Scheingefecht um den Rubel

Der Rubel ist etwas erstarkt, und das weckt Besorgnis bis hinauf in den Kreml. Doch die Debatte um Interventionen geht am eigentlichen Problem vorbei. Russlands Exporteure brauchen eine andere Hilfe.

Benjamin Triebe, Moskau
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Der Rubel ist zwar erstarkt, aber weit weg vom hier gezeigten Niveau der Wechselkursfreigabe im November 2014. (Bild: Ivan Sekretarev / AP)

Der Rubel ist zwar erstarkt, aber weit weg vom hier gezeigten Niveau der Wechselkursfreigabe im November 2014. (Bild: Ivan Sekretarev / AP)

In der Schwäche kann sogar Stärke zum Problem werden. Die russische Regierung hat so ein Problem mit dem Rubel. Der ist für seine Verhältnisse zwar schwach, war aber trotz anhaltender Rezession schon einmal deutlich schwächer. Deshalb droht er nach verbreiteter Auffassung mit seiner relativen Stärke die Wettbewerbschancen der Exporteure zu belasten. Ein Dollar ist derzeit 66 Rbl. wert, im Januar waren es über 80 Rbl. Präsident Wladimir Putin sah sich jüngst veranlasst, mit mahnenden Worten auf die «Stärke» des Rubels hinzuweisen, was Analytiker und Händler als «verbale Intervention» einstuften. Die Zentralbank, die für echte Interventionen am Devisenmarkt zuständig ist, hat wegen wachsender Spekulationen aber klargestellt, dass sie nicht eingreifen wird.

Es geht nicht nur um Preise

Eine solche Einmischung der Währungshüter in Angebot und Nachfrage wäre auch widersprüchlich. Schliesslich war es die Zentralbank, die im Herbst 2014 den Wechselkurs des Rubels freigab und zuliess, dass die russische Währung im Gleichschritt mit dem Erdölpreis scharf korrigierte. Das heizte zeitweilig die Inflation an, erlaubte der Wirtschaft und den Staatsfinanzen aber eine schnelle Anpassung: Erdöl mochte in Dollar viel weniger wert sein, aber in Rubel war der Effekt nun nicht mehr so schlimm. Das schränkte die Verluste für die Erdölfirmen stark ein und teilweise auch für den Staat. Gleichzeitig wurden russische Produkte auf den Weltmärkten billiger. Doch die zuvor enge Korrelation von Rubel und Erdöl ist seit Mitte Mai schwächer geworden: Die Währung stieg schneller als der Rohstoffpreis, und das sehen manche Politiker mit Sorge.

Wenn ein schwacher Rubel als dringend nötige Hilfe für die russischen Exporte beschworen wird, gibt es allerdings ein Problem: Die Exporteure haben diese Chance bis heute kaum genutzt, vor allem nicht zur Diversifizierung ihrer Produktpalette und zur Reduktion von Russlands Abhängigkeit von Rohstoffen. Die Industrieproduktion hat im ersten Halbjahr nur um 0,4% zum Vorjahreszeitraum zugelegt, und das auf der Basis eines um 3,4% niedrigeren Outputs im Jahr 2015. Vor allem wuchs der Abbau von Rohstoffen oder deren Veredelung. Für das Gesamtjahr erwartet die Sberbank einen Anstieg der Industrieproduktion um 1%. Ausserdem wurde dort mehr produziert, wo Einfuhrstopps und Programme zur Importsubstitution die Branchen schützen, vor allem in der Landwirtschaft und im Lebensmittelsektor.

Der reale effektive Wechselkurs des Rubels hat seit 2014 rund 20% verloren. Doch die Exportmengen wuchsen laut dem Internationalen Währungsfonds (IMF) von 2015 zu 2014 lediglich um 2,6% und werden im laufenden Jahr wohl um 1,1% zulegen. Betrachtet man nur die Nicht-Energie-Exporte, zeigte sich 2015 sogar ein Rückgang um 5,5%, während 2016 wieder ein Plus von 2,2% erwartet wird.

