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Meinung Flüchtlingsdebatte

Die Ressentiments der alten Männer

Unser Autor: Armin Nassehi, geboren 1960, ist Professor für Soziologie an der Universität München Unser Autor: Armin Nassehi, geboren 1960, ist Professor für Soziologie an der Universität München
Unser Autor: Armin Nassehi, geboren 1960, ist Professor für Soziologie an der Universität München
Quelle: picture alliance / dpa
In Köln entsetzten Testosteron-gesteuerte junge Männer. Davor und auch danach nervten die Debattenbeiträge intellektueller Greise aus Deutschland. Eine Polemik.

Im Oktober letzten Jahres habe ich in der „Welt“ eine Zwölf-Punkte-Analyse geschrieben. Einer der Punkte war das, was ich die „Maskulinisierung öffentlicher Räume“ genannt habe. Ich habe darin betont, dass mit den zu einem beträchtlichen Teil männlichen jungen Flüchtlingen auch Probleme zu erwarten sind, dass junge unbegleitete Männer wenigstens sichtbarer werden. Zugleich habe ich betont, dass es sich dabei nicht in erster Linie um ein kulturelles Problem handelt, aber durchaus zu erwarten ist, dass junge Männer in großer Zahl und mit wenig Aufgaben durchaus Gruppendynamiken in Gang bringen, um die man sich kümmern muss.

Dass es hier durchaus auch kulturelle Prägungen gibt, die besonderes maskulines Verhalten wahrscheinlicher machen, ist erwartbar gewesen. Ich wurde dafür insbesondere von linker Seite stark kritisiert, wenngleich es gerade für eine linke Denkungsart nicht allzu fremd sein sollte, dass das Sein das Bewusstsein mitbestimmt, also kulturelle und gesellschaftliche Prägung handlungsleitend ist.

Die Ereignisse von Köln haben das auf eine andere Weise bestätigt. Es waren nicht in erster Linie Flüchtlinge, die dort aktiv waren, aber es spielte eine männlich dominierte Gruppendynamik eine Rolle, die zur Eskalation beigetragen hat. Jedenfalls war diese Maskulinisierung des öffentlichen Raumes geradezu ein Umschlagspunkt für die Debatte über Flüchtlinge und Einwanderung überhaupt.

Sarrazineske Manier

Was aber derzeit zu beobachten ist, ist eine Maskulinisierung der öffentlichen Debatte durch ältere Männer, denen es eine unbändige Lust zu bereiten scheint, auf Ressentiments zurückzugreifen, die sie als wenigstens ansatzweise liberale Intellektuelle kaum je vorher gebraucht hätten. Viele von ihnen haben wie selbstverständlich die Figur der Bedrohung des Fremden stark gemacht und die Ereignisse in Köln fast gierig aufgenommen, mit dem Gestus, dass sich nun zeige, was sie schon immer gewusst haben.

Der Publizist und Literaturwissenschaftler Rüdiger Safranski
Der Publizist und Literaturwissenschaftler Rüdiger Safranski
Quelle: picture alliance / Sven Simon

Bei Rüdiger Safranski ist es eine ganz ähnliche Figur, die Bedrohung des Eigenen als eine Art anthropologischer Bedrohung aufzufassen, Peter Sloterdijk wirft der Bundeskanzlerin in sarrazinesker Manier geradezu so etwas wie Selbstzerstörungsfantasien vor und schwadroniert etwas vom „Lügenäther“. Wolfgang Herles fantasiert etwas von Aufträgen von „ganz oben“, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, in dem er offenbar keine Rolle mehr spielen darf, geradezu zur Stilfigur der Lügenpresse erhebt.

Roland Tichy teilt mit geradezu wahnhafter Verve gegen eine junge Autorin aus, die in einem Zeitungsbeitrag einen Rechtsruck in kirchlichen Milieus nachweist. Und Peter Schneider stimmt nun mit einer im Alter rechts gewendeten Bedenkenträgerei in die alten linken Romantiken ein, die nun nicht mehr die internationale, dafür die nationale Solidarität für eine Art natürlicher Kollektivität halten. Es ist ohnehin diese Grundidee einer gewissermaßen natürlichen Form der Zugehörigkeit ethnischen, nationalen oder schicksalhaften Ursprungs, die hier in Anschlag gebracht werden.

