Caged Fury oder Chained Heat hießen die Frauenknast-Filme im Sexploitation-Genre der Siebziger. Damals gab es genau zwei Frauentypen: die naive Schutzbedürftige und das dominante Mannweib. Es war eine bizarre, explosive und ganz und gar physische Welt, die vor Adrenalin und Sex-Appeal nur so strotzte. Mit der Realität im Frauenstrafvollzug hatte das sehr viel weniger zu tun als mit den Fantasien der Männer. Zugleich zeigte das Genre aber auch einen Gegenentwurf zur Artigkeit des Hausfrauenlebens der damaligen Zeit. Die Protagonistinnen in den Gefängnisfilmen durften laut und aggressiv, wild und wehrhaft sein. Und zum ersten Mal traten lesbische Frauen als Kinoheldinnen auf. Allerdings wurde ihnen unterstellt, dass sie sich nur aus Mangel an Männern für eine Frau entschieden hatten.

Mit all diesen Stereotypen haben die wütenden, erfinderischen, gefühlvollen und schlagfertigen Heldinnen von Orange Is The New Black nichts zu tun. Sie bewegen sich in einer sehr viel realeren Gefängniswelt, was damit zu tun hat, dass die Netflix-Serie auf den Erlebnissen von Piper Kerman basiert. Die Amerikanerin hatte als Zwanzigjährige ihrer damaligen Geliebten bei der Drogengeldwäsche geholfen. Zehn Jahre später wurde sie dieser Jugendsünde überführt und zu 15 Monaten Gefängnis verurteilt. Kerman musste ihr bürgerliches Leben mit gutem Job und nettem Mann gegen den harten Alltag in der Justizvollzugsanstalt Danbury eintauschen. Ihre Erlebnisse verarbeitet Piper Kerman in ihrem 2010 erschienenen Buch Orange Is The New Black.

Dass das für eine Serie ein ziemlich genialer Ansatz mit schier unendlichen Entwickungsmöglichkeiten und komplexen gesellschaftlichen Zusammenhängen ist, erkannte die Serienautorin Jenji Kohan. Piper, die in der Serie Chapman heißt, war für sie das trojanische Pferd, das dem bürgerlichen Mittelklasse-Netflix-Abonnenten Einblicke in die ihm fremde Gefängniswelt gewährt.

Die vierte Staffel von Orange Is The New Black, die ab sofort abrufbar ist, beginnt mit einem großen Krawall. Hundert neue Insassinnen drängen sich vor den Gittern und müssen in den ohnehin beengten Gefängnisräumen untergebracht werden. Der frisch zum Direktor aufgestiegene Joe Caputo (Nick Sandow) fordert Unterstützung, während im Gefängnisgewächshaus ein Mord geschieht und Leichenteile im Garten unter Sonnenblumen verscharrt werden. Ganz schön knallig wirkt dieser Auftakt, fast wie ein Rückschritt zur Campiness des Frauengefängnisfilms.

Was anfangs wie hektischer Aktionismus anmutet, entwickelt sich im weiteren Verlauf zum recht cleveren Drehbuchkniff, der die Serie für die geplanten drei weiteren Staffeln mit ausreichend neuem Stoff versorgen wird. Ein ganzes Schattenheer von Gefangenen steht jetzt bereit, um nach und nach in die Handlung eingespeist zu werden. Es war schon immer das herrschende Prinzip von Orange Is The New Black, ein großes Ensemble immer wieder neu durchzumischen, Randfiguren eine Weile ins Zentrum zu holen und sie dann wieder für eine Weile ruhen zu lassen. Während Kohan Drama und Action auf kleiner Flamme hält, konzentriert sie sich auf die Dynamik unter den Frauen und mit den Wärtern.

Das Ringen um Würde unter unwürdigen Bedingungen

Dabei wird die Serie von einer Fülle grandioser Darstellerinnen getragen, die zum größten Teil mit der Serie gewachsen und bekannt geworden sind, wie Taylor Schilling als Piper Chapman, Uzo Aduba als Crazy Eyes, Danielle Brooks als Taystee oder Samira Wiley als Poussey. Und Laverne Cox, die als erste prominente transidente Schauspielerin im Herbst den Frank N. Furter in der Neuverfilmung der Rocky Horror Picture Show spielen wird.

Anders als in den Sexploitation-Filmen der Siebziger geht es in Orange Is The New Black nicht darum, die Frauen auszustellen, sondern um ganz reale Konflikte und Gefühle im Mikrokosmos Gefängnis. Die lesbischen Liebesgeschichten sind hier keine Projektion männlicher Gelüste, sondern Ausdruck zärtlicher und leidenschaftlicher Gefühle. Statt aufreizender Fetzen tragen die Frauen unförmige, beige Hosen und die titelgebenden orangen Overalls, die ihre Formen eher kaschieren als betonen. Ihre Kämpfe tragen sie nicht für einen oberflächlichen Showeffekt aus, sondern aus innerer Notwendigkeit, im Ringen um ihre Würde unter unwürdigen Bedingungen.

Wenn sie sich stylen, dann tun sie es vor allem fürs eigene Selbstbewusstsein und als Ausdruck ihrer Persönlichkeit, so wie die resolute Russin Red mit ihrem widerspenstig feuerroten Haarschopf, Crazy Eyes mit ihren exzentrisch gezwirbelten Haarknoten oder Lolly Whitehill mit ihrem blonden Bubikopf. Die eine malt sich Eyeliner-Tränen unter die Augen, die andere legt leuchtendes Lippenrot auf.