Eigentlich sollte das anders aussehen: Aus einer historischen Analyse folgert der IMF, dass bei einer Korrektur des realen effektiven Wechselkurses um einen Zehntel die realen Nettoexporte innerhalb von bis zu fünf Jahren um 1,5% des Bruttoinlandprodukts (BIP) wachsen – davon ein Grossteil im ersten Jahr. Für Russland würde dieser Anstieg rund 20 Mrd. $ wert sein. So ein Schub ist aber nicht in Sicht. Die IMF-Experten erwarten, dass Russland im laufenden Jahr Energieträger im Wert von 299 Mrd. $ und Nicht-Energie-Produkte im Wert von 134 Mrd. $ ausführt.

Die mangelnde Exportdynamik hat zum einen zyklische Gründe. Russlands Erzeugnisse, sofern es sich nicht um für den Weltmarkt geeignete Rohstoffe handelt, werden oft in Ländern der ehemaligen Sowjetunion abgesetzt. Die leiden derzeit aber wegen der engen Handelsverflechtungen auch unter der russischen Wirtschaftskrise. Zum anderen gibt es strukturelle Ursachen: Erstens verhindere laut IMF ein schlechtes Unternehmensklima und Überregulierung, dass Firmen Ressourcen schnell zur Herstellung international handelbarer Waren umschichten, wenn die Zeit dafür günstig wäre. Zweitens ist es möglich, dass eine einseitige Exportstruktur eine grössere Produktion von anderen handelbaren Gütern erschwert – denn gerade weil davon bisher so wenig hergestellt wurde, sind die Kosten für eine schnelle Ausweitung und den Vertrieb relativ hoch. Und Geld ist in der Krise knapp. Russlands Investitionen sinken, besonders von privater Seite. Vergangenes Jahr fielen die Anlageinvestitionen insgesamt um real über 8% und im ersten Quartal 2016 noch um fast 5%.

Der IMF sieht beide Thesen für strukturelle Probleme im russischen Fall bestätigt, obgleich die Exporte des Schwellenlandes immer noch weit besser diversifiziert sind als vieler anderer Rohstoffländer. Die institutionellen Hürden zu beseitigen, würde aber grosse Umbauten erfordern, etwa die Stärkung der Rechtssicherheit, an die der Kreml sich schon in wirtschaftlich guten Zeiten kaum heranwagte. Die Reformfreude ist auch jetzt gering – trotz einer Rezession von 3,7% im vergangenen Jahr und gemäss IMF einem Rückgang des BIP um real wohl 1,2% im Jahr 2016 sowie einem Potenzialwachstum von gerade einmal 1,5% pro Jahr auf mittlere Sicht.

Ungewöhnliche Verhältnisse

Doch Moskau verschliesst die Augen und hofft, dass der Rubel und damit der kurzfristige Handlungsbedarf von selbst wieder schwächer werden. Schliesslich war der jüngst geringe Verkaufsdruck auf die Währung ungewöhnlich: Im ersten Halbjahr flossen netto nur 10,5 Mrd. $ aus Russland ab; im Vorjahreszeitraum waren es 51,6 Mrd. $ gewesen. Besonders im zweiten Quartal wurden weniger Rubel verkauft. Konzerne horteten Rubel für Dividendenzahlungen, und internationale Investoren wagten sich mit hohen Zuflüssen an den russischen Finanzmarkt zurück.

Zudem können sich die Konzerne wegen der im Ukraine-Konflikt verhängten Finanzsanktionen viel schlechter im Ausland refinanzieren und haben hauptsächlich Schulden zurückgezahlt, aber keine neuen Kredite aufgenommen. Je weniger Schulden ausstehen, desto geringer sind auch die Überweisungen für Zinszahlungen und Tilgung und damit der Verkaufsdruck auf den Rubel. Im August allerdings entwickelt sich die russische Valuta traditionell schwach. Damit drohen Russlands Probleme wieder auf die lange Bank geschoben zu werden.

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