Interview

«Short-Seller sind gut für den Markt»

Carson Block ist in den vergangenen Jahren als Leerverkäufer bekannt geworden, der gezielt gegen börsengehandelte Unternehmen vorgeht, die die Bilanzen frisiert haben. Wie zum Beispiel Ströer.

Christof Leisinger
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(Bild: Imago)

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Carson Block ist in den vergangenen Jahren als Leerverkäufer bekannt geworden. Er sucht gezielt nach börsengehandelten Unternehmen, die die Bilanzen frisiert und ihren Wert geschönt haben. Schliesslich leiht er sich deren Aktien, verkauft sie am Markt und veröffentlicht seine Analysen. Er macht Gewinn, wenn daraufhin die Kurse fallen, so dass er die Papiere später günstiger zurückkaufen kann.

Jüngst ist ihm das beim deutschen Medienunternehmen Ströer gelungen. Nach einer Zwischenerholung nach dem ersten Kursschock rechnet er künftig wieder mit  tieferen Kursen.

Ihre Attacke auf Ströer hat in den vergangenen Tagen für Schlagzeilen gesorgt. Wie ist der Stand der Dinge?

Wir haben die Aktien des Unternehmens leer verkauft, weil der operative Geschäftsgang nicht annähernd so rosig ist, wie es die vorgelegten Zahlen erscheinen lassen. Wir haben verschiedene irreführende Buchungsvorgänge und sogar bemerkenswerte Insidergeschäfte entdeckt.

Carson Block (Bild: Privat)

Carson Block (Bild: Privat)

Das Unternehmen wehrt sich mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln; und es überrascht kaum, dass es die Analysten im zweiten Akt des Dramas auf seiner Seite hat. Schliesslich waren diese ziemlich blamiert, als wir mit unserem Bericht herauskamen. Nun aber folgt der dritte Akt.

Das heisst, Sie haben ihre Wette auf fallende Aktienkurse bei Ströer noch nicht geschlossen?

Nein, weil wir davon ausgehen, dass die Notierung noch weiter fällt. Schliesslich ist die Firma weniger wert, als das, was durch den Kurs impliziert wird. Recht haben und Geld verdienen ist manchmal nicht dasselbe. Es ist trotzdem unser Ziel, dass die Ströer-Aktie letztlich auf dem Kursniveau gehandelt wird, das der ökonomischen Realität entspricht. Die Finanzkennzahlen des Unternehmens sind sehr komplex. Folglich lässt sich nicht einfach feststellen, wie hoch der nachhaltig erzielbare Gewinn wäre. Grössere Transparenz könnte weiterhelfen aber sie wäre wohl schlecht für das gegenwärtige Management.

Kann man Ströer mit Sino Forest vergleichen?

Im Unterschied zu Ströer hatte Sino Forest kein reales Geschäft, sondern war zu 99% Fiktion. Was die Dimension der Täuschung anbelangt kann man die beiden Fälle also nicht vergleichen.

Wie sind Sie überhaupt auf Ströer gekommen, auf was achten Sie auf der Suche nach Auffälligkeiten?

In diesem Falle waren es die Geschäfte zwischen nahestehenden Unternehmen, die unsere Aufmerksamkeit weckten. Konkret verkauften Ströer-Geschäftsführer Udo Müller und Mehrheitseigner Dirk Ströer drei operative Einheiten über die Beteiligungsgesellschaft Media Ventures an die börsennotierte Gesellschaft, darunter freeXmedia. Es deutet alles darauf hin, dass dieser Verkauf schon beschlossen war, bevor Media Ventures freeXmedia erworben hatte. Deartige Transaktionen sind uns aus China bekannt und sie deuten meist darauf hin, dass das Management nicht im Sinne des Unternehmens handelt.

Können Sie diese Aussage etwas konkretisieren?

Uns öffnete die Analogie zu einer chinesischen Firma namens Focus Media die Augen, die in einem ähnlichen Bereich tätig ist wie Ströer und deren Aktien wir vor ein paar Jahren leerverkauft haben. Damals machten uns eine Reihe dubioser Transaktionen zu Lasten des an der Börse gehandelten Unternehmens stutzig. Focus Media war eine betrügerische Angelegenheit - das Management kam aber davon, weil es Kapital aufnehmen konnte und die Firma von der Börse nahm. Nach dem De-Listing zahlte das Unternehmen 55 Millionen Dollar für einen Vergleich mit der amerikanischen Börsenaufsicht SEC für eine Reihe von Transaktionen, die der freeXmedia Transaktion ähnlich waren.

Ist diese Branche anfällig für Fehlverhalten?

Aufgrund der verschachtelten Struktur, der Undurchsichtigkeit und auch der seltsamen Praktiken mag der Eindruck entstehen. Allerdings muss das noch lange nicht heissen, dass die Finanzkennzahlen aller in diesem Bereich tätigen Unternehmen problematisch sein müssen.

