Von Krakau nach Beirut ins Schlachthaus

Der Export von lebendem Vieh aus der EU boomt. Die Folge davon sind immer längere Routen, bei denen die Tiere tagelang auf Lastwagen und Schiffen ausharren müssen. Die Kritik an den Zuständen wächst.

Susanna Ellner
Drucken
Stress für die zusammengepferchten Tiere: Transport von Schafen in Grossbritannien. (Bild: Imago)

Stress für die zusammengepferchten Tiere: Transport von Schafen in Grossbritannien. (Bild: Imago)

Die Reise in den Tod beginnt im polnischen Bodzentyn, etwa 160 Kilometer nördlich von Krakau. 33 Rinder werden im Morgengrauen auf einen Tiertransporter geladen. Rund 28 Stunden später befindet sich der Lastwagen unweit des Hafens von Koper in Slowenien. Die Tiere stehen im komplett verdreckten Einstreu, offensichtlich sind sie hungrig und durstig. Eigentlich hätten sie zwischendurch gefüttert und getränkt werden sollen. Doch anhand der trockenen Nasen stellen die Tierärzte fest, dass eine solche – vorgeschriebene – Versorgung nicht stattgefunden hat. Eine detailliertere Kontrolle bringt zutage, dass die Wasserleitungen im Anhänger leck sind. Bevor der Tiertransporter auf das Hafengelände einschwenken darf, bezahlt der Chauffeur für den Verstoss 200 Euro Busse, für ihn ist hier Endstation. Den Rindern hingegen steht noch eine lange Weiterfahrt bevor: Fünf Tage wird es dauern, bis sie das Deck des Schiffes verlassen können, das sie nach Libanon verfrachtet, wo sie ausgeladen und ins Schlachthaus in Beirut gebracht werden. Dort endet ihre Reise, ihr Leben.

Ausharren im Grenzgebiet

Der beschriebene Fall hat sich vom 9. bis 16. März 2015 abgespielt und ist vom Tierschutzbund Zürich (TSB) in Protokollen, die der NZZ vorliegen, dokumentiert worden. Seit dem Jahr 2011 hat die international tätige Tierschutzorganisation über 300 Beispiele erfasst, die Einblick in die Praxis von EU-Schlachttier-Transporten geben. «Unsere Recherchen zeigen, dass systematisch gegen die EU-Transportverordnung verstossen wird», kritisiert TSB-Präsident York Ditfurth. Die Nutztiere seien durstig, hungrig und lägen in ihren Exkrementen. «Der Gestank nach Ammoniak nimmt die Luft zum Atmen», sagt Iris Baumgärtner, Projektleiterin Tiertransporte. Nicht zuletzt seien die Platzverhältnisse prekär: Manch ein Tier stiesse mit dem Rücken an der Decke an und könne sich nicht einmal ganz aufrichten.

Zahlreiche Probleme mit der Einhaltung der Tierschutzgesetzgebung fallen zudem an den EU-Aussengrenzen an. «Es ist keine Seltenheit, dass ein Lastwagen beispielsweise Bulgarien verlässt, aber nicht in die Türkei einreisen darf, da ihm die nötigen Papiere, wie etwa Gesundheitszertifikate, fehlen», sagt Ditfurth. Bis diese eintreffen, können Tage vergehen. Die Tiere müssen währenddessen auf engstem Raum zusammengepfercht im gestrandeten Transportanhänger in Hitze oder Kälte ausharren. Zu langen Wartezeiten kommt es auch in den Häfen. Im rumänischen Hafen Midia etwa, von wo aus die Tiere per Schiff unter anderem nach Libanon gebracht werden, gibt es weder Ställe noch Versorgungsmöglichkeiten.

Für Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament, sind diese Erkenntnisse nicht neu. Seit Jahren setzt sich der Deutsche mit dem Thema als Politiker und Bio-Landwirt auseinander. Mit Sorge betrachtet er deshalb den Trend innerhalb der EU, die Landwirtschaft zunehmend exportorientiert auszurichten und auf subventionierte Spezialisierungen zu setzen. Bei den Ferntransporten von Nutztieren zu Schlachtzwecken führt dies zu immer längeren Routen (siehe Karte), was die Kontrolle der Einhaltung der Tierschutzbestimmungen erschwert oder gar verunmöglicht. Letzteres trifft insbesondere auf die Schiffstransporte zu. «Im Frachtraum wird kein Platz verschenkt, die Tiere verfügen nicht über einen einzigen Zentimeter Bewegungsfreiheit», sagt Häusling. Die Zustände an Bord seien katastrophal, oft vegetierten die Tiere tagelang ohne Zugang zu Wasser vor sich hin. Eine Kontrolle an Bord durch die Behörden gibt es nicht, die Tiere sind der Willkür der Schiffsbesatzung ausgesetzt. Dass es sich dabei nicht um wenige Transporte handelt, geht aus EU-Statistiken zum Export lebender Tiere in Drittländer hervor: Allein nach Libanon werden pro Woche rund 3100 Rinder verschifft. «Bei diesem Massengeschäft geht der Verlust von Tieren, die während des Transportes sterben, unter», sagt Häusling. Einzig die Masse mache die Gewinnmarge aus. Dass es sich lohnt, lebende Tiere überhaupt derart weit zu befördern, hat mehrere Gründe: der steigende Fleischkonsum in Ländern, die aus wirtschaftlichen Überlegungen keine Nutztiere züchten, das rituelle Schlachten wie das Schächten, das in mehreren EU-Ländern verboten ist, die hohen Kosten für die Kühltechnik, die beim Transport von Gefrierfleisch anfallen würden.

Der steigende Export von Nutztieren sorgt auch innerhalb der EU für Kontroversen und fand als Thema Ende März Eingang in die von der EU herausgegebene Zeitschrift «The Parliament Magazine». In einem Meinungsbeitrag wird die Missachtung der EU-Gesetze bei Ferntransporten in Drittstaaten angeprangert. Die Bedingungen in diesen Ländern würden sich stark von den Vorschriften der EU unterscheiden, die Tiere litten nicht nur unter den langen Transporten, auch auf ihr Wohl und ihre Bedürfnisse werde keine Rücksicht genommen. Nicht zuletzt seien die Schlachtmethoden grausam. Der EU-Kommission werden kurzsichtige wirtschaftliche Interessen vorgeworfen, diesen Handel weiter zu gewähren.

Urteil «ein riesiger Schritt»

Die wachsende Kritik an den unhaltbaren Zuständen ist inzwischen nicht ohne Folge geblieben, zumindest auf juristischer Ebene. Am 23. April hat das Gericht der Europäischen Union entschieden , dass der Tierschutz nicht an den Aussengrenzen der EU endet. In einem Verfahren gegen einen deutschen Zuchtviehexporteur wurde das Urteil gefällt, dass auch nach der Grenzüberquerung den EU-Tierschutzauflagen wie Transportzeiten oder Versorgungsintervallen mit Futter und Wasser nachzukommen sei.

«Dies ist ein riesiger Schritt in die richtige Richtung», gibt sich TSB-Präsident Ditfurth erleichtert. Nach diesem Entscheid könne künftig bei Verstössen eine Anzeige mit Erfolgsaussicht gegen die Verantwortlichen der Transporte in Drittstaaten erstattet werden. Einen grundlegenden Wandel bei den Exporten in Drittstaaten kann laut EU-Parlamentarier Häusling allerdings nur der Druck durch die Öffentlichkeit bewirken. Bis zur Abschaffung der Käfighaltung für Hühner habe es schliesslich auch 30 Jahre gedauert, sagt der Bio-Landwirt lakonisch.