Ein Provinzclub will der Fifa Recht und Ordnung beibringen – Seite 1

Der Fußball erlebt wieder mal das Spiel Klein gegen Groß. Der Kleine ist diesmal der SV Wilhelmshaven, Tabellenfünfzehnter der Regionalliga Nord, der Große der Weltfußballverband Fifa. In ihrem Duell geht es nicht um Tore, sondern um Argumente und Beweise. Wilhelmshaven und die Fifa messen sich nämlich vor Gericht, seit sieben Jahren.

Die Fifa will, dass sich der SV an den Kosten der Ausbildung Sergio Sagarzazus beteiligt. Diesen Spieler hatte der Verein 2007 aus Argentinien an die Nordsee geholt. Als der Italo-Argentinier Wilhelmshaven längst wieder verlassen hatte, forderten River Plate und Atlético Excursionistas, Sagarzazus Ex-Clubs, 157.500 Euro. 

Eine Rechnung gemäß Fifa-Statuten. Dort steht geschrieben, dass Vereine, die Spieler in der Jugend ausgebildet haben, vom neuen Verein pauschal entschädigt werden. Ein Bundesligist muss zum Beispiel 90.000 Euro pro Ausbildungsjahr zahlen, ein Regionalligist immerhin 30.000. Das soll gute Nachwuchsförderung belohnen.

Eine sechsstellige Summe ist viel Geld für einen Regionalligisten. Der SV Wilhelmshaven sah nicht ein, warum er nachträglich zahlen sollte. Also wehrte sich der Kleine, er fühlte sich im Recht. Erst verweigerte er die Zahlung, dann bot er eine deutlich geringere Summe an.

Weil die Argentinier wie die Fifa ablehnten, wurde der SV bestraft: Der Mannschaft wurden in den vergangenen beiden Spielzeiten vom Norddeutschen Fußballverband auf Druck der Fifa jeweils sechs Punkte abgezogen. Die Fifa fordert gar einen Zwangsabstieg. Für sie steht viel auf dem Spiel: die Ausbildungsentschädigung, aber auch ihre Rechtshoheit.

Die eigenen Gesetze der Fifa

Noch führt der Große, doch das könnte sich ändern. Der Kleine wechselt nämlich den Spielort. Befassten sich bislang ausschließlich Sportgerichte mit dem Fall, etwa der Internationale Sportgerichtshof (CAS), entscheidet nun das Landgericht Bremen. Am 25. April ist die Verhandlung.

Die Fifa verliert ihr Heimrecht, vor einem Zivilgericht gelten andere Gesetze. Die Ausbildungsentschädigung scheint deutschem Recht zu widersprechen. Artikel 12 des Grundgesetzes garantiert die Freiheit der Berufsausübung. Die ist aber durch Ausbildungsentschädigungen gefährdet, viele Juristen sehen das so.

Hoffnung schöpft Wilhelmshaven aus älteren Verfahren. 2005 urteilte das Oberlandesgericht Oldenburg in einem verwandten Fall: "Die Regel verletzt das Recht der Fußballer, ihren Beruf frei zu wählen." Andere Richter entschieden ähnlich. Und der Europäische Gerichtshof beanstandete 2010 zwar nicht die Ausbildungsentschädigung im Allgemeinen. Allerdings dürfe sie allenfalls die tatsächlichen Kosten berücksichtigen. Hohe Pauschalen, wie sie die Fifa zu Grunde legt, sind rechtswidrig.

Für die Kleinen kämpft Harald Naraschewski. Er ist Aufsichtsrat und Anwalt des SV Wilhelmshaven. Den 65-Jährigen hat die jahrelange Auseinandersetzung wütend, aber auch standhaft gemacht. Er sagt: "Die Fifa will sich über deutsche Gesetze hinwegsetzen." In Deutschland gelte aber noch immer das Grundgesetz, vielleicht habe die Fifa das vergessen.

"Stellen Sie sich mal vor", sagt Naraschewski, "ein Betrieb will einen Maurerlehrling übernehmen und soll einem anderen Betrieb 50.000 Euro für dessen Ausbildung zahlen!" Das wäre ein großer Nachteil für den Maurer. "Warum soll das im Fußball anders sein?"

