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Digital Transformation

Warum Sie heute Community-Management statt Marketing machen sollten!

Die heute angewandten Marketingkonzepte basieren zu einem großen Teil noch auf einem Erkenntnisstand von vor dem Internet. Zwar werden heute wohl modernere und aktuellere Modelle gelehrt, die Marketingverantwortlichen, die allerdings heute am Werk sind, haben meist keine wirkliche Ahnung. Das hält sie natürlich nicht per se davon ab, möglichst viele Dinge im Internet resp. in Social Media zu tun. Leider aber sehr oft mit äußerst bescheidenem Erfolg. Dabei wäre es gar nicht so schwer: Wenn man erstmal verstanden hat, dass man eine Community hat. Und keine „Absatzbasis“.

 (Lesedauer: 6 Minuten)

Dinosaurier-Konzepte

Als ich vor rund 10 Jahren im Studium Marketing-Unterricht hatte, wurde dies von einem älteren Herrn lektoriert. Er hatte als Marketing-Verantwortlicher diverse Produkte im Bereich Duschbad (Für unsere Schweizer: Duschmittel) erfolgreich gelauncht. Unter anderem «Dusch-Das», (wer das noch kennt).

Marketing war für ihn hauptsächlich das Verwalten des Budgets über die 4P. Das ist jetzt stark vereinfacht, aber es ging tatsächlich meist darum, über welche Kanäle man die Produkte absetzt, wie viel Geld man in welche Maßnahmen steckt und wo man statistisch betrachtet, welche Returns erwarten kann. Das war eine tolle Sache, denn es gab recht oft ein total klares richtig oder falsch (in den Prüfungen). Etwas was ich so in meiner Marketingpraxis nie erleben durfte. Online-Marketing wurde auch auf meine vehemente Anregung nicht ansatzweise erwähnt. Word-of-Mouth bekam eine halbe Stunde. In 4 vollen Semestern.

Nun werden Sie sagen „Naja, mein Guter, das war vor 10 Jahren und ja das ist lange her“. Aber ich habe doch einige Kollegen, welche wie ich nun gegen Ende 30 gehen und genau einen solchen CMO Job haben. Die denken leider noch immer mehr oder minder in diesen Bahnen. Machen „Kampagnen“, wollen „Brand Awareness“ schaffen. Eine „Markenwelt“ kreieren. Ich denke mir, öfter als mir lieb ist, im Stillen „Ach Kinder, solange Ihr nicht Gucci seid, müsst Ihr doch nicht an der Markenwelt arbeiten“. Warum? Weil ich denke die Zeit solcher Denkmuster ist abgelaufen. Ganz einfach weil wir im Zeitalter der Netzwerke angekommen sind. Hello World!

Das Zeitalter der Netzwerke

Die wichtigste Rolle spielt für mich dabei die Customer Experience (an dieser Stelle wieder einmal die Buchempfehlung: „Conversational Capital – How to create stuff people love to talk about“ von Sid Lee, den aus meiner Sicht absoluten CX Thought-Leadern) und vor allem Mund-zu-Mund-Propaganda oder Word-of-Mouth (WOM). Diese hatte schon immer einen erheblichen Effekt auf den Erfolg der Anstrengungen, wurde aber traditionell verschwiegen. Der Grund ist simpel: WOM war in der analogen Welt nicht wirklich zu greifen, weil es im Verborgenen stattfand. Unter Freunden, am Stammtisch, Sonntags nach der Kirche. Wäre ja noch schöner, wenn so etwas diffuses für den Erfolg von Marketing und Werbung zuständig wäre.

Heute jedoch leben wir in einer anderen Welt. In einer Welt der Netzwerke, der sozialen Netzwerke. Und WOM ist für sämtliche Marketingaktivitäten erheblicher denn je. Das Gute daran ist heute, dass man WOM messen kann. Followers, Shares, Likes etc. sind alles Charakteristika, welche diese Mechanik innerhalb WOM abbilden. Das ist keine exakte und schon gar keine vollständige Wissenschaft. Und ich finde das sollte sie auch nicht sein.

Komplexität der Netzwerke

Denn wir sind, so glaube ich, noch ziemlich weit davon entfernt, die sozialen Netzwerke im Detail zu verstehen und zu erfassen. Das hat damit zu tun, dass das komplexe, dynamische Systeme sind und wir bei Betrachtung dieser nicht alle relevanten Faktoren systematisch einbeziehen (können). Ob z. Bsp. ein „Stück Content-Marketing“ (sic!) oft gelesen und geteilt wird, hängt von einer Vielzahl von Faktoren und Konstellationen ab. Technischen und inhaltlichen Konstellationen, die wir gut kennen und solchen „Soft-Facts“, die wir oft vergessen. Simple Beispiele. Die «Aufmerksamkeitskonkurrenz», das Wetter, unterschiedliche Share-Routes, Tipping Points.

