischen aktiv Wahlkampf für Donald Trump. Denn Timing ist immer Teil einer Nachricht. Der Sturz ist der des Gründers von WikiLeaks, Julian Assange, und seiner Leak-Plattform in die Sphäre der verbitterten Weltverachtung.

Wie können eigentlich Millionen erwachsener Menschen einen narzisstischen, rassistischen Betrüger wie Donald Trump wählen? Auf diese Frage gibt es nicht nur eine, sondern ein ganzes Bündel von Antworten. Eine davon erscheint als verstörendste, sie wurde im August 2015 nach einer öffentlichen Frage des Magazins "The Atlantic" von einem Trump-Anhänger selbst präziser und poetischer formuliert , als irgendein Journalist es vermocht hätte:

"Wie der Joker aus 'Batman - The Dark Knight' möchte ich einfach die Welt brennen sehen."

Die kurze, per Mail eingeschickte Begründung des Trump-Anhängers enthält neben der Selbstbezeichnung "Anarchist" eine interessante zusätzliche Komponente, nämlich die Forderung, seine E-Mail-Signatur unbedingt mitzuveröffentlichen. Sie lautet: "Gesendet von einem NSA-überwachten Gerät."

Persönlich kann ich gut nachvollziehen, wie der Zustand der Welt, auch und gerade durch Enthüllungen von WikiLeaks bis Snowden, einen in die Verzweiflung treibt. Einige meiner Snowden-Kolumnen hier auf SPIEGEL ONLINE zeugen davon. Aber es gibt auf dem wonnig widerborstigen Weg der Verzweiflung einen Kipppunkt, von dem ich froh bin, ihn nie erreicht zu haben: das Gefühl, jetzt sei auch schon alles egal.

Es ist ein gefährliches Gefühl, weil es früher oder später zwangsläufig menschenfeindlich wirkt. Es trennt die notwendige, auch bittere Kritik des Weltgeschehens vom Wunsch, die Welt zu verbessern. Und wer das Ziel der Weltverbesserung verliert, gerät in die Destruktivität.

Assange war immer eine problematische Figur

Julian Assange war nie ein Held, auch wenn einige der Enthüllungen der von ihm mitgegründeten Plattform WikiLeaks die Welt vorangebracht haben. Assange war immer eine problematische Figur, aber solange er als personales Symbol gegen die - oft katastrophale - Geheimniskrämerei von Staaten und Behörden fungierte, ließ sich das in Kauf nehmen.

Der Blick in die Geschichte zeigt, dass es immer und immer wieder schillernde, ambivalente Gestalten mit oft fragwürdigen Motivationen sind, die gegen die Mächtigen gerichtete und im Kern notwendige Bewegungen anstoßen.

Aber dann begann Assange etwas, das man als Rachefeldzug bezeichnen muss. Die Vergewaltigungsvorwürfe in Schweden und der folgende, faktische Hausarrest in der Londoner Botschaft von Ecuador könnten der Beginn davon gewesen sein.

Spiel mit Antisemitismus

Meiner Meinung nach sind die eigentlichen Vorwürfe aus der Distanz nicht zu klären und eignen sich deshalb kaum zur Charakterisierung - die diesbezüglichen Äußerungen von Assange aber sehr wohl. Seine Einlassung von Dezember 2010, Schweden sei "das Saudi-Arabien des Feminismus", taugt als erster Wegweiser in Richtung eines Rechts-Anarchismus. Es ist nicht die einzige Parallele zwischen Assange und den Trump-Fans.

Immer wieder spielt WikiLeaks zum Beispiel mit offenem oder implizitem Antisemitismus. Ein von WikiLeaks ausgewählter schwedischer Kooperationspartner  der Plattform etwa ist Holocaust-Leugner. Im Sommer 2016 twitterte WikiLeaks  zwei (inzwischen gelöschte) Statements über diejenigen, die drei Klammern um ihre Nutzernamen bei Twitter tragen.

Es handelt sich dabei inzwischen um ein Internetsymbol gegen Antisemitismus, aber zunächst markierten auf diese Weise Neonazis Juden im Internet. WikiLeaks schrieb darüber, es sei ein "Stammessymbol von Aufsteigern des Establishments" - mit dem Wissen, dass es sich um nichts weniger als einen "digitalen Judenstern" handelt, gerinnt diese Bemerkung eindeutig zum Antisemitismus.

