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Ethik goes digital Ohne Regeln für unsere digitale DNA geht es nicht

Von Antje Neubauer
Die Digitalisierung verändert unser Leben grundlegend. Weil wir damit transparenter und kalkulierbarer werden, brauchen wir eine angewandte digitale Ethik - und kluge Köpfe, die universelle Werte für die digitale Realität formulieren und umsetzen.
Maschine und Mensch: Wir brauchen eine angewandte Digitale Ethik, die sich auf der Basis empirischer Forschung mit den Werte- und Normenfragen der digitalen Realität befasst.

Maschine und Mensch: Wir brauchen eine angewandte Digitale Ethik, die sich auf der Basis empirischer Forschung mit den Werte- und Normenfragen der digitalen Realität befasst.

Foto: Ryan Etter / Getty Images
Antje Neubauer
Foto: Claudia Kempf

Antje Neubauer ist als Vorstandsmitglied bei "Generation CEO", dem Business Netzwerk für Frauen im Top-Management, verantwortlich für den Bereich Kommunikation. Begonnen hat sie ihre berufliche Laufbahn - nach einem Studium der Kommunikationswissenschaft, Anglistik und Psychologie - bei RWE Telliance, der Telekommunikationstochter des Essener Energiekonzerns. Heute ist sie Marketingchefin bei der Deutschen Bahn.

Es herrscht Euphorie: Die Digitalisierung macht uns schneller, effizienter und motivierter. Sie sorgt für neue Produkte und neue Geschäftsmodelle, für mehr Flexibilität und mehr Transparenz. Sie sorgt für kulturelle Veränderungen, in Unternehmen, in der Politik, in der Gesellschaft.

Kurz: Die Digitalisierung verändert alles.

Die schöne neue Welt - so sie denn eine ist - greift durch und verändert unsere Lebensgewohnheiten in heute noch nicht absehbarer Weise: Werden wir doch zunehmend transparenter und kalkulierbarer - vor allem Google , Facebook  & Co., aber auch Dritte (Banken, Versicherer, Automobilfirmen, Getränke- oder Foodketten usw.) wissen am Ende des Tages genau, wer wir sind. Die digital Player können jeden Nutzer und Kunden erfassen, orten und einordnen. Sie wissen, was wir wollen, bevor wir es wissen. Sie nehmen auf, was wir ahnen und machen ein konkretes Bedürfnis daraus.

Der verstorbene FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher fand dafür ein schönes Bild: "Selbst Google und Apple  sind nur Start-ups im Vergleich zu der neuen sozialen Software, die gerade ins Gehäuse unserer Gesellschaften implementiert wird." Was Schirrmacher hier so schön umschreibt, lässt erahnen, was uns künftig mehr beschäftigen wird, als die Umgestaltung der analogen zur digitalen Welt: An was wollen wir uns künftig orientieren? Wie beeinflussen wir, was uns beeinflusst? Wer setzt die Grenzen, ethisch und moralisch? Wer stellt fest, was geht und was nicht? Es braucht (so lehrt u.a. die Kommunikationswissenschaftlerin Dr. Petra Grimm) eine angewandte Digitale Ethik, die sich auf der Basis empirischer Forschung mit den Werte- und Normenfragen der digitalen Realität befasst.

Die Amerikaner sind uns, wie bei vielem, auch hier ein Stück voraus: Digital ethics ist dort bereits wissenschaftlich akzeptiert, forscht und untersucht die Folgen und Rahmenbedingungen der Digitalisierung. Hierzulande tastet man sich - deutsch zurückhaltend - noch sehr vorsichtig an das Thema heran und lässt der digitalen Euphorie viel Raum zur freien Entfaltung. Dabei ist es doch eigentlich ganz einfach ...

Wir brauchen Utopisten und Träumer

... Wir wissen doch im Prinzip, in welcher Gesellschaft wir leben wollen: einer gerechten, versorgenden, freien, toleranten, ausgleichenden nämlich, die Raum für (digital) Neues lässt, ohne humanistische Ideale dafür zu opfern. Es bedarf einer konzertierten Aktion, eines internationalen Bündnisses, aus Geistes- und Naturwissenschaftlern, aus Denkern und Vordenkern, aus Unternehmenslenkern und Mitarbeitern, aus Jungen und Alten - eines Forums, das, alle Interessen berücksichtigend, für uns und mit uns festlegt, welche moralischen, ethischen Grenzen wir als wesentlich erachten, wie gläsern wir wirklich werden wollen und welche Instanz lenkend und ordnend eingreifen darf, wenn unsere digitale DNA, die wir uns selbst verordnen, verletzt wird.

Ich bin überzeugt, dass es genügend kluge Köpfe gibt, die um die Dringlichkeit wissen. Köpfe, die klug genug sind, nationale Befindlichkeiten außer Acht zu lassen, unterschiedliche Sichtweisen zu hinterfragen und zu diskutieren und gemeinsame Richtungen zu entwickeln.

Vielleicht ist die Digitalisierung ja auch eine Chance, verkrustete Grenzen zwischen den Disziplinen, zwischen den Nationen und, ja, durchaus auch, den Kirchen aufzuweichen. Vielleicht gelingt es uns ja, übergreifende Werte festzuschreiben, einen Mindeststandard, auf den wir uns international verständigen können. Einen Minimalkonsens, der uns zu einer echten Wertegemeinschaft macht, die universelle Werte wie Toleranz, Menschenrecht und Menschenwürde ganz oben auf die nicht nur digitale Welt-Agenda setzt ...

Ein zu großer Plan? Ja, ganz sicher sogar. Ich weiß, dass diese allumfassende konzertierte Aktion, die weiß, wo es lang geht und von uns allen akzeptiert, ein ethisch-moralisches Gerüst zu bauen versteht, reine Utopie ist. Ehe sich ein solches internationales Konsortium finden wird, ist die Digitalisierung längst Alltag, werden sich Dinge verselbständigen, die wir so nicht unterschrieben hätten. Vielleicht aber gibt es sie ja irgendwo, die Utopisten, die Träumer oder die Denker, die sich zusammenfinden, um die schöne neue digitale Welt besser zu machen als die, die die industrielle Revolution uns hinterlassen hat. Satre hat einmal geschrieben: "Vielleicht gibt es schönere Zeiten"aber diese ist unsere." Machen wir sie doch dazu.


Antje Neubauer ist stellvertretende Leiterin der Unternehmenskommunikation bei der Deutschen Bahn AG und Mitglied der MeinungsMacher von manager-magazin.de. Trotzdem gibt diese Kolumne nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion des manager magazins wieder.


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