«Kommunikation», «PR» und «Werbemittel» in einer Welt der Netzwerke? Au weiea.

Nun bringt es nicht so viel auf einem komplexen, undurchsichtigen Thema wie Social Media im Detail «den Doktor machen zu wollen». Auch wenn Ihnen das vielleicht so verkauft wird ab und zu. Der Hype der Stunde heißt ja bekanntlich gerade Content Marketing. Morgen wird es wieder etwas Anderes sein. Wir in der Digitalbranche sind exzellent darin das Schwein, das wir durch die Gasse jagen, immer mal wieder neu anzumalen.

Ein echter Paradigmenwechsel im Marketing wäre jedoch, die Kundschaft und das ganze Umsystem als Community of Interest zu betrachten. Und sein eigenes Unternehmen als Unterstützer (Facilitator) in dieser Community zu verstehen.

«Einen echten Paradigmenwechsel machen Sie, wenn Sie beginnen, Ihre Kundschaft als Community zu betrachten.»

Denn Community-Management ist etwas komplett anderes als die heute gelebten unidirektionalen Kundenbeziehungen. Und nein, liebe Marketingleute, wenn der Kunde im Call-Center anruft, um sich zu beschweren oder wenn er einer dieser endlos langen Umfragen ausfüllt, nur um am Schluss ein iPad gewinnen zu können, dann ist das nicht bidirektionale Kommunikation.

Der Witz dabei ist, dass es eben gar nicht mehr so doll um die Kommunikation vom Unternehmen zum Kunden/Interessenten oder umgekehrt geht. Nein, in Communities geht es um die Kommunikation unter den Community-Mitgliedern selber. Das ist nach 70 Jahren „MarCom“ nicht so einfach zu greifen. Mein Ansatz ist folgender:

Der Community-Approach zu Marketing

Wie sicher viele wissen, habe ich einen Großteil der letzten Jahre in der TYPO3 Community verbracht (und bin immer noch sehr aktiv) und habe dort gelernt, wie solche Gemeinschaften funktionieren. Nicht gelernt im Sinne von, dass ich nun alles durchschaute. Oh nein! Vielmehr im Sinne, dass sich gewisse Typen von Community-Mitgliedern kategorisieren lassen. Dazu verwende ich das Konzept der «Community-Onion»:

Community Onion

Grundidee dieser Betrachtungsweise ist, dass im Zentrum des gesamten Ecosystems ein gemeinsamer Nenner steht. Eine Überzeugung ist ein abstrakter Wert, eine Art Grundüberzeugung. Am Beispiel von Tesla wäre das z. Bsp. die Überzeugung, dass wir eine nachhaltige Energiegewinnung benötigen. Sie können auch jedes beliebige Unternehmen nehmen. Es ist sozusagen der kleinste gemeinsame Nenner der gesamten Community.

Darum herum formieren sich verschiedene Typen von Community-Mitgliedern:

  1. Jesus
    Die Jesus (Plural) sind jene Community-Mitglieder welche sich bedingungslos für die Sache hingeben. In der Regel sind das auch in großen Communities nur 2-5 Leute. Idealerweise ist der CEO einer Firma der erste Vertreter dieser Kategorie. Er beeinflusst alle anderen in hohem Maß. Ich habe, btw, diese Kategorie Jesus genannt, weil sich diese Community-Vertreter für die Sache der Community ans Kreuz nageln lassen würden und die Community-Mitglieder identifizieren sich in hohem Masse mit diesen Leuten.
  2. Core Contributors
    Die Core-Contributors prägen die Debatten in der Community und helfen mit, mehr Community-Mitglieder zu finden und Bestehende zu „härten“.
  3. Contributors
    Contributors sind die mildere Variante der Core-Contributors. Sie interessieren sich sehr stark für die Sache, sehen es jedoch (noch) nicht als Teil ihres Lebensinhaltes.
  4. Ecosystem-Enabler
    Ecosystem-Enabler sind Individuen oder meist Unternehmen, welche es ermöglichen einen kommerziellen Case zu machen. Sie fördern entweder die Produkte, den Common Sense oder ganz allgemein das Umfeld. Wenn Sie Produkte indirekt vertreiben, sind Absatzpartner die typischen Ecosystem-Enabler. Auch die klassischen Medien spielen grundsätzlich in dieser Kategorie. Zumindest zeitweise.
  5. Consultants
    Consultants sind Produktverwender, die das Produkt weiterempfehlen und auf Anfrage ihren Peers detailliert davon erzählen. Sie sind nicht unbedingt proaktiv tätig, der Sache aber überaus wohlgesinnt.
  6. Produktverwender
    Diese Kategorie der Mitglieder hat fast gar keinen Bezug zum Common Sense und nutzt einfach das Produkt, weil es für sie Vorteile hat.

Nach innen wandern – näher an den Common Sense

Die Netzwerkeffekte der Community werden umso intensiver, je mehr Mitglieder sich vom äußersten Ring in die Mitte bewegen. Das heißt die Kunden werden immer loyaler und werden Botschafter Ihrer Sache. Das äussert sich dann in Extremformen wie dem Fanboyismus, der erwachsene Leute dazu bringt, eine Nacht vor einem Laden zu übernachten, nur um ein neues Produkt zu erwerben. Die Leute sind derart angefressen, dass sie das Unternehmen von alleine pushen.

Je mehr Leute diese enge Bindung zum Common-Sense haben, desto mehr neue Leute steigen bereits tiefer in der „Onion“ ein. Das führt dazu, dass sie wiederum schneller mit Unbeteiligten über das Produkt und/oder die Sache sprechen. In dem Zusammenhang kursiert z. Bsp. der zugegebenermaßen ein wenig platte Witz über Veganer: „Wie merken Sie auf einer Cocktail-Party, dass ein Veganer anwesend ist? -> Er wird es Ihnen erzählen“.

Das ist genau der Effekt der in einer solchen Community gegenüber Außenstehenden spielt. Die Mitglieder sind entsprechend eingebunden und akquirieren quasi selbständig neue Kunden. Und weil diese Art von Akquisition, von Vertrautem zu Vertrautem, etwas vom effizientesten ist, was Menschen in dem Bereich machen können, verbreitet es sich wie ein Lauffeuer. Soviel Sendezeit und Plakatwände gibt es gar nicht um diese Scales zu erreichen.

Rolle des Unternehmens

Die Rolle des Unternehmens ist dabei bitte eben nicht mehr „MarCom“ zu machen, sondern dafür zu sorgen, dass diese Wanderung in Richtung Common Sense für alle so einfach wie möglich wird.

Wichtig: Man kann dabei die Mitglieder auf keinen Fall schubsen und pushen. Man kann nur störende Dinge aus dem Weg räumen und den Consultants und Contributors ein Umfeld geben, in dem sie motiviert sind, weiter ihre „Arbeit“ zu machen. Sie können die auch Influencer nennen, wenn Ihnen das lieber ist. Mir war das jetzt zu neumodisch.

Plattform für Austausch

Was Sie als Unternehmen tun können ist, Ihre Geschichte und Ihren „Common Sense“ zu zeigen. Dinge ermöglichen, Treffen im Real Life, Dinge zu leaken. Das bitte aber möglichst authentisch und direkt. Es muss das Gefühl entstehen, dass jeder in der Community für jeden greifbar ist. Und am besten sorgen sie dafür, dass es auch tatsächlich so.

Social Media ist alles, weil bislang erst wenige Unternehmen Community Management machen

Durch Social Media können wir diese Kommunikation in der Community in einer noch nie da gewesenen Laufweite und Geschwindigkeit betreiben. Das ist das wirklich Neue. Der Kern ist vereinfacht die uralte sozialen Mechanismen der Mund-zu-Mund-Propaganda. Einfach dass es heute mit dem Mund eher weniger zu tun hat. Viel eher ist es Zeigefinger-zu-Zeigefinger-Propaganda.

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4 Antworten auf „Warum Sie heute Community-Management statt Marketing machen sollten!“

Hey Alain!

Great article. Sorry to reply in English. It just takes to much time to do it in German.

With Age of Peers we run into a lot of hybrids between community and company, working for open source projects. It is an interesting topic and we see the importance of community (management) getting increasingly larger. Ideally community should go hand in hand with marketing or maybe I should say a merger of the two.

In David Spinks‘ recent article on Medium he sketches the community onion based on a company, which is actually pretty relevant for your article. The different layers of community members are made up of:

1. Employees
2. Evangelists
3. Customers
4. Followers

The onion there misses the ‚common sense‘ core. That should actually be ‚1.‘

https://medium.com/@davidspinks/what-if-your-entire-business-is-a-community-94c66e6e5bfc#.6l3g9i7j6

Looking forward to more on the topic.

Vom Mundfunk zum Fingerfunk:-)

…vielleicht erzählst Du in einem Folgebeitrag noch bisschen mehr davon, wie Folgendes aus Deiner Sicht zu bewerkstelligen ist? „Man kann dabei die Mitglieder auf keinen Fall schubsen und pushen. Sondern man kann nur störende Dinge aus dem Weg räumen. Und den Consultants und Contributors ein Umfeld geben, in dem sie motiviert sind, weiter Ihre „Arbeit“ zu machen.“

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