Die Wahl der Waffen

Politik Unsere irrationale Fixierung auf "islamistischen Terrorismus" ist nicht hilfreich. Sie verstellt den Blick und schadet dem Diskurs und damit möglichen Lösungen

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Französische Soldaten patroullieren am Flughafen von Nizza. Doch derartige Reaktionen gehen an der Ursache der Probleme vorbei
Französische Soldaten patroullieren am Flughafen von Nizza. Doch derartige Reaktionen gehen an der Ursache der Probleme vorbei

Foto: VALERY HACHE/AFP/Getty Images

Paris, Brüssel, Nizza, Würzburg, Reutlingen, München und zuletzt Ansbach. Die politischen Reaktionen auf diese Taten zeigen, wie weit wir davon entfernt sind, die richtigen Antworten zu finden. Sie zeigen, dass auch Politiker Amateure sind, die vorschnelle Schlüsse ziehen und denen an Lösungen offenbar nicht gelegen ist. Denn es gibt eine irrationale Fixierung auf „islamistischen Terrorismus“, die nicht nur nichts zur Erklärung solcher Taten beiträgt, sondern auch jegliche Problemlösungsansätze im Keim erstickt.

Die französische Version der Vorratsdatenspeicherung konnte die Anschläge in Paris nicht verhindern. Die Geheimdienste konnten die Anschläge in Brüssel nicht verhindern. Der Ausnahmezustand in Frankreich konnte nicht verhindern, dass in Nizza 84 Menschen starben. Und die Fixierung auf den „islamistischen Terrorismus“ verstellt den Blick dafür, dass solche Attentate mit mehr Auslandseinsätzen, mehr Ausnahmezustand und mehr Kriegsrhetorik, wie Nicolas Sarkozy sie an den Tag legt, wenn er von „totalem Krieg“ spricht, nicht zu verhindern sind.

Insbesondere wird der Blick dafür verstellt, dass Islamismus bei diesen drei Taten unter Umständen nur eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Denn eines haben viele der Attentäter gemeinsam: ihr Verhalten ist nicht das von Salafisten mit einem geschlossenen islamistischen Weltbild. Vielmehr stehen sie einem kleinkriminellen Milieu oder der organisierten Kriminalität nahe. So war Salah Abdeslam, einer der Attentäter der Anschläge in Paris am 13. November 2015, als Inhaber einer Schankerlaubnis an der Bar seines älteren Bruder beteiligt. Die Bar wurde später von den Behörden geschlossen, weil dort nicht nur Alkohol, sondern auch illegale Drogen konsumiert wurden. Zudem war er der Polizei bereits vorher wegen verschiedener Straftaten im Zusammenhang mit Drogen bekannt.

Im aktuellen Spiegel (30/2016) sagt der französische Politikwissenschaftler Olivier Roy, „auch Kleinkriminelle und Kiffer […] wollten ihre Allmachtsfantasien ausleben und das eigene Versagen verbrämen. Und deshalb „islamisierten“ sie die Gewalt, die sie ausüben, um ihre Sache zu erhöhen, um sie religiös zu veredeln sozusagen.“

Die Kausalkette verläuft demnach nicht von Islamismus zu Gewalt, sondern exakt umgekehrt. Nizza und Molenbeek bestätigen das: hohe Arbeitslosigkeit, verkommene Sozialsiedlungen, Kleinkriminalität, Drogenhandel und Gewalt. Die Gründe sind immer die gleichen. Ähnliche Biografien wie Salah Abdeslam haben auch die Attentäter von Brüssel und auch Mohammed Bouhlel, der Attentäter von Nizza.

Deswegen stellt sich die Frage, wieso wir uns den Blick für andere Muster, befeuert von Politikern und dem Diskurs im Internet, fahrlässig verstellen. Es stellt sich auch die Frage, ob es sich bei diesen Vorfällen überhaupt um „islamistischen Terrorismus“ handelt. Und es stellt sich die Frage, ob wir uns durch diese irrationale Fixierung auf "islamistischen Terrorismus" nicht einiger Lösungsansätze berauben. Denn Salah Abdeslam fand nach den Anschlägen von Paris Unterschlupf in Molenbeek. Wie kann es denjenigen gefallen, die dort von Drogenhandel und Erpressung leben, dass dort Hunderte von Polizisten auftauchen? Trotzdem fand er dort Unterschlupf. Die Polizisten, die ihn verhafteten, wurden von der einigen mit Tomaten beworfen.

Die Erklärung könnte eine sein, die wiederum die Voreingenommenheit der Politik und Justiz zeigt: er ist einer von ihnen. Aber nicht weil er Menschen „im Namen des Islam“ umgebracht hat, sondern weil er, wie die Einwohner von Molenbeek, ein Verlierer der Globalisierung ist. Das funktioniert so wie bei der Mafia: sie findet Unterschlupf bei ihresgleichen. In den Vierteln, aus denen sie stammt. Diese Meinung vertritt Roberto Saviano, italienischer Schriftsteller und Journalist, der sich mit organisierter Kriminalität beschäftigt. Er kommt zu dem Schluss, dass Europa jetzt dafür bezahlt, dass es Kriminalität als „marginales Böses“ betrachtet habe, das man tolerieren könne. Nur rückten die Früchte, die auf diesem Boden gewachsen sind, jetzt in unsere Zentren: nach Paris, nach Brüssel, in die bürgerlichen Gegenden. Und erst dann seien sie nicht mehr tolerierbar.

Ähnlich kann man im Falle des IS argumentieren. Abgesehen davon, dass es für Terrorismus keine einheitliche Definition gibt, weder wissenschaftlich noch behördlich, tut der IS etwas, was Terroristen normalerweise nicht tun: sie besetzen Territorium. Franz Wördemann sagte dazu: „Der Guerillo will den Raum, der Terrorist will dagegen das Denken besetzen.“ Insofern ähnelt auch das Verhalten des IS eher mafiösen, transantionalen kriminellen Organisationen.

Dem IS geht es um Macht und Geld. Der Islamismus ist nur die „Veredelung“ ihrer kriminellen, menschenverachtenden Handlungen. Adrian Lobe schrieb dazu: „Mit der fälschlichen Typisierung des IS als Terrororganisation wird der Konflikt moralisch aufgeladen. Hier die Guten, dort die Bösen. Diesem manichäischen Weltbild ist der Westen schon seit Jahrhunderten verhaftet. Man fällt in alte Deutungsmuster zurück. Der Konflikt, der in Wirklichkeit kompliziert ist und an so vielen moralischen und militärischen Fronten verläuft, wird dadurch radikal vereinfacht. Aus dem bellum omnium contra omnes wird ein Krieg alle gegen einen. Dass die Luftschläge der USA gegen Stellungen des IS auf syrischem Staatsgebiet völkerrechtlich fragwürdig sind, gerät zur Randnotiz. Der War on Terror legitimiert rechtliche Grenzüberschreitungen.

Das Rückgrat des IS sei nicht ihre militärische Stärke oder ideologische Radikalität, sondern viel eher das Bankenwesen. So wie auch im Falle der Mafia. Ohne die Banken, die das Geld waschen, wäre die Mafia machtlos. Den IS wird man militärisch nicht besiegen können, so wie man auch die Mafia militärisch nicht besiegen kann. Weil der IS aber zu einem guten Teil vom Handel mit Öl und Antiquitäten sowie der Steuererhebung in den von ihm besetzten Gebieten lebt, ist auch der IS auf das Bankwesen angewiesen.

Wenn dem IS das Geld für die Bezahlung seiner Söldner ausgeht, dann verliert er seine Söldner. Islamismus hat mit all dem nichts zu tun. Deswegen ist der IS nicht nur keine „islamistische Terrororganisation“, der Reflex unserer Politiker, ihre Perspektive auf den Islamismus und den Terror zu verengen, beraubt uns unserer schlagkräftigsten Waffe: die Kontrolle des Finanzsystems.

Was hat das mit Würzburg, Reutlingen, München und Ansbach zu tun? Auch die Bewertung dieser Vorfälle zeigt, dass unsere Perspektive längst auf die Frage „islamistischer Terrorismus oder etwas harmloses“ verengt ist. Das zeigen nicht nur die Reaktionen der „üblichen Verdächtigen“, das zeigen die Reaktionen der Politiker quer durch das politische Spektrum: CDU, SPD, Grüne, die Linke und CSU. Und hier wird es wirklich lächerlich. Thomas de Mazière macht unnötigerweise wieder die Debatte um „gewalttätige“ Computerspiele auf, obwohl es keine konkreten Hinweise darauf gibt, dass „gewalttätige“ Computerspiele reale Gewalt befördern.

Ich habe ernsthafte Zweifel, dass jemand, der willens ist, sich eine Schusswaffe im Darknet zu besorgen, beeindruckt wäre, würden „Killerspiele“ verboten. Ich habe auch ernsthafte Zweifel, dass ein Rucksackverbot auf dem Oktoberfest, wie es der Münchener Oberbürgermeister vorgeschlagen hat, einen Attentäter davon abhalten würde, eine Bombe auf irgendeinem anderen Weg auf das Gelände zu schmuggeln. Andreas Scheuer, Generalsekretär der CSU, schlägt jetzt vor, dass alle Flüchtlinge persönlich von den Behörden angehört und geprüft werden sollen. Wer das dann machen soll, sagt er nicht. Aber ich habe den Eindruck, eine Million persönliche Anhörungen und Überprüfungen könnten schwierig zu realisieren sein.

Unsere Obsession mit dem „islamistischen Terrorismus“ ist nicht nur nicht hilfreich. Sie verstellt den Blick auf die echten Probleme und damit den Blick auf Lösungen und Lösungsansätze. Der „totale Krieg“ wird nichts erreichen, genauso wenig wie Rucksackverbote. Wenn man die Probleme lösen will, dann ist die Aufladung der Debatte mit Begriffen wie Terrorismus, Islamismus oder Amok kontraproduktiv, weil diese Begriffe die Realität in den seltensten Fällen auch nur ansatzweise korrekt beschreiben. Spätestens damit ist der Populismus zum politischen „Mainstream“ geworden. Aussicht auf Besserung gibt es derzeit wenig.

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