Im Einklang mit der Natur

Tom Kundig baut Häuser, die sich auf einzigartige Weise in die sie umgebende Natur integrieren. AD sprach mit dem Architekten über brachiale Materialien, Microhomes und den idealen Kunden.
Tom Kundig im Interview auf AD

In München neigt sich der Tag dem Abend zu, während in Seattle in Washington eben erst der Tag begonnen hat. Dennoch ist bereits geschäftiges Treiben im Architekturbüro von Olson Kundig in Seattle. Olson Kundig wurde 1967 von Jim Olson gegründet, seit 1996 ist Tom Kundig Partner des Büros. Es dauert einige Minuten, bis der Amerikaner ans Telefon kommt, im Hintergrund hört man immer noch Stimmengewirr und lautes Lachen – es läuft gut für das Büro, deren Architekten man mittlerweile ganz nonchalant in die Schublade „Stararchitekt“ stecken könnte, so präsent sind ihre Projekte. Doch obwohl viele Bauten von Tom Kundig die gleiche Sprache sprechen, überzeugt doch jedes der Projekte immer wieder mit einem einzigartigen Charakter.

„Rolling Huts“ – eine Gruppe von Cabins, die ein Kunde für Besuch von Freunden anfertigen ließ.

Derek Pirozzi

AD: Herr Kundig, was fordert Sie als Architekt mehr heraus: Wohnhäuser oder Gerwebebauten?

Tom Kundig: Genau beantworten kann ich das nicht. Wohnhäuser sind sehr persönlich und intim und Gewerbebauten selbstverständlich weniger, man entwirft sie anonymer und ist eingeschränkter, was das Budget betrifft. Aber es gibt Parallelen! Denn in gewisser Weise halten sich ja auch in einem Büro- oder Gewerbegebäude regelmäßig Menschen auf. Ich sage immer: Architekten, die auch Wohnhäuser bauen, sind die besseren Architekten für Gewerbe.

Bleiben wir bei Wohnhäusern. Wie sehr tauschen Sie sich mit Ihren Kunden aus?

Sehr! Mir sind Klienten lieber, die genau wissen, was sie wollen. Ich komme besser mit solchen aus, die die Ideen und Visionen des Architekten oder Designers respektieren. Wenn man sich gegenseitig versteht und der Architekt auch die Vorstellungen der Kunden wahrnimmt, dann wird es eine starke Zusammenarbeit.

Das „Studhorse“ in Winthrop in den Cascades, 2012.

Benjamin Benscheider

Das Wohn- und Esszimmer bietet eine atemberaubende Rundumsicht ins Tal; der Kamin aus Gussbeton spendet auch in den kalten Wintern ausreichend Wärme.

Benjamin Benscheider

„Das gesamte Ensemble“, sagt Tom Kundig, „ist inspiriert von der Weite der Landschaft und vom Wunsch, sie in das Anwesen einzubeziehen.“

Benjamin Benscheider

Vom Sofa im Wohnzimmer hat man die Cascades mit ihren schneebedeckten Kuppen immer im Blick.

Benjamin Benscheider

Weil wir gerade über Respekt sprechen: Wenn man Ihre Häuser betrachtet, so merkt man, dass Sie die natürliche Umgebung des Baugrunds harmonisch integrieren. Das sieht man zum Beispiel bei Ihrem neuen Projekt, der „Rimrock Residence“. Wie sehr beeinflusst Sie die Umgebung?

Ein Architekt muss sich immer mit dem Kontext der Umgebungen beschäftigen, das kann die Natur sein oder etwas anderes. Bei „Rimrock“ ist die Natur so atemberaubend, dass wir sie unbedingt einbeziehen mussten. Doch die Umgebung kann auch städtischer Natur sein, es kommt also immer auf den Kontext an – immerhin haben wir Menschen die Städte gebaut. Jedes Mal wenn man also ein neues Haus baut, sollte man die Umgebung verstehen.

Ist es schwerer für Sie, in der Stadt zu bauen?

Nein, nicht wirlich. Manchmal ist die Stadt auch einfacher, weil die Grenzen so klar definiert sind.

Sie arbeiten mit sehr brachialen Baumaterialien. Viel Stahl und Beton, große Glasfenster. Gibt es sonst Materialien, mit denen Sie gern bauen?

Holz! Und alle Materialien, die in irgendeiner Form natürlich sind, dazu zähle ich auch Beton und Stahl. Ziegel und Terrakotta sind auch natürliche und leichte Materialien. Ich mag Materialien, die mit der Zeit altern.

Wie schaffen Sie es, Beton und Stahl so filigran erscheinen zu lassen?

Manche Beton-Bauten wirken äußerst brutal. Das hängt oft von den Proportionen ab – und von Transparenz. Was passiert um den Beton herum? Ich versuche, Stahl und Metall mit Bedacht einzusetzen, arbeite teils nur im Detail damit. Große Glasfenster und die damit gewonnene Transparez können auch brachiale Materialien natürlich erscheinen lassen.

Eins der jüngst fertig gestellten Projekte von Tom Kundig: die „Rimrock Residence“.

Kevin Scott / Olson Kundig

Aus dem Infinity Pool blickt man ins angrenzende Tal.

Kevin Scott / Olson Kundig

Ihre Häuser haben oft ausladende Fensterfronten – was bedeutet Transparenz in Hinblick auf Architektur für Sie?