Unwillig, die eigenen Positionen infrage zu stellen

Im Sommer machte WikiLeaks die vorgeblichen "AKP-Leaks" groß (ein anderer Hacker hatte sie veröffentlicht). Allerdings handelte es sich gar nicht um Mails von der AKP - sondern um Mails an die AKP, die meisten von gewöhnlichen Bürgern. Dazu kamen Postings aus türkischen Internetforen - und die persönlichen Daten von nahezu allen türkischen Wählerinnen.

Als die türkisch-amerikanische Internetsoziologin Zeynep Tufekci darauf hinwies, entschuldigte sich der Hacker und zog das Leak zurück . Nicht so WikiLeaks. Im Gegenteil reagierte es mit dem (bei Tufekci absurden) Vorwurf der Parteinahme für Erdogan, ohne auf die gar nicht vorhandenen AKP-Interna und potenziell für Privatpersonen schädlichen Folgen des Fehl-Leaks einzugehen.

Es ist diese Form der Abkehr von der faktisch messbaren Realität, in Verbindung mit dem Unwillen, die eigenen Positionen infrage zu stellen oder Fehler einzugestehen, die eine weitere Gemeinsamkeit zwischen Assange und der trumpschen Sphäre darstellt. Bei Trump wie bei Assange sind es immer die anderen, die Fehler gemacht haben, die Schmierenkampagnen fahren, die mit Dreck werfen. Die Tatsache, dass Assange tatsächlich das Ziel von Kampagnen ist, bedeutet aber eben nicht, dass er einen Freibrief für alles hat und nie Fehler macht.

Verschwörungstheoretische Andeutungen

Und schließlich arbeiten Trump wie Assange mit verschwörungstheoretischen Andeutungen. Das WikiLeaks-Universum hat eine strukturelle Nähe zu Verschwörungen, naheliegenderweise, die Plattform half, einiges aufzudecken, was man als Verschwörung betrachten kann.

Aber im Rahmen des ersten Leaks über die Demokraten in den USA gab Assange ein Interview, in dem er sagte: "Whistleblower leisten Erhebliches, um uns mit Material zu versorgen, und sie riskieren oft sehr viel. Da gibt es einen 27-Jährigen, der für die Demokraten arbeitet, dem wurde in den Rücken geschossen, ermordet, vor ein paar Wochen, aus unbekannten Gründen, als er in Washington auf der Straße ging." Assange hat damit nicht nur gegen alle Prinzipien mutmaßlich eine Quelle offenbart (oder so getan). Er hat so den Demokraten unterstellt , einen Mitarbeiter wegen eines Leaks ermordet zu haben. Das ist exakt der Trump-Sound.

Das konzeptionelle Erbe von WikiLeaks bleibt

Julian Assange möchte in persönlich aussichtsloser Lage ganz offenbar die Welt brennen sehen, er ist damit zur Ikone eines trumphaften Rechts-Anarchismus geworden, der die Egozentrik zum Leitbild erhoben hat: Ich und der Kampf für meine Werte sind das Wichtigste, was existiert. WikiLeaks war einst das Symbol, dass in digital vernetzten Zeiten das anonyme Leak unersetzbar ist, weil die daraus resultierende Öffentlichkeit einen Teil der demokratischen Kontrolle ausmacht. Das ist auch immer noch so.

Aber die Radikalität und die Egomanie von Assange hat nicht nur Edward Snowden zu einer Distanzierung von WikiLeaks gebracht  - sie hat offenbart, dass WikiLeaks in Form der Person Julian Assange an sich selbst gescheitert ist.

Das konzeptionelle Erbe von WikiLeaks jedoch bleibt - nämlich die noch immer und immer dringender bestehende Notwendigkeit von Leaks zur Aufrechterhaltung der Kontrollfunktion der Mächtigen. Das unbestreitbare Verdienst der Leak-Plattform ist, dass heute fast jedes Medium anonyme Briefkästen hat. Ein Stück der DNA von WikiLeaks ist für immer in den medialen Körper der Öffentlichkeit eingedrungen. Der Rest von WikiLeaks kann inzwischen weg.

Sascha Lobo
Foto: Reto Klar

Themenseite S.P.O.N. - Die Mensch-Maschine
Autor und Strategieberater, Schwerpunkte Internet und Markenkommunikation. Eine unvollständige Liste seiner Publikationskanäle:Sascha Lobo Sascha Lobo auf Facebook Sascha Lobo auf Twitter 

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