Unternehmen können mit digitalen Technologien und neuen Geschäftsmodellen ihre Effizienz relevant erhöhen sowie ihre Wertschöpfung massiv verbessern. Solche Sätze werden einem in unterschiedlichen Variationen jeden Tag an den Kopf geballert. Egal, ob es um Plattform-Ökonomie, Internet der Dinge, vernetzte Fabriken oder gähnend langweilige Powerpoint-Monologe zur digitalen Transformation geht: Die immer gleichen Wortkaskaden werden zu neuen Geschichten über den Wandel der Wirtschaft in Zeiten des Internets zusammen gewürfelt. Es regiert eine offiziöse Sprache mit leeren Floskeln und positiven Formulierungen, die kaum auf Ablehnung stoßen. Denn schließlich geht es um Ziele, Strategien, Innovationen, Kundenorientierung, offene Kommun
, offene Kommunikation und Kollaboration. Das kann auf jeder digitalen Konferenz und in jeder internen Sitzung in Organisationen beliebig kombiniert werden – es bleibt folgenlos.Management-Komödien ohne KrawattenzwangWir erleben auf unterschiedlichen Bühnen eine postfordistische Management-Komödie, die Mark Fisher in einem Beitrag für das Buch „Schöne neue Arbeit – Ein Reader zu Harun Farockis Film ‚Ein neues Produkt’“ beisteuert. Was sich in der Wirtschaft hinter einer Fassade der digitalen Modernität abspielt, ist die heuchlerische Inszenierung des Peinlichen und Absurden. Man vermittelt das Glaubensbekenntnis, lockere Netzwerke seien offener für grundlegende Umstrukturierungen als die überkommenen pyramidalen Hierarchien, die die Ford-Ära der industriellen Massenproduktion beherrschten. Die Verbindung zwischen den Knotenpunkten ist loser, man verzichtet auf Krawattenzwang, verordnet das kollektive Duzen und produziert kecke Imagevideos für Youtube – fertig ist die vernetzte Metamorphose. Hinter den Plattitüden der digital-darwinistischen Führungskräfte wuchert weiterhin eine bürokratische Mikroherrschaft, kaschiert mit einer durchsichtigen und schmierigen Onkelhaftigkeit.Digitale Coolness kaschiert Narzissten-HerrschaftFast jeder durchschaut dieses Spektakel und weiß, dass jede Hoffnung auf Freiheit nur außerhalb der Arbeit zu suchen ist. Wie kann man das in einer Netzökonomie ändern, ohne in einem fatalistischen Sumpf des Selbstbetrugs zu landen? Wenn an die Unternehmensspitze in erster Linie Borderliner und Narzissten gelangen, ist das nur schwer zu ändern. So beschreibt der Psychologe Dr. Robert Hare die Einstellungen und Handlunge vieler Führungskräfte im Unternehmen als psychopathisch. Es gilt, „Konkurrenten zu vernichten oder auf die eine oder andere Weise zu schlagen. Sie zerbrechen sich nicht lange den Kopf darüber, wie sich ihr Verhalten auf die breite Öffentlichkeit auswirkt, solange die Leute die Produkte des Unternehmens kaufen.“ Nachzulesen in dem Joel Bakan-Opus „Das Ende der Konzerne“.Große Unternehmen unterliegen komplett der Psychopathie-Diagnose von Hare. Sie handeln unverantwortlich, weil bei der Verfolgung ihrer Ziele jeder gefährdet ist, der ihnen in die Quere kommt. Sie versuchen, alles und jeden zu manipulieren, einschließlich der öffentlichen Meinung. Im Social Web wird das mit dem Weihrauch digitaler Coolness kaschiert. Hare verortet bei Konzernen – bei großen Mittelständlern ist das nicht anders – einen Hang zum Größenwahn, wenn sie ständig behaupten, die Nummer eins zu sein.Zu beobachten bei jedem Messe-Kickoff mit Tschakka-Gebrüll. Asoziale Neigungen sind ebenfalls typisch und die Unfähigkeit, Schuldgefühle zu empfinden. Wenn sie wie VW bei einem Gesetzesverstoß erwischt werden, zahlen sie den Ablass und machen unbeirrt weiter. Bei Großunternehmen regieren oberflächliche Kontakte: „Ihr einziges Ziel besteht darin, sich der Öffentlichkeit auf eine Weise zu präsentieren, die anziehend wirkt, aber nicht kennzeichnend für ihre wahre Natur sein muss“, so Hare. Das zählt zu den herausragenden Kennzeichen von Psychopathen. Sie sind berüchtigt für ihre Fähigkeit, ihre egozentrische Persönlichkeit hinter einer einnehmenden Fassade zu verbergen. Man braucht nur auf die unrühmliche Geschichte des Energiekonzerns Enron blicken, die sich mit großzügigen Unterstützungen von Kommunen, Kunstprojekten, Museen, Bildungseinrichtungen und Umweltschutzgruppen hervortaten. Am Ende brach der Wohltätigkeitsaktionismus unter der Last von Habgier, Überheblichkeit und krimineller Energie zusammen.Schafe im digitalen ChangeDigitale Technologie wird das nicht ändern. „Offenheit, Transparenz, und Partizipation müssen intensiver in die Arbeitswelt einfließen“, fordert Guido Bosbach in einem Beitrag für LeanKnowledgeBase. Wie soll das in psychopathischen Systemen gelingen?Es reicht nach Auffassung von Bosbach jedenfalls nicht, Menschen eine Transformation zu verordnen und sie durch den digitalen Change zu jagen, wie eine Herde Schafe zum Scheren. Es sei notwendig, zunächst die veralteten Systeme zu reflektieren und zu verändern.Das klingt mir zu defensiv. Sie müssen in der Netzöffentlichkeit entlarvt werden. Sie dürfen nicht mehr Orte der Demokratie-Abwesenheit sein. Es müssen im Grundgesetz zusätzliche Eckpfeiler installiert werden, die verhindern, dass psychopathische Organisationen allzu großen Schaden anrichten. Das Notiz-Amt plädiert darüber hinaus für eine digitale APO, um ein Mindestmaß an Gegenöffentlichkeit zu den pharisäerhaften Tricksereien von digital-transformatorisch-darwinistischen Schwätzern aufzubauen.Im Sommerinterview mit Thomas Sattelberger kommt das am 16. Juli noch einmal auf die Agenda. Man hört, sieht und streamt sich.