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Geldanlage Mittelstandsanleihen

Dieses Investment wird für Anleger zum Desaster

Leitender Wirtschaftsredakteur
Dutzende Mittelständler haben sich bei Sparern Milliarden geliehen. Die bangen nun um ihr Geld. Viele Firmen haben den seriösen Deckmantel missbraucht. Die Situation erinnert an den Neuen Markt.

Ralf Meinerzag will mit dem deutschen Mittelstand nichts mehr zu tun haben. Der Fondsmanager des Steubing German Mittelstand Fund I hat bis auf zwei Ausnahmen alles verkauft, das mit dem Symbol für deutsche Solidität verwoben ist. Er zählt die Tage, bis auch das Wort „Mittelstand“ aus seinem Investmentvehikel getilgt ist. Das Geld seiner Kunden steckt nun in europäischen Hochzinsanleihen, und bald soll auch sein Fonds entsprechend heißen.

Das Unternehmen German Pellets ist hoch verschuldet
Das Unternehmen German Pellets ist hoch verschuldet
Quelle: dpa

Meinerzag sieht nicht Deutschlands wirtschaftliches Rückgrat brechen. Vielmehr hat er genug von dem Marktsegment Mittelstandsanleihen, das den Anschein hat, ein Tummelplatz für Aufschneider und Betrüger zu sein. In dieser Woche hat German Pellets zur Gläubigerversammlung für Februar geladen: Die Anleihehalter des Brennstoffherstellers German Pellets sollen die im April fällige Rückzahlung einer Anleihe über 54,4 Millionen Euro verschieben.

Zudem will das hoch verschuldete Unternehmen die Zinsen von 7,25 Prozent auf 5,25 Prozent kürzen. Zwar will Miteigentümer und Chef Peter Leibold Anlegern 50 Prozent der Gesellschafteranteile am Unternehmen überlassen. Doch wie werthaltig Anteile an einer GmbH sind, die Probleme hat, ihre Gläubiger zu bezahlen, ist für Anleger zweifelhaft.

Situation erinnert viele Profis an den Neuen Markt

Das Brisante am Fall des Holzpellet-Herstellers: Zunächst waren die Anleihen scheinbar grundlos um 80 Prozent abgestürzt, erst dann flatterte die Einladung zur Gläubigerversammlung ins Haus. „Mich hätte mal interessiert, wie es dem Unternehmen geht, doch darüber schweigt sich die Firma aus. Da fehlt mir jegliche Solidität“, sagt Meinerzag.

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Nach Angaben des Finanzdatendienstes Bloomberg hat German Pellets insgesamt Anleihen im Volumen von 280 Millionen Euro am Markt. Und das sind längst nicht die einzigen Papiere des Mittelstandssegments, die im Feuer stehen. Inzwischen notieren 29 Anleihen bei einem Nennwert von 50 Prozent oder darunter, weil deren Unternehmen bereits Insolvenz angemeldet haben oder aber kurz davor stehen.

Für mich sieht das alles wie der Niedergang eines ganzen Segments aus
Ralf Meinerzag, Fondsmanager

Für Anleger stehen Papiere mit einem Volumen von 1,52 Milliarden Euro auf dem Spiel. Etwa 182 Millionen Euro beim Schrott- und Recyclinghändler Scholz. Der hat extra seinen Firmensitz von der schwäbischen Alb nach London verlegt, um die Anleihe leichter restrukturieren, sprich: die Gläubiger einfacher enteignen zu können.

„Für mich sieht das alles wie der Niedergang eines ganzen Segments aus“, schimpft Meinerzag. Nicht nur für ihn ist das Mittelstandssegment ein riesengroßer Etikettenschwindel. Nach Ansicht von Experten ist die gute deutsche Marke benutzt worden, um arglosen Sparern Geld aus der Tasche zu ziehen. Die Situation erinnert viele Profis an den Neuen Markt, den hoch riskante Firmen nutzten, um durch den Verkauf ihrer Aktien Geld zu machen. Nach einer Reihe von Skandalen wurde das Segment im Juni 2003 von der Deutschen Börse geschlossen.

Es dürfte zu weiteren Pleiten kommen

Ein ähnliches Schicksal droht nun auch dem Markt für Mittelstandsanleihen. Nach der Gründung im Jahr 2010 erlebte das Segment einen fast schon kometenhaften Aufstieg. Binnen kurzer Zeit wurden Schuldtitel in einem Volumen von vier Milliarden Euro verkauft. Auch Privatanleger griffen gern zu, boten die vermeintlich soliden Mittelständler doch Zinsen von sechs, sieben oder acht Prozent.

Nun befindet sich der junge Markt im Absturzmodus. Sichtbar wird das am Anleiheindex Mibox, der die Kurse des Segments bündelt und am vergangenen Freitag ein historisches Tief markiert hat, ebenso wie der Mittelstandsindex BondM. Der notierte zu Wochenschluss bei 72 Punkten. Wer seit Auflage des Index 2011 alle Titel gekauft hat, hat trotz aller Zinszahlungen fast 30 Prozent verloren. Und selbst dieser Wert ist noch geschönt. Schließlich werden die Pleiten aus dem Index genommen, das Desaster für Anleger ist damit noch wesentlich dramatischer, als es der BondM-Index suggeriert.

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Und es dürfte zu weiteren Pleiten kommen. Denn in diesem und im kommenden Jahr werden viele Anleihen fällig, sprich: Es ist Zahltag. Doch nur die wenigsten Unternehmen dürften genug Geld haben, um die Gläubiger auszuzahlen. An Bankkredite kommen die meisten Unternehmen nicht heran. Schließlich haben viele Banken den Boom bei Mittelstandsanleihen genutzt, um die Risiken aus den eigenen Bilanzen zu nehmen und auf die Anleger abzuwälzen.

Den wenigsten dürfte es auch gelingen, mit der Ausgabe neuer Anleihen die alten Schulden abzulösen. Denn Käufer sind bei den Anleihen kaum noch in Sicht, wie auch Meinerzag beobachtet hat. Dieser Kanal sei durch die zahlreichen Skandale vollständig verstopft, sagt Meinerzag. „Ein Kind greift einmal auf die heiße Platte, aber nicht zwei- oder dreimal.“

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