Schriftsteller Peter Schneider
Schriftsteller Peter Schneider
Quelle: picture alliance / ZB

Die Blaupause ist vielleicht Botho Strauß’ Essay zum „Plurimi-Faktor“ von 2013, in dem er einen beleidigten Blick auf das alte Europa und die Unverschämtheiten des Neuen lenkt. Strauß kultiviert einen Phantomschmerz, der daher rührt, dass man sich nicht mehr darauf verlassen kann, dass die Leute tun, was ihrer Herkunft gemäß ist.

Die Hoheit der Greise

Vielleicht ist das Verbindende dieser Texte wirklich eine ganz spezifische Form des Beleidigten. All diese Debattenbeiträge werden in einem Stil vorgetragen, der insinuiert, als habe man das alles vorher nicht sagen können und dürfen. Sie werden in warnendem Stil vorgetragen, als befänden wir uns an einer Epochenschwelle. Sie stilisieren sich in geradezu grotesker Weise als Hüter des Kollektiven, als eine Art Senat (von senex: der Greis), der wie in Rom aus Ehemaligen besteht, aber mit großem Machtanspruch auftritt.

Sie sorgen sich ums Ganze und kommen zu geradezu paternalen, heißt väterlichen Urteilsformen, die aus der Perspektive gerontischer Distanz auf die Niederungen derer schauen, die noch operative Entscheidungen treffen müssen. Dass die Hauptadressatin der Kritik eine Frau ist, mag der ganzen Sache noch einen besonderen Drive verleihen.

Die geronto-maskuline Form der Gruppendynamik besteht auch aus Leuten, die ihren Einfluss auf die Zeitläufte hinter sich wähnen
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In dieser Häufung machen diese Einlassungen tatsächlich den Eindruck, den man in männlich dominierten Gruppendynamiken beobachten kann: gegenseitiger Aufforderungscharakter, Senkung der Hemmschwelle, gegenseitige Bestätigung, Umcodierung von deviantem in gruppenkonformes Verhalten, Identitätsbestätigung in einer feindlichen Umwelt, Versöhnung von Aggression und Lust. Diese Geronto-Maskulinisierung der öffentlichen Debatte kann nur verstanden werden, wenn man die wechselseitige Dynamik dieser Texte in Rechnung stellt.

Allzu wohlmeinende Interpreten der Ereignisse in der Silvesternacht in Köln behaupten, dass sich solche männlich dominierten Gruppendynamiken vor allem unter solchen Männern ereignen, die sich abgehängt fühlen und denen niemand zuhört. Das ist nach meinem Dafürhalten eine allzu verständnisvolle Interpretation.

Aber ganz falsch ist sie nicht, denn die geronto-maskuline Form der Gruppendynamik besteht auch aus Leuten, die ihren Einfluss auf die Zeitläufte hinter sich wähnen, also auch irgendwie Abgehängte. Selbstverständlich sind sich die jungen Männer auf der Domplatte und die alten Männer an der Schreibtischplatte nicht wirklich ähnlich, aber die Dynamiken der kurzfristigen Nutzung von Chancen scheinen es schon zu sein.

Dies soll nicht dazu dienen, diese Positionen lächerlich zu machen – im Gegenteil, denn die Senatoren scheinen es ernst zu meinen. Es hat eher etwas Tragisches, wenn Intellektuelle vom Schlage der Genannten sich so bereitwillig in die unselige Ökumene der Vereinfacher und der Gegner der liberalen Idee einer Gesellschaft machen, die vor allem davon profitiert, auf zu große Zumutungen des Gemeinschaftlichen zu verzichten. Ich glaube daran, dass man große Teile seiner Urteilskraft selbstverantwortlich beeinflussen kann. Insofern sollten gerade diese Leute in der Lage sein, den blinden Fleck ihrer Argumentation wenigstens zu erahnen.

Wolf Lepenies hat kürzlich in der “Welt“ dafür plädiert, Helmuth Plessners großartigen Essay „Die Grenzen der Gemeinschaft“ von 1924 wieder zu lesen, um die allzu starke Selbstmoralisierung der deutschen Migrationspolitik gegenüber Europa in einen historischen Kontext zu stellen.

Plessners Essay enthält in der Tat den Schlüssel einer Kritik der deutschen Moralisierung des Eigenen – die offenbar auch von den Kritikern dieser moralischen Politik geradezu schamlos betrieben wird. Ein sacrificium intellectus, um den eigenen Phantomschmerz loszuwerden. Die Not muss groß sein.

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