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Was geschrieben ist, das bleibt

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Ein kleiner Auszug aus dem Stammbaum der Familie Wernberger. Die Lücken zu schließen, gehört zu den Hauptaufgaben der Ahnenforscher.
Ein kleiner Auszug aus dem Stammbaum der Familie Wernberger. Die Lücken zu schließen, gehört zu den Hauptaufgaben der Ahnenforscher. © OVB

Der örtliche Klatsch und die große Politik sind bekanntlich typische Stammtischthemen. Beim Mesnerwirt in Schechen findet jeden zweiten Donnerstag in ungeraden Monaten jedoch ein Stammtisch statt, der sich nicht Aktuellem, sondern der Vergangenheit widmet - beim Treffen der Ahnenforscher aus dem bayerischen Landesverband für Familienforschung.

Schechen/Landkreis - "Ahnenforschung ist eine Alterserscheinung", sagt Walter Ram schmunzelnd. 2008 trat der Zweite Vorsitzende des historischen Vereins Bad Aibling in den Ruhestand. Seitdem lässt ihm ein Anliegen keine Ruhe mehr: die Aufarbeitung der eigenen Familiengeschichte. Bis 1830 hat er sie schon zurückverfolgt und dokumentiert, doch die Forschungsarbeit in eigener Sache ist angesichts einer großen Verwandtschaft noch lange nicht beendet.

Wobei: "Man kann ewig forschen und muss irgendwann einmal einen Schlusspunkt setzen", unterstreicht Adalbert Meishammer aus Rosenheim-Aising die Gefahr des Verzettelns. Ein Vorfahre hat bei ihm die Neugier an den weit verzweigten Ästen der eigenen Familiengeschichte geweckt: Der Großvater von Meishammer war ein bekannter Baumeister in der Region. Viele Schloßberger Villen zeichnen seine Handschrift - unter anderem das Rote Schulhaus (heute Bürgerhaus). Ein bekanntes Meishammer-Gebäude ist außerdem die Rosenheimer Fischküche. Zahlreiche Baupläne dieser Gebäude hat der Enkel geerbt. Er fand sie bei der Auflösung des Nachlasses in einem Hühnerstall des Anwesens seines Großvaters.

Johann Meishammer, der Baumeister, ist der Fixstern, von dem aus sein Enkel die Familiengeschichte aufgearbeitet hat - rückwärts und vorwärts. Bis 1720 hat er die vielen Äste und Zweige der Ahnen schon in eine Ordnung gebracht, etwa 400 Pesonen erfasst.

Dafür hat er viele Stunden in Archiven und Bibliotheken gesessen, sich durch Berge von Akten gewühlt. Geholfen haben ihm auch die Kollegen vom Stammtisch: mit praktischen Tipps, Hinweisen auf mögliche Quellen, Ratschlägen zur Vorgehensweise. Zu den Stammtischlern gehören Ahnenforscher, die noch die alte deutsche Schrift lesen können, aber auch solche, die eine moderne Errungenschaft besonders gut beherrschen: den Umgang mit PC-Programmen, die heute die Familienforschung erleichtern.

Eins eint die Stammtischler: "Wir sind Sammler und Jäger." Das war schon der Vater von Hans Wernberger aus Rohrdorf: In einem großen Karton sammelte er Unterlagen rund um die Familiengeschichte. Der Sohn stieg noch tiefer in die Historie der Wernbergers ein, verfolgte sie bis 1540 zurück. Die Recherche brachte so manche Überraschung zu Tage: Verwandte, von denen die Familie nichts gewusst hatten und neue Äste des Stammbaumes wachsen ließen. "Wir haben gar nicht gewusst, dass es Dich gibt": Dieser Satz fiel in den vergangenen Jahren intensiver Ahnenforschertätigkeit in den Familien von Meishammer, Ram und Wernberger sehr oft.

"Es ist die Neugier, die uns umtreibt", sagen sie, "wir wollen wissen, woher wir kommen". Diese Frage beschäftigt ihre Enkel - noch - nicht, es ist ein Thema, das nach Erfahrungen der Familienforscher im Alter zunehmend an Bedeutung gewinnt. Denn die Beschäftigung mit der eigenen Geschichte schärfe den Blick für das Heute, sagen die drei Herren vom Stammtisch beim Mesnerwirt. Heute: Das bedeutet nach ihren Erfahrungen die Chance, in Frieden und Wohlstand zu leben. "Die gute, alte Zeit hat es nämlich nicht gegeben." Die Familienforscher stießen bei ihren Recherchen auf viele schwere Schicksale, auf Not und Entbehrung, viele Ahnen, die auf den Schlachtfeldern starben, mit sozialen Ungerechtigkeiten kämpften.

Kompliziert wird die Familienforschung außerdem durch ein Thema, das heute keines mehr ist: uneheliche Kinder. Weil beispielsweise Knechte früher nicht heiraten durften, wurden ihre Nachkommen oft dokumentarisch gar nicht oder in speziellen Kirchenbüchern erfasst. Hoch war außerdem die Kindersterblichkeit. Große Lücken in den Stammbaum rissen die beiden Weltkriege. Die schwer arbeitende Landbevölkerung erreichte früher in der Regel nur ein Alter, in dem die Menschen heute noch voll im Berufsleben stehen.

Über all dies berichten Stammbäume und Familienchroniken, sozusagen die kleine Geschichte in der großen. Sie aufzuschreiben und in ein Buch zu binden, ist das oberste Ziel der Ahnenforscher aus dem Landesverband. Obwohl sie am Computer mit modernen Softwareprogrammen arbeiten, finden sie: "Nur was geschrieben ist, das bleibt."

Deshalb widmen sich die Ahnenforscher aus dem Landesverband auch familienübergreifenden Themen: Sie sammeln Sterbebilder und archivieren sie, dokumentieren Namen und Daten der Verstorbenen auf den örtlichen Friedhöfen. Denn diese verlieren in Zeiten neuer Bestattungsformen ihre in Stein- und Grabplatten eingefasste Dokumentationsaufgabe. Neue Lücken in Ahnenketten drohen, sie nicht weiter aufreißen zu lassen, sehen die Forscher als eine weitere Aufgabe.

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