Haben sie einen Branchenansatz?

Nein, wir sind eher generalistisch. Grundsätzlich interessieren uns internationale Firmen, die in den Schwellenländern oder gar in den so genannten Frontier-Märkten tätig sind. Die Erfahrung der vergangenen Jahre zeigt uns, dass das Management daheim oft denkt, in Übersee laufe alles normal, während dort das Geschäft aus dem Ruder läuft. Konkrete Hinweise erhalten wir manchmal von quantitativen Untersuchungen, aber oft auch aus Gesprächen mit anderen Anlegern, aus Zeitungsberichten oder von Präsentationen.

Shortseller haben gemeinhin ein schlechtes Image. Was entgegnen Sie den Kritikern?

Leerverkäufer sind in meinen Augen ein gesundes Gegengewicht zur exzessiven Spekulation, zur Ausbildung von Vermögenspreisblasen und zum Bilanzbetrug. In einer Welt wie heute, in der Geld im Überfluss vorhanden ist, spielen sie eine wichtige Rolle, um die Entwicklung nicht noch weiter ausser Kontrolle geraten zu lassen.

Gemeinhin werden viele Betrügereien und Marktmanipulationen, die auch zu Verurteilungen führen, von Shortsellern aufgedeckt. Schliesslich haben sie die Ressourcen dazu und sie werden dafür belohnt.

Ihre Risiken jedoch sind beachtlich. Immerhin scheinen sich manche Investoren sogar darauf verlegt zu haben, Shortseller aus ihren Positionen zu drängen.

Die Märkte sind darauf programmiert, dass die Kurse steigen. Die Mehrheit der Anleger ist nur daran interessiert, während die Unternehmen zudem enorme Ressourcen haben, um die Notierungen zu treiben. Das bedeutet, dass es jedes Mal wie David gegen Goliath ist, wenn wir öffentlich eine Aktie leer verkaufen. Sino Forest zum Beispiel hat mehr als 50 Mio. $ ausgegeben, um unser Research zu diskreditieren. Auch bei Ströer ist die Macht enorm, da das Medienunternehmen seine Ressourcen einsetzen kann, um Stimmung zu machen. Verkaufsorientierte Analysten werden ohnehin bezahlt, um optimistisch zu sein. Traditionelle Aktienanalysen sind einseitig verzerrt zugunsten des Managements, aber das Internet hat Recherchemöglichkeiten eröffnet und die Möglichkeit geschaffen, öfter Recht zu haben. Das macht Short-Selling zu einem praktikablen Geschäftsmodell.

Wie sieht Ihr Risikomanagement aus?

Es ist unumgänglich, die Shortposition an das zur Verfügung stehende Eigenkapital anzupassen, eine Grösse zu wählen, bei der man noch gut schlafen kann. Natürlich behalten wir auch die Ereignisse während einer Kampagne sowie deren Wirksamkeit  im Blick.

Manche sagen, Short-Selling sei amoralisch.

Das ist falsch. Im Gegenteil: Es ist unmoralisch, ein Unternehmen an die Börse zu bringen und dann irreführende Bilanzen zu veröffentlichen. Alleine die Tatsache, dass die Anteile einer Firma öffentlich am Aktienmarkt gehandelt werden, ist an sich noch nichts Gutes. Viele Manager, Investmentbanker etc. handeln primär in ihrem eigenen Interesse und nicht in dem der Investoren. Die Finanzmärkte beinhalten die größte Ansammlung von Vermögen, die man sich vorstellen kann. Das zieht viele intelligente und integre Personen an, aber auch viele, die einfach nur gierig sind und die die Anleger letztlich auf Verlusten sitzen lassen. Das ist unmoralisch.

In diesem Sinne bewirken Short-Seller Gutes, wenn sie Pensionsfonds und andere Anleger darauf aufmerksam machen, dass es bei einem bestimmten Unternehmen ein Problem gibt.

Würden sie der Aussage zustimmen, es gäbe sogar zu wenig Leerverkäufer?

Ja – vor allem auch in Europa, wo Leerverkäufe alleine schon aus regulatorischen und juristischen Gründen nicht so einfach möglich und teilweise sogar einschüchternd sind.

Haben sie derzeit neben Ströer andere europäische Aktiengesellschaften im Visier, möglicherweise sogar in der Schweiz?

Ja, es gibt mehrere Unternehmen, die uns aufgefallen sind. Die Schweiz kann insofern interessant werden, weil man sich in Ländern wie der Schweiz , Deutschland und Singapur üblicherweise an die Gesetze hält. Das ist unter Umständen ein gutes Umfeld für jene, die Dubioses vorhaben. Aber wir haben uns mit diesen Situationen noch nicht näher beschäftigt.

Sind in nächster Zeit Überraschungen in Form neuer Leerverkäufe zu erwarten?

Ja.