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Modernes Training Fitness follows function

Modernes Training, das heißt heute: Functional Training! Wir erklären, welche Stärken das Trainingsprinzip hat – und wie es wirkt.

von Heike Schönegge
Hanteln
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Als Jäger und Sammler war es für die Menschen einst überlebenswichtig, schnell zu reagieren, wenn es die Situation erforderte: etwa auf Bäume zu klettern, um nach Beute Ausschau zu halten. Oder antrittsschnell vor Feinden zu flüchten und dabei über Stock und Stein zu springen. Durch die geringeren Bewegungsanforderungen kommen wir heute zwar bequemer durchs Leben. Doch fordern wir unseren Körper einmal mehr als gewohnt, gelangen wir schnell an seine Leistungsgrenzen. Da reicht oft eine ungewohnte Drehung oder ein rascher Schritt nach hinten, um sich zu verletzen.

Slingtrainer, Kettlebell, Equalizer: Widerstandsgeber fürs moderne Training

Im Alltag wie auch beim Sport soll der Körper aber als Einheit funktionieren, in der alle Teile des Bewegungsapparats zusammenspielen. Und hier greift die große Stärke des neuen Supertrends Functional Training, denn es bezieht alle Glieder einer Bewegungskette ein. Mittlerweile setzt auch die Fitnessindustrie voll auf den neuen Trend: Functional-Training-Kurse in Slingtrainern, mit Kettlebells und auf wackeligen Unterlagen werden in immer mehr Clubs angeboten. Das „1. Functional Training Summit“ Ende letzten Jahres zählte 400 Teilnehmer, dieses Jahr werden für den 14. bis 15. Dezember wesentlich mehr Anmeldungen erwartet (www.pb-summit.de). Und der Verkauf von Trainingsequipment hat sich laut Hersteller Perform Better gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppelt.

Trainieren Sie alle Glieder der Bewegungskette

Nach neuesten Erkenntnissen reicht es nämlich nicht, Muskeln isoliert zu trainieren – auch nicht an Hightech-Fitnessgeräten, die keine Eigensteuerung des Körpers unterstützen, sondern mittels geführter Bewegung lediglich Teilbereiche des Bewegungsapparats beanspruchen. Wer als Radsportler etwa nur den Kniestrecker trainiert, wird seine Leistung nicht gravierend verbessern. Denn am Vortrieb ist auch der Beinbeuger beteiligt. Strecker und Beuger sind Teile einer „kinetischen Kette“, deren Glieder immer zusammenarbeiten. So erleben selbst Klimmzüge und Kniebeugen ein Revival, schließlich trainieren diese Klassiker viele Muskelgruppen und Koordination.

Functional Training ist aber beileibe keine neuzeitliche Erfindung aus den USA, weiß Sascha Seifert, Sportphysiotherapeut und Leiter des Sportrehazentrums Rehamed (www.rehamed.com): „Das Denken in funktionellen Muskelketten hat in Deutschland seinen Ursprung. So erklärte Prof. Dr. Kurt Tittel schon 1956 in seinem Buch ,Beschreibende und funktionelle Anatomie des Menschen‘ die Arbeitsweise von Muskeln in Ketten. Leider wurde im Fitnesstraining in den letzten Jahren vergessen, dass es um die Funktion einer Bewegung und nicht um Isolation einzelner Muskeln geht.“

Grenzen überschreiten mit Functional Training

Ganz ähnlich sind die Töne, die US-Coach Michael Boyle (siehe Interview) und (Sport-)Physiotherapeut Oliver Schmidtlein anschlagen. Letzterer war bis 2008 mit US-Sportwissenschaftler Mark Verstegen für das Fitnesstraining der deutschen Fußball-Nationalelf zuständig. 2006, zur Vorbereitung auf die anstehende WM, sorgte die Integration von funktionellen Übungen, etwa in Form von Läufen mit Thera-Band um die Schenkel, zunächst für viel Häme in den Medien und bei den Fans. Doch immerhin schaffte es das deutsche Team damals hinter Italien und Frankreich auf einen respektablen dritten Platz.
Schmidtlein erklärte den Unterschied zum regulären Krafttraining kürzlich in einem Interview: „Beim klassischen Gerätetraining erreicht man eine Progression, indem man den Pin einfach ein Gewicht weiter unten hineinsteckt. Beim functional Training muss man überlegen, was die nächste Ausgangsstellung ist. Wie kann man die Übung anspruchsvoller machen?“

All-in-one Training mit Gestaltungsfreiraum

Dabei gebe es nicht nur einen Aspekt, sondern mindestens drei: Man kann den Kraftaspekt verstärken, indem man den Widerstand erhöht. Man kann den koordinativen Gesichtspunkt intensivieren, indem man eine Bewegung in die Übung einbaut, deren Ablauf man bewusst kontrollieren muss. Und man kann den sensomotorischen Anteil erhöhen, indem man beispielsweise eine wacklige Unterlage dazunimmt oder statt auf zwei Beinen auf einem steht. Kraft, Gleichgewicht, Koordinationsfähigkeit und Beweglichkeit – mit Functional Training rückt allumfassende Fitness in greifbare Nähe.

Welche Vorteile Ihnen Functional Training bringt und welches Equipment hilfreich sein kann, sehen Sie in unserer Bildergalerie!

„Die Zeit war reif“

Der US-Amerikaner Michael Boyle ist einer der weltweit führenden Experten für Leistungsoptimierung im Sport. Er betreut Profis diverser Sportarten im Training und in der Rehabilitation.

Functional Training ist ja schon länger bekannt. Warum erleben wir es gerade jetzt als Megatrend?
Trendforscher wie der US-Autor Malcolm Gladwell beschreiben solch ein Phänomen als „Tipping Point“. Das ist jener Moment, an dem eine vorher lineare Entwicklung plötzlich stark beschleunigt wird – und etwas wird zu einem Riesentrend. Das erleben wir gerade beim Functional Training. Die Vorzüge dieses Systems sind inzwischen so offensichtlich geworden, dass jeder jetzt seinen Wert einfach erkennen muss. Die Zeit war einfach reif.

Die Sportartikelindustrie hat das ja mittlerweile auch bemerkt …
Das ist wahr. Viele Firmen, etwa Perform Better, haben sich mittlerweile dem funktionellen Bereich verschrieben und bieten entsprechende Trainingshilfen an. Doch der Körper allein wird hier selbst zum besten Trainingsgerät – und das ist es, worum es beim Functional Training ja vor allem geht. Das Trainieren mit dem eigenen Körper als Widerstandsgeber ist sehr simpel, und es schont auch den Geldbeutel. Geben Sie nicht zu viel Geld aus: Legen Sie sich ein paar Hanteln, eine Matte und eventuell noch einen Gewichtsball zu. Das reicht für Anfänger völlig.

Was hat sich durch Functional Training im Leistungssport verändert?
Die Hauptaufgabe vieler Muskel-gruppen ist die Stabilisation. Dieser Stabilisierungsauftrag wurde jedoch in der Vergangenheit von Sportlern und Trainern häufig übersehen. Die Hauptmuskelgruppen, die stabilisierendes Training benötigen, sind die tiefe Bauchmuskulatur, die Hüftabduktoren und -rotatoren sowie die Schulterblattstabilisatoren. Viele Trainer waren der Auffassung, dass Übungen für diese Bereiche in die Rehabilitation oder in die Verletzungsprophylaxe gehören. Doch eine stabile Hüfte verbessert zum Beispiel nicht nur die Funktion des Hüftgelenks allein, sondern wirkt sich ebenso positiv auf die Funktionsfähigkeit von Knie- und Fußgelenken aus.

Apropos Einsteiger: Was sollte man beachten, wenn man als Neuling mit Functional Training beginnt?
Man sollte auf jeden Fall auf seinen Körper hören und sich nicht zu stark an die eigenen Leistungsgrenzen bringen. Trainieren Sie keine Körperpartien, keine einzelnen Muskeln, sondern trainieren Sie Bewegungsmuster. Nehmen Sie sich ausreichend Zeit fürs Training, und halten Sie es einfach. Machen Sie zum Beispiel Kniebeugen mit Ihrem eigenen Körpergewicht, Variationen von Liegestützen sowie Ruder- und Zugübungen. Das sind die idealen Basics für ein solides, simples und dennoch effektives Functional-Programm.

Wie viel Training pro Woche ist für Einsteiger genug?
Wer noch keine Erfahrung mit Functional Training gesammelt hat, sollte zunächst mit zwei Trainingseinheiten pro Woche starten. Lassen Sie sich Zeit, und investieren Sie mindestens eine halbe Stunde pro Workout.

Sollten Frauen eigentlich anders trainieren als Männer?
Nein, auf keinen Fall. Dafür gibt es keinen Grund.