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Medien Für ein Bilderverbot

Instagram macht uns alle zu Psychopathen

Hier gibt es die perfekte Kulissen für Dein Instagram-Selfie

Egal, welche Pose, welcher Filter – alles wird getan um ein möglichst besonderes Bild zu posten. Ein Museum in Köln ist nur dafür da, besondere Instagram-Fotos zu machen. Hier wird auch Joyce Ilg fündig.

Quelle: WELT/Lena Kesting

Autoplay
Alle hacken auf Elisabeth von Thurn und Taxis herum, weil sie das Bild einer Obdachlosen auf Instagram hochgeladen hat. Dabei ist die Plattform selbst das Problem. Über die kaputteste App der Welt.

Ich weiß zu viel über diesen Hund. Ich weiß, dass sich der fuchsfarbene Dackel einer mir vollkommen unbekannten Person heute Morgen in den weißen Laken des Ehebetts seines Frauchen wälzte und so vermutlich Haare hinterließ. Ich kenne sogar den Namen des Tieres. Und den seiner Spielzeugmaus. Ich weiß, in welchem Park mit ihm spazieren gegangen wird, welche Ausstellung seine Besitzerin in dieser Woche besucht hat und wo sie vorgestern zu Abend gegessen hat. Ich weiß auch mit wem. Und eigentlich weiß ich sogar, dass der Hund der Ersatz für das Kind ist, das sie nie bekommen hat. Das kann man sich dann ja dazu denken. Es ist hier nicht die Rede von einem Celebrity, dessen kleinste Pobewegung sofort von Paparazzi-Fotