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Stickstoff für Autoreifen: Runter vom Gas

Foto: Corbis

Pseudo-Innovation Warum Stickstoff in Autoreifen Quatsch ist

Der Reifenhandel wittert ein lukratives Geschäft: Statt Luft will er Stickstoff in Auto-Pneus füllen. Für die Kunden ist das teuer - und sinnlos.

Die Reifen von Verkehrsflugzeugen, Formel-1-Rennwagen und Gefahrguttransportern haben eines gemeinsam: Sie sind extremen Belastungen ausgesetzt und müssen so sicher wie möglich sein. Deshalb werden sie nicht mit normaler Luft, sondern mit Stickstoff befüllt. Das Gas bietet zwei Vorteile: Es ist nicht entzündlich, sondern wirkt feuerhemmend und verhindert zudem einen Rostbefall der Felge oder der Ventile von innen.

Die Vorzüge preisen viele Reifenhändler auch für ganz normale Pkw-Pneus an. Die Werkstattkette A.T.U beispielsweise bietet Stickstoff-Füllungen für drei Euro pro Reifen. Damit seien der Abrollwiderstand und der Druckverlust geringer, der Fahrkomfort besser, das Abrollgeräusch leiser, die Haltbarkeit länger sowie der Rostschutz höher.

Ist Stickstoff also eine Art Wundergas für Autoreifen?

"Trügerische Sicherheit"

Klare Antwort: Nein. "Bislang gibt es keine Belege dafür, dass die Befüllung mit Stickstoff besonders positive oder negative Effekte auf Druckverlust, Fahreigenschaften oder Abrollgeräusche hat", sagt Klaus Engelhart vom Reifenhersteller Continental. Schon in ganz normaler Druckluft liege der Stickstoffanteil bei etwa 78 Prozent. Durch die Befüllung eines Reifens mit reinem Stickstoff steige dieser Anteil im Innern des Pneus auf gut 90 Prozent.

Richtig ist allerdings, dass Stickstoff aufgrund der etwas größeren Moleküle etwas langsamer aus einem Reifen entweicht als Sauerstoff. Bei Tests ergaben sich Druckunterschiede von wenigen Hundertstel bar Reifendruck nach mehreren Monaten zwischen mit Luft und mit Stickstoff befüllten Pneus. Bei einem Defekt am Reifen - etwa durch einen eingefahrenen Nagel oder Splitter - entweicht Stickstoff aber ebenso rasch wie Luft.

Continental-Mann Engelhart sieht im Argument des geringeren Druckverlustes sogar eine potenzielle Gefahr. "Dadurch entsteht eine trügerische Sicherheit, die den Autofahrer dazu animiert, den Reifendruck nicht mehr regelmäßig zu prüfen, das jedoch wäre fahrlässig."

Auch der Autoklub ADAC rät eher von der Stickstoffbefüllung ab: "Mit korrekt eingestelltem Luftdruck sind negative Einflüsse auf Verschleiß und Kraftstoffverbrauch ausgeschlossen. Womit klar ist: Der Preisvorteil spricht ganz klar für die Befüllung aus dem Druckluft-Kompressor."

Unabhängig davon, welches Gas man nun in die Reifen presst, ist eine regelmäßige Druckkontrolle der entscheidende Faktor. Ist der Druck um 0,2 bar zu gering, bedeutet das einen Kraftstoff-Mehrverbrauch von etwa fünf Prozent; bei 0,5 bar steigt der Mehrverbrauch auf rund einen Liter je 100 Kilometer.

Nach Angaben des TÜV beträgt der jährliche Mehrverbrauch in Europa allein durch zu schwach befüllte Reifen drei Milliarden Liter Kraftstoff - das entspricht einem Wert von fünf Milliarden Euro. Daher gilt als Faustregel: Lieber etwas zu viel Druck, als zu wenig. 0,2 bar mehr Druck im Pneu als vom Hersteller angegeben sind kein Problem.

Frische Luft bei voller Fahrt

Möglicherweise wird das Prüfen des Luftdrucks künftig überflüssig - und zwar nicht wegen eines neuen Gases. "Denkbar sind Systeme, bei denen die Luft nicht mehr an der Tankstelle, sondern während der Fahrt nachgefüllt wird", sagt Conti-Sprecher Engelhart.

Entwickler denken beispielsweise über Autos mit eingebautem Kompressor nach, der während der Fahrt über einen Schlauch durch die Radnabe in den Reifen für einen permanenten Idealdruck sorgt. Der Kompressor könnte im Zusammenspiel mit entsprechenden Sensoren den Reifendruck den jeweiligen Straßenverhältnissen anpassen, was zusätzlich Sprit sparen könnte.

Auch die Sicherheit könnte durch ein solches System verbessert werden. "Bei einer Notbremsung ließe sich blitzartig der Reifendruck verringern, was zu einer größeren Auflagefläche des Profils und damit einem kürzeren Bremsweg führen würde", sagt Engelhart.

Allerdings wäre so ein System ziemlich teuer. Weshalb bis auf Weiteres die regelmäßige Reifendruckkontrolle wohl die billigste, sicherste und klügste Art ist, die Sohlen des Autos intakt zu halten.