Große Tageszeitungen wie die"Taz" und „Tagespiegel“ feiern heute 100 Jahre Dada. Die künstlerische und literarische Bewegung des anarchistischen Blödsinns hat durchaus etwas gemein mit der gegenwärtigen Startup-Kultur im E-Commerce. Lautgedichte, Collagen, Quatsch und Anspruch, alchimistisch verwandelte Kunstformen, Chaos. Das ist Dada. Startups, das bedeutet Ideen, Verrücktheiten, Umstürzler, Symbiosen, Experimente, Chaos. Futuristen, Avantgarde hier wie dort. Aber auch Nonsens und Klamauk ist dabei. Und natürlich jede Menge Berlin.



„Blödsinn und Bluff gehörten zum künstlerischen Charakter der Dadaisten“, sagt Literaturkenner Peter von Matt in der "Welt"

Das kennt man so auch aus der Startup-Szene.

Manch eine digitale Handelslösung, dass unken nicht nur Berlin-Gegner und WHU-Neider, wird schließlich nur geboren, weil sich eine eigene Startup-Gründung gut in der Vita macht. Exit-Strategie Lebenslauf. Kenner der Szenen wissen: auch manch ein spektakuläres Promi-Investment ist finanziell kaum mehr wert als die Billy-Regale im Hinterhof-Büro. 

Dada erhob das Gimmick zur Kunstform. Auch ernsthafte Business-Ideen im digitalen Handeln sind zuweilen voller Gimmicks. Wie bei Dada, das nach kurzem Hype von der Bildfläche verschwand, kann man das Gespür für die Möglichkeiten, den Ausprobiermodus goutieren. Man wird aber feststellen, dass sich viele Ideen bestenfalls in anderen Unternehmen über die Zeit retten lassen. So wie Dada sich in anderen Künsten fortpflanzte.

Dada, ein Name als Programm, der heute so wenig bedeutet, wie das Wort Innovation.

Buzzwords 1.0 (Ausschnitt aus der Zeitschrift »Der Dada«, Berlin 1920)
Buzzwords 1.0 (Ausschnitt aus der Zeitschrift »Der Dada«, Berlin 1920)


Nehmen wir beispielsweise das ganz junge Startup EarlyTaste. (Sorry, dass die Idee als ein Beispiel für ein Symptom herhalten muss.)
Leckeres Frühstück wollen die Kölner liefern. Gesund und in recycelten Verpackungen. Eine charmante Idee, der wir viel Glück wünschen. Aber in dem Ameisenhaufen der Lieferdienste ist der Ansatz so bahnbrechend wie ein Sonnenbankstudio in Abu Dhabi.

Noch ein Beispiel: „Ein Start-up wirbelt die Tourismusbranche auf“. So macht das französische Startup NightSwapping aka Cosmopolit Home auf sich aufmerksam. Die Idee: Über die Plattform können die Teilnehmer "Nächte tauschen". Wer in seiner Wohnung, seinem Haus oder Gästezimmer Gäste empfängt, bekommt die Nächte gutgeschrieben, kann die dann bei anderen „Nightswappern“ einlösen, aber auch Nächte „dazukaufen“. Gezündet sind solche Lösungen bei der Generation Airbnb bislang nicht so richtig. Hübsch immerhin, gesucht wird per Wisch nach dem Tinder-Prinzip. Doch auch hier gilt: Kopierbar ist das leicht. Angesichts von über 150.000 Mitglieder seit der Gründung 2012 drängt sich das aber nicht unbedingt auf. Keine Ahnung, wo britische Medien da sehen, dass “the 'Tinder of travel' is taking the world by storm”

Gemeinsam haben solche Beispiele, die immer noch ein bisschen vom Zerstörungsklischee der digitale Disruption profitieren vor allem, dass sie außer einem dadaistischen Ansatz und einem schöpferisches Prinzip nicht erkennen lassen, wie ein dauerhaftes Fundament für den eigenen Erfolg oder einen vielversprechenden Exit aussehen kann.

Besser eine schlechte Idee und gute Daten, als eine gute Idee und schlechte Daten

In einer Zeit, in der Re/Code schon die Party für Flash-Sale-Lösungen zu Ende gehen sieht, schauen die wahren Futuristen nämlich nicht allein auf die hübsche Gimmick-Lösung. Jenseits von spannenden Nischen und Lilienmilchseifen ist das Erkennungszeichen produktiver Lösungen, dass sie auf die Performance von Prozessketten und Algorithmen setzen: Airbnb, Netflix, Uber und Co sind ja nicht deswegen so disruptiv, weil sie nur eine clevere Idee hatten, die irre schwer zu kopieren wäre (sie ist es nicht).  Sondern sie gehen einfach irre clever mit ihren Daten um.

Auf dem mit drei Milliarden Dollar bewerteten Marktplatz Wish sind Personalisierung und Algorithmen sowie Community-Effekte der eigentliche Wert. Denn billiges Zeug aus China verkaufen, das ist nicht die hohe Kunst.
Auch beim deutschen Billigheimer Lesara ist sind weder Sortiment, noch Optik, noch die Grundidee innovativ. Ein Schnäppchen-Shop. Disruptiv ist das nicht. Spannend ist aber, wie Lesara schlichtweg davon profitiert, per Datenanalyse frühzeitig neue Trends aufzuspüren und durch Niederlassungen in Asien (im chinesischen Guangzhou) diese dann binnen weniger Tage produzieren lässt und an die Kunden ausliefert.

Die Datenwelt ist auch eine Achillesferse all der hippen Concierge-Services und SMS-Butler ala GoButler, das gerade den Rückzug aus dem deutschen Markt angekündigt hat. Ihre Krux: Wie lassen sich die Kreditkartendaten, Adressen und weitere Daten der virtuellen Assistenten verwerten? Skaleneffekte klingt da noch wie ein Dada-Wort. Und wo bleiben die Messenger-App-Assistenten, wenn WhatsApp, Facebook und Co entsprechende eigene Lösungen für den modernen Shopper aufbieten?

Simple Mathematik, beziehungsweise bessere Mathematik und mehr Daten des Wettbewerbers schlagen so die Idee von einer kreativen Moderne. Oder anders gesagt: besser eine schlechte Idee und gute Daten, als eine gute Idee und schlechte Daten. Das nächste Top-Startup im E-Commerce entwickelt also kein Händler, sondern ein Programmierer. Und da ist dann der Unterschied zu Dada. Dada, das war noch das Spiel mit dem kreativen Zufall. Heute entsteht Revolutionäres mit Berechnung.