Kein Schutz vom DFB für den SV Wilhelmshaven

Die Fifa bestreitet nicht, dass ihre Paragrafen gegen Recht verstoßen. Ihre Position ist: Ein internationaler Verband könne nicht die Gesetze von zweihundert Ländern berücksichtigen. Die Regeln müssten für alle gelten. Naraschewski hält das für ein merkwürdiges Rechtsverständnis. "Wenn die Fifa die Idee aus dem Iran übernehmen würde, Spieler nach Niederlagen auszupeitschen – müssten wir das dann auch?"

Auch der DFB spielt eine Rolle. Er ist in einer misslichen Lage, einerseits der Fifa verpflichtet, andererseits seinen Mitgliedern. Vertreter des DFB haben versucht, zwischen Groß und Klein zu vermitteln, doch die Vorschläge waren für den SV nicht akzeptabel. "Der DFB macht bloß Liebkind bei der Fifa", sagt Naraschewski. Vielleicht ja auch, weil die Fifa Deutschland sogar von der WM ausschließen könnte. Damit droht die Fifa in einem Urteil (S. 6/pdf).

Das aktuelle System sei für den internationalen Fußball unverzichtbar, heißt es seitens des DFB. "Internationale Rechtsbeziehungen im Sport können nur funktionieren, wenn sich alle Beteiligten zu einem gemeinsamen Regelwerk bekennen und sich nicht nur dann daran gebunden fühlen, wenn sie sich einen Vorteil davon versprechen." Die Fifa will den Fall nicht weiter kommentieren. Ein Sprecher sagt bloß, sie stehe in engem Kontakt mit dem DFB, um das Problem zu beheben, "sodass die Fifa-Statuten und anderen Vorschriften eingehalten werden".

Unterstützung durch den Fall Pechstein

Naraschewski kritisiert den DFB, weil der sich nur als "Vollstrecker von Fifa-Wünschen" verstehe. Dabei steht in der Satzung des DFB (Paragraph 17,2/pdf), dass er die Urteile des CAS nur dann akzeptiere, falls diese nicht gegen nationale oder internationale Gesetze verstoßen.

"Ich hatte mir vom DFB Schutz erhofft", sagt Naraschewski. Durch den langen Prozess sei dem SV Wilhelmshaven bereits ein Schaden entstanden. Vereine, denen Punkte abgezogen werden, hätten auf Spieler eine geringere Anziehungskraft. Verhandlungen mit Sponsoren seien erschwert, Zuschauer blieben zu Hause, sagt er. "Die Existenz des Vereins steht schon lange auf dem Spiel, für uns ist das ein Spießrutenlauf." Er erwäge gar eine Schadensersatzklage.

Wenn sich jetzt erstmals ein ordentliches Gericht mit dem Fall befassen wird, stehen die Chancen gut, schätzt er. Unbeteiligte Juristen stimmen ihm zu. Verlöre er auch dort, legte er Berufung ein, sagt er. Notfalls gehe er bis zum Bundesgerichtshof.

Unterstützung kann Naraschewski vom Landgericht München ableiten. Das hat jüngst die Schiedsklausel der Athletenvereinbarung im Fall Claudia Pechstein für ungültig erklärt. Eine Niederlage für den Sport, der gerne über sich alleine entscheidet. Diese Haltung ist auch in der Aussage des Fifa-Sprechers zum Wilhelmshaven-Fall zu erkennen: "Dass der Verein Klagen vor ordentlichen Gerichten einreichte, scheint ein Verstoß gegen die Fifa-Statuten zu sein."

Die Sportmächtigen wie der Fifa-Boss Sepp Blatter sagen gerne: Gut, lieber Verein, Du hast Dich den Regeln unterworfen, indem Du hier mitspielst. Wenn Du meinst, dass die Regeln blöd sind, geh zum höchsten Sportgericht! Akzeptiere dessen Urteil oder spiele woanders! Und das Sportgericht entscheidet dann – welch Wunder – für die Verbände. 

Naraschewski hingegen sagt: "Das Sportrecht ist dem Zivilrecht untergeordnet." Diesen Grundsatz will Klein Groß nun beibringen.