Man ist Teil der Welt. Von innen kann man rausschauen und erlebt alles. Die verschiedenen Jahreszeiten, das Wetter, die Welt! Das funktioniert auch anders herum: Wenn man in ein Gebäude nicht hereinblicken kann, dann versteht man nicht, was dort vor sich geht. Das finde ich creepy – in einer Stadt ist Transparenz doch nur menschlich!

Lassen Sie uns noch einmal über die „Rimrock Residence“ sprechen. Was war die grundlegende Idee hinter dem Entwurf?

Ich wollte die Natur zelebrieren; den Rand der Klippe, an dem der Bau verläuft. Es ist ein schmales und langgezogenes Gebäude, dass den Grund würdigt, auf dem es steht.

Passiert es Ihnen manchmal, dass Sie in eine Ihrer Bauten gern selbst einziehen würden?

Fast bei allen! (lacht) Das ist das schöne an meinem Job, ich lebe diese Bauten durch meinen Beruf, fühle mich in verschiedene Bauten, Städte und Landschaften ein. Ja, ich würde in jedem meiner Häuser gern selbst leben.

Sie haben nicht nur große Häuser gebaut, auch kleine Cabins. Aktuell dreht sich vieles um die Microhomes, weil in großen Städten immer weniger Raum verfügbar ist. Wenn Sie sich entscheiden müssten: kleine Häuser oder geräumige Bauten?

Puh, das ist schwierig. Im Englischen gibt es den Begriff rightsizing. Ich möchte, das alles die richtige Größe hat. So klein wie möglich ist super, aber nur wenn es das Problem löst. Um mich vor einer definitiven Antowort zu drücken würde ich sagen: Ich möchte, dass ein Haus so effizient und intim wie möglich ist und nicht einfach nur groß.

„Delta Shelter“, Mazama, Washington.

Benjamin Benschneider

Sollte der nahe Methow River über die Ufer treten, kann der Hausherr mit Hilfe eines riesigen Drehrades alle Schotten dicht machen.

Benjamin Benscheider

Wenn Sie absolut keine Limits hätten, keine Budget-Begrenzungen: Was für ein Projekt würden Sie realisieren?

Oh boy! Das ist eine der wenigen Fragen, die ich nicht beantworten kann. Ich werde ständig gefragt, welches mein Lieblingsprojekt ist. Aber ich möchte mich auf keines festlegen, auch, weil ich meine Klienten nicht verletzen möchte. Mein Lieblingsprojekt ist meine Karriere an sich – das passt gut zu der Frage, die Sie mir vorhin gestellt haben: Ich liebe es, dass ich an so vielen verschiedenen Orten mit verschiedenen Menschen arbeite. Jetzt weiche ich schon wieder Ihrer Frage aus (lacht) – aber ich kann Sie einfach nicht beantworten.

Dann werfen wir noch mal einen Blick auf Ihre anderen Projekte. Vor Seattle haben Sie im Kaskadengebirge einen Pavillon für Shane Atchison und seine Familie entworfen und auch einige der Möbelstücke selbst entworfen, darunter ein großer Holztisch. Arbeiten Sie bei allen Projekten auch als Designer?

Wenn ich darf, dann ja. Für Architekten ist es eine große Ehre, in einem selbst gebauten Haus auch eigene Möbel zu plazieren. Denn dann bewegen wir uns auf einer sehr menschlichen, intimen Ebene – immerhin geht es um Gegenstände, die benutzt werden. So ein Objekt zu schaffen … das ist, als ob man dem Gebäude die Hand schütteln würde.

Gehen Sie Design anders an als Architektur?

Nur in Hinblick auf die Größe. Die Instinkte sind die gleichen.

Wo liegt der Quell Ihrer Inspiration? Auch in Büchern und Filmen?

Bücher, Filme, das Leben. Architekten und Designer sollten am Leben um sich herum teilnehmen. Denn im Grunde sind wir Anwälte (lacht). Anwälte der Kultur, der Menschlichkteit und der Natur. Je mehr wir erleben, desto mehr wird unsere Erfahrung Einfluss nehmen.

Und wie leben Sie selbst?

Ich nenne mein Haus Hot Rod, eine frisierte Karre. Denn ich erfinde es ständig neu. Es ist ein Ort, an dem ich mich darauf konzentrieren kann, was es heißt, am Leben zu sein.

Gibt es ein Objekt, ohne das Sie nicht leben könnten?

Der Bleistift! Es ist der einfachste Helfer, um einen Gedanken zu verewigen. Vielleicht ist das die bisher größte Enttäuschung meiner Karriere: Dass ich immer weniger zum Bleistift greife, stattdessen zum Computer. Dabei ist es so ein ehrliches, simples und wichtiges Hilfsmittel.

Hier wohnt der Architekt Tom Kundig – er nennt sein Heim liebevoll „Hot Rod“ (dt. frisierte Karre).

Paul Warchol

„Hot Rod ist ein Ort, an dem ich mich darauf konzentrieren kann, was es heißt, am Leben zu sein." – Tom Kundig

Paul Warchol

Weiterlesen? Tom Kundig war 32 Jahre alt, als er sein erstes Haus mit Olson Kundig Architects baute, ein „konservatives Haus, das sich unkompliziert in die Landschaft einfügte“. Das AD-Expertenporträt des Architekten lesen Sie hier.

Tom Kundig.

Kevin Scott / Olson Kundig