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  5. Lebenslauf: Lügen wie bei Petra Hinz sind keine Ausnahme

Bildung Bewerbung gefälscht

So sichern sich Betrüger lukrative Jobs

Wirtschaftsreporterin
Lebenslauf gefälscht – der Fall Petra Hinz

Die Essener SPD-Bundestagsabgeordnete Petra Hinz hatte eingeräumt, Abitur und einen Jura-Studienabschluss in ihrer Vita erfunden zu haben. Sie kündigte den Rücktritt an, doch bis jetzt hat sie ihr Mandat noch nicht niedergelegt.

Quelle: Die Welt

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Die SPD-Abgeordnete Hinz ist kein Einzelfall. Personalberater sind überzeugt, dass Hunderte von Akademikern in Wirklichkeit gar keine sind – weil sie genau wissen, wie sie Firmen austricksen können.

So hatte sich Petra Hinz den Gipfel ihrer Karriere sicher nicht vorgestellt. Der bundesweite Ruhm kam über Nacht. Die langjährige Bundestagsabgeordnete der SPD schaffte es in dieser Woche sogar in die Tagesschau – als Hochstaplerin. Kein Abitur. Kein Jura-Studium. Kein Abschluss. Der Lebenslauf der Essenerin war getürkt, wie ihre Anwälte einräumten. Ihr Mandat im Parlament gibt sie zurück.

Eine Hochstaplerin im Deutschen Bundestag ist spektakulär – ein Einzelfall aber ist Petra Hinz nicht. In Zeiten von Online-Bewerbungen und Karriereportalen im Internet ist das Verbiegen von Lebensläufen zum Massenphänomen geworden. Da werden Hobbys ausgedacht, frühere Posten überhöht und nicht selten Qualifikationen und Abschlüsse frei erfunden. Durch automatisierte Bewerbungsverfahren haben viele Unternehmen Schwindlern und Betrügern Tür und Tor geöffnet.

Wolfram Tröger, Vorsitzender des Fachverbandes Personalberatung und Personalberater im Bundesverband Deutscher Unternehmensberater (BDU), geht davon aus, dass rund zehn Prozent aller Lebensläufe handfeste Lügen enthalten. Und dass diese bei den meisten Bewerbern nie auffliegen.

Ein Grund dafür sei die zeitliche Belastung vieler Personaler. Ein großer Mittelständler zum Beispiel habe im vergangenen Jahr mit zwei Vollzeitkräften und einer Teilzeitstelle rund 400 Mitarbeiter eingestellt. „Da ist es völlig unmöglich, einzelne Stationen im Lebenslauf auch noch nachzuprüfen“, so Tröger.

Er selbst hat mit seinem Unternehmen und 20 Mitarbeitern im vergangenen Jahr rund 150 Stellen besetzt – vom Produktmanager oder Vertriebler über das mittlere Management bis hin zum Vorstand von mittelständischen Unternehmen. „Selbstverständlich machen wir uns ein persönliches Bild von den Kandidaten und telefonieren mit ausgewählten Referenzen“, sagt Tröger. „Aber wir prüfen bei einem Vorstand, der 25 Jahre im Beruf ist, nicht mehr das Diplom und können niemanden sicher vor Betrügern bewahren.“

Anregungen für Lebenslauf-Lügen liefert das Internet

Für Schummeleien aller Art liefert das Internet jede Menge Anregungen. So heißt es in einem Artikel einer Online-Jobbörse beispielsweise: „Besonders beliebt sind Lügen in Bezug auf Soft Skills oder die Aufgabengebiete in bisherigen Jobs. Wer kann dies schon überprüfen? Die Wahrscheinlichkeit, hier bei Flunkereien erwischt zu werden, ist eher gering.“ Selbstverständlich raten die Autoren im Folgenden zu Ehrlichkeit.

Es gibt viele Hochstapler – fällt die Maske, ist das aber nicht nur peinlich, sondern es kann auch teuer werden
Es gibt viele Hochstapler – fällt die Maske, ist das aber nicht nur peinlich, sondern es kann auch teuer werden
Quelle: Getty Images

Die fällt in der Praxis vor allem bei der Beschreibung früherer Aufgaben häufig unter den Tisch. Einer Umfrage der Personalberatung Robert Half unter rund 1200 Personalmanagern zufolge sagen 30 Prozent aller Bewerber über ihre Berufserfahrungen nicht die ganze Wahrheit. 22 Prozent übertreiben bei ihren Managementfähigkeiten, sagen die Personaler. 16 Prozent geben bessere Sprachkenntnisse an als sie besitzen.

Befeuert wird diese Form der Selbstüberschätzung durch die Online-Bewerbungsverfahren vieler Unternehmen. Konzerne wie Allianz, Siemens, Daimler oder BMW nehmen Bewerbungen nur noch per Online-Formular auf ihrer Webseite entgegen.

Die erste Auswahl – sind alle gefragten Qualifikationen erfüllt – übernimmt der Computer. Da ist die Versuchung besonders groß, sich mit falschen Daten in die nächste Runde zu katapultieren. „In deutschen Firmen arbeiten Hunderte von Ingenieuren, Informatikern und Betriebswirten, die in Wirklichkeit gar keine sind“, ist Personalberater Tröger überzeugt.

Sprachkenntnisse überhöht, Positionen frei erfunden

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Verlockend ist es auch, auf Selbstdarstellungs- und Karriereplattformen wie Xing und LinkedIn am eigenen Profil zu schrauben. Da werden Erfahrungen aufgemotzt, Sprachkenntnisse überhöht und sogar Positionen und Verantwortungsbereiche bei früheren Arbeitgebern frei erfunden.

Solche Tricksereien ließen sich allerdings nur schwer durchhalten, glaubt man bei Xing – weil die Profile für Arbeitskollegen und Freunde sichtbar sind. „Diese ‚soziale Kontrolle‘ sorgt unserer Erfahrung nach dafür, dass die Profile hohe Qualitätsstandards haben“, heißt es bei dem Portal auf Anfrage.

Das allerdings passt nicht ganz zu den juristischen Auseinandersetzungen, die mancher Arbeitgeber mit früheren Angestellten führt. Konzerne beschäftigen inzwischen ganze Truppen von Anwälten damit, ehemalige Mitarbeiter wegen falscher Angaben im Netz abzumahnen und auf Unterlassung zu klagen. Erfundene Berufserfahrungen können dann leicht mehrere Hundert Euro kosten.

Ein Jurist musste 75.000 Euro Gehalt zurück zahlen

Noch viel riskanter ist es, wenn ein Arbeitgeber nachträglich massive Fehler im Lebenslauf aufdeckt. „Wurde ein Arbeitgeber in der Bewerbung arglistig getäuscht, kann er den Beschäftigten auch Jahre nach der Probezeit unter Umständen fristlos kündigen oder den gesamten Arbeitsvertrag anfechten, wenn die Täuschung Einfluss auf die Anstellung hatte“, erklärt Axel Dahms, Arbeitsrechtler und Partner von Görg Rechtsanwälte. In speziellen Fällen kann das Unternehmen sogar bereits gezahltes Gehalt zurückfordern.

Dies erfuhr im Jahr 2010 ausgerechnet ein Jurist am Arbeitsgericht Düsseldorf. Er hatte seine Zeugnisnoten frisiert, aus einem „ausreichend“ im Examen ein „voll befriedigend“ gemacht. Das war die Eintrittskarte in eine internationale Kanzlei mit einem Bruttojahresgehalt von 100.000 Euro.

Der Arbeitgeber allerdings wurde nach einigen Monaten misstrauisch und deckte die Hochstapelei durch eine Nachfrage beim Prüfungsamt auf. Die Folge: fristlose Kündigung, zudem musste der Jurist 75.000 Euro Gehalt zurück zahlen.

An die Bundestagsabgeordnete Hinz werden bisher keine Geldforderungen gestellt. Der Fall sei mit einem „Arbeitsverhältnis, bei dem man seinem Arbeitgeber Papiere vorlegen muss, nicht zu vergleichen“, betont die Bundestagsverwaltung.

Die Angaben zum Lebenslauf von Petra Hinz auf der Website des Bundestages allerdings wurden umgehend geändert. Das Abitur, die beiden juristischen Staatsexamen und die Berufserfahrung als „Juristin im Management eines Konzerns“ sind inzwischen ersatzlos gestrichen.

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