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Live-Videos als Terrorhelfer Machtlos gegen die Gewalt in Echtzeit

Der Polizistenmörder von Frankreich ließ die Welt per Facebook-Livestream an seiner Tat teilhaben. Der Vorfall zeigt, wie hilflos Netzwerke dem Missbrauch solcher Echtzeit-Funktionen gegenüberstehen.

Um kurz vor neun Uhr am Montagabend war Larossi Abballa live auf Sendung, auf Facebook. Er streamte aus dem Pariser Vorort Magnanville, aus der Wohnung seiner Opfer. Im Livestream soll auch der dreijährige Sohn des Paars zu sehen gewesen sein, das er offenbar kurz zuvor getötet hatte: den Polizisten Jean-Baptiste Salvaing und seine Frau. "Ich weiß noch nicht, was ich jetzt mit ihm mache", sagt Abballa über das Kind. Abballa wird später von der Polizei erschossen, der Junge überlebt.

Das 13-minütige Video gibt es nicht mehr auf Facebook, die Betreiber des Netzwerks haben es gelöscht. Genauso wie Abballas Account unter dem Namen "Mohamed Ali". Die Tat von Abballa und das Video illustrieren dennoch eindrücklich, dass Netzwerke wie Facebook mit derartigen Live-Funktionen für alle Nutzer einen Kanal geschaffen haben, den sie nur schwer kontrollieren können.

Dem Missbrauch der Echtzeit-Videos steht der mächtige Konzern immer noch hilflos gegenüber. Denn während die Nutzer live auf Sendung gehen können, hinkt das Netzwerk zwangsläufig bei der Prüfung der Inhalte hinterher. "Wir verstehen und erkennen die einzigartigen Herausforderungen, die Livevideos in Sachen Sicherheit mit sich bringen", sagte eine Sprecherin hilflos.

Mehr Mitarbeiter sollen Livevideos rund um die Uhr prüfen

Das Unternehmen hat am Dienstag eine enge Kooperation mit den französischen Behörden zugesagt. "Terroristen und Terrorakte haben keinen Platz auf Facebook", heißt es in einer Erklärung. Ob und wie man das Problem mit den Livevideos beheben soll, ist aber letztlich unklar.

Facebook hat nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters angekündigt, sein Team zu vergrößern, das ein Auge auf die Inhalte der Livevideos hat. Es soll rund um die Uhr arbeiten. Wenn man dort ein Video entdeckt, das gegen die Richtlinien des Netzwerks verstößt, kann Facebook den Livestream stoppen und das Video entfernen. Endet der Livestream, lässt sich das Video normalerweise weiterhin auf Facebook ansehen.

Larossi Abballa

Larossi Abballa

Foto: STR/ AFP

Außerdem testet Facebook nach eigenen Angaben eine Funktion, die alle Videos, die gerade besonders häufig geklickt werden, überprüft - unabhängig davon, ob ein Nutzer es gemeldet hat oder nicht. Auch dadurch könnte sich die Reaktionszeit bei Videos wie dem aus Frankreich verringern - aber von einer Reaktion in Echtzeit ist man immer noch weit entfernt. Facebook bearbeitet laut seiner Aussage Millionen von Nutzerhinweisen jede Woche, meistens innerhalb von 24 Stunden.

Livevideos von Nutzern sind ein Trend im Netz

Das Problem betrifft keineswegs nur Facebook, das seine Live-Funktion als wichtigen Bestandteil seiner Zukunftssicherung begreift. Auch die Streaming-App Periscope, die Twitter gehört, ist betroffen. Im April wurde eine Frau angeklagt, nachdem sie ein Video gestreamt hatte, auf dem zu sehen war, wie ihre Freundin vergewaltigt wurde. Im Mai geriet das Netzwerk erneut in die Schlagzeilen, nachdem eine junge Französin ihren Suizid per Periscope live ins Netz übertragen hatte. Irgendwann hob ein Polizist das Handy der jungen Frau auf, Nutzer waren schockiert.

Ein Twitter-Sprecher sagte SPIEGEL ONLINE damals auf Anfrage, dass man sich aus Datenschutzgründen nicht zu konkreten Fällen äußere. Der Inhalt sei nachträglich entfernt worden, da es nicht erlaubt sei, Videos zu zeigen, bei denen jemand körperlich verletzt werde. Schnell genug, um den Livestream zu stoppen, war man - wie im aktuellen Fall bei Facebook in Frankreich - nicht. Auch die Videoplattform Twitch, die ebenfalls auf Livevideos der Nutzer setzt, kennt solche Probleme. Eine Lösung haben auch all diese Plattformen noch nicht gefunden.

Sollten die Nutzer es selber richten?

Bei Periscope hat man sich anscheinend zumindest bei Nutzerkommentaren von der Vorstellung verabschiedet, dass das Netzwerk allein der Lage Herr werden kann: Dort sind seit Kurzem sogenannte Flash-Jurys im Einsatz . Sobald ein Nutzer einen Kommentar zu einem Video meldet, wird Periscope den Kommentar einer kleinen Gruppe zufällig ausgewählter Nutzer vorlegen, die ebenfalls das Video sehen.

Wenn die Mehrheit dieser Jury den Kommentar ebenfalls als störend empfindet, wird der Absender für eine Minute gesperrt - bei mehrfacher Auffälligkeit wird er für immer stummgeschaltet.

gru/Reuters