Marc Andreessen:Mächtiger Investor beleidigt mit einem Tweet eine Milliarde Inder

Marc Andreessen: "Antikolonialismus war jahrzehntelang eine wirtschaftliche Katastrophe für die Inder. Warum jetzt also damit aufhören?" Marc Andreessen.

"Antikolonialismus war jahrzehntelang eine wirtschaftliche Katastrophe für die Inder. Warum jetzt also damit aufhören?" Marc Andreessen.

(Foto: Bloomberg)

Marc Andreessen ist einer der einflussreichsten Männer im Silicon Valley. Die indische Kolonialgeschichte muss er noch lernen.

Von Varinia Bernau

Die Sonne war noch nicht aufgegangen über der Bucht von San Francisco, als sich Marc Andreessen ans Twittern machte. Und unter all den Botschaften, die er dort zuletzt platzierte, war jene in den frühen Morgenstunden wohl eine der klügeren: "Ich ziehe mich aus allen weiteren Diskussionen über die indische Wirtschaft und Politik zurück und übergebe an Menschen mit mehr Wissen und Erfahrung!"

Vorangegangen war dieser Einsicht ein Schlagabtausch zwischen dem Mann, der im Silicon Valley wie ein Guru verehrt wird, und zahlreichen Indern - oder Menschen, die zumindest etwas von den traurigen Kapiteln der indischen Geschichte verstehen. Für sie alle war vor allem ein Tweet von Andreessen ein Schlag ins Gesicht: "Antikolonialismus war jahrzehntelang eine wirtschaftliche Katastrophe für die Inder. Warum jetzt also damit aufhören?"

Indien hatte Facebook verboten, die Inder zu "beglücken"

Auslöser für die Debatte über Wohl und Wehe des Kolonialismus war eine Entscheidung der indischen Regierung: Am Montag hatten die dortigen Regulierer auf eine strenge Einhaltung der Netzneutralität gepocht - und den Telekommunikationsanbietern untersagt, gewisse Internetdienste bevorzugt durchs Netz zu schleusen.

Das ist das Aus für die von Facebook betriebene Plattform Free Basics, über die Inder seit November kostenlosen Zugang zu ausgewählten Bildungs- und Gesundheitsdiensten haben - und, na, klar, zu Facebook. Die ganze Sache, das hatte sich seit Längerem abgezeichnet, war in Indien äußerst umstritten. Deshalb hatte Facebook-Chef Mark Zuckerberg persönlich für das Projekt in Indien geworben.

Andreessen, 44, wiederum schätzt Zuckerberg nicht nur als klugen Programmierer, sondern auch als versierten Geschäftsmann: Er gehörte zu den frühen Förderern und Finanzierern von Facebook und sitzt inzwischen im Aufsichtsrat des Internetkonzerns.

Eine Milliarde Inder sind noch nicht bei Facebook

Natürlich konnte ihm nicht gefallen, dass Facebook nun eine Schlappe in einem solch verlockenden Markt wie dem indischen wegstecken musste. Dort sind erst 300 Millionen Menschen online, was bedeutet: Etwa eine Milliarde Menschen auf dem Subkontinent sind es noch nicht. In den Augen von Andreessen und Zuckerberg: ein enormes Potenzial.

Andreessen begeistert sich seit seiner Kindheit für Computer. Mitte der Neunzigerjahre hat er in Mosaic ein Werkzeug fürs Internet entwickelt - und dieses so massentauglich gemacht. Er legte sich mit dem damals mächtigsten Technologiekonzern an: Microsoft. 1998 verkaufte Andreessen die Software für mehr als vier Milliarden Dollar an AOL.

Elf Jahre später tat er sich mit Ben Horowitz, seinem Partner aus früheren Zeiten, zusammen, um mitten in der Weltwirtschaftskrise 300 Millionen Dollar einzusammeln und diese in Technologie-Start-ups zu stecken. Kritikern, die etwa vor einer Blase warnen oder gesellschaftlichen Verwerfungen in einer immer digitaleren Welt, entgegnet Andreessen inzwischen mit Optimismus und Technologiegläubigkeit.

"Kommt dir das Wort Genozid bekannt vor?"

Auf Twitter schrieb er nun also: "Den Ärmsten der Welt einen kostenlosen Zugang zu Teilen des Internets zu verweigern, während sie heute gar keinen haben, nur aus ideologischen Gründen, erscheint mir moralisch falsch." Oder: "Eine weitere in einer langen Reihe von selbstmörderischen Entscheidungen, die die indische Regierung gegen ihre Bürger trifft."

Darauf bekam Andreessen nicht nur den Zorn unzähliger Inder zu spüren, sondern auch ein bisschen Nachhilfe in indischer Geschichte - pointiert auf 140 Zeichen. "Kommt dir das Wort Genozid bekannt vor?", twitterte einer. Und ein anderer ergänzte: "Wusstest du wirklich nicht, dass wir nach der Zeit des Kolonialismus ohne Reparationszahlungen völlig verarmt neu anfangen mussten?"

Update, 11.2.: Inzwischen hat sich Zuckerberg von Andreessens Äußerungen distanziert. "Ich fand die Kommentare sehr schlimm, sie repräsentieren in keinster Weise, wie Facebook oder ich denken", heißt es auf seiner Facebook-Seite. "Ich bin früh im Denkprozess über unsere Mission nach Indien gereist und war inspiriert von der Menschlichkeit, dem Geist und den Werten der Menschen dort."

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