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Im Sommer 2011 setzten die Ratingagenturen Griechenland und Portugal unter Druck. In Lissabon wurde deshalb gegen Moody's und S&P demonstriert.

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Hinrichs: Kritik an Ratingagenturen medial aufgeblasen.

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Wien - Die Sache sah aus wie eine sichere Bank. Im Juni 2011 steuerte die Eurokrise auf einen Höhepunkt zu, weil Griechenland dringend entschuldet werden musste. Befeuert wurde das Drama von den drei großen Ratingagenturen Moody's, Standard & Poor's und Fitch. Mit den Downgrades von immer mehr Euroländern trieben sie die Politik vor sich her.

Doch damals im Juni zeichnete sich auch eine Wende ab. Politiker und Unternehmer begannen den Plan für den Aufbau einer europäischen Ratingagentur zu forcieren. Bei S&P, Moody's, teils auch Fitch hatten US-Eigentümer das Sagen. Waren sie nicht deshalb so streng mit den Europäern? Doch aus den Ideen wurde nichts. Ein Konzept nach dem anderen landete seit 2011 in der Schublade, zuletzt auch das vielversprechendste des deutschen Beratungsunternehmens Roland Berger.

Vor kurzem hat ein neuer Anlauf begonnen: "Ja, wir wollen die führende europäische Ratingagentur werden", sagt Torsten Hinrichs im Gespräch mit dem STANDARD. "Aber wir wollen einen neuen Zugang suchen als andere davor."

Neuer Zugang

Seit kurzem ist Hinrichs Chef von Scope Ratings. Die deutsche Firma mit Büros in Berlin und London will sich auf die Bewertung von Banken, Unternehmen und Finanzprodukten spezialisieren. Auf den ersten Blick gibt es wenig Gründe, weshalb Scope zu einer Ratingmacht aufsteigen sollte. Mehrheitseigentümer Florian Schoeller, Sohn eines Textilfabrikanten, geht mit der Idee, ein Gegengewicht zu den US-Giganten zu schaffen, seit Jahren hausieren. Bisher mit beschränktem Erfolg.

Dank neuer Investoren konnte Scope allerdings in den vergangenen Wochen auf Expansion schalten. Das Unternehmen hat der Konkurrenz eine Reihe prominenter Mitarbeiter abgeworben. An vorderster Stelle steht Hinrichs: Der Deutsche verantwortete 15 Jahre bei S&P das Geschäft im deutschsprachigen Raum und in Osteuropa. Er galt als "Mr. Eurokrise", weil er 2011 und 2012 das Gesicht von S&P in deutschen und österreichischen Medien war. Ein weiterer Prominenter bei Scope ist Sam Theodore, der bei Moody's lange das Bankenrating für Europa verantwortete.

Angelsächsische Brille

Was aber macht eine "europäische" Ratingagentur anders? Hinrichs sagt, dass man bei Scope keine "angelsächsische Brille" aufhabe und Besonderheiten in Europa berücksichtigen könne. Sein Beispiel: In der EU wurde soeben das "Bail-in"-Modell auf Schiene gebracht. Statt Staaten müssen künftig Investoren einspringen, um marode Kreditinstitute zu stützen.

Deshalb berücksichtigt Scope beim Rating einer Bank nicht mehr, wie das Land bewertet wird, in dem die Bank sitzt. Bei US-Agenturen spielt die Länderbeurteilung für Banken nach wie vor eine große Rolle.

Eine andere Neuheit ist, dass im Gegenzug zum Konzept von Roland Berger, das stark auf Staatenbewertungen abgestellt war, Scope Länder gar nicht bewertet. "Es gibt genug Länderratings und Analysen. Ein weiteres bietet keinen Mehrwert", sagt Hinrichs.

Zu den Schwierigkeiten zählt, dass der Ruf der Ratingbranche angeschlagen ist. Die US-Regierung hat 2013 in Kalifornien eine Schadenersatzklage gegen S&P eingebracht. Das Unternehmen habe Ramschpapiere vor 2008 teils aus Fahrlässigkeit teils mit Vorsatz falsch bewertet, so der Vorwurf. In der pikanten Klageschrift werden interne Mails zitiert, in denen sich Mitarbeiter über die nicht vorhandenen Prüfstandards bei S&P lustig machen.

"Das Ganze ist medial hochgespielt worden", sagt Hinrichs. Die US-Behörden hätten Millionen von Mails durchleuchtet. In ein paar seien "unpassende" Äußerungen gefunden wurden. "Dass sich Mitarbeiter über eine Firma beschweren, gibt es überall."

Und wie sieht er im Nachhinein seine Arbeit bei S&P, habe man die Europäer in der Krise unter Druck gesetzt? Sicher nicht, sagt Hinrichs. Die Kreditentscheidungen für Europa seien immer in Europa und nicht in den USA getroffen worden. Allerdings hätte man "mehr Sensibilität" zeigen sollen. Politiker haben kritisiert, dass Länderratings zwischen 2010 und 2012 ausgerechnet vor wichtigen EU-Gipfeln oft gesenkt wurden. "Das war sicher keine Absicht. Aber man hätte mehr Feingefühl beim Veröffentlichungszeitpunkt zeigen können", so Hinrichs. (András Szigetvari, DER STANDARD, 15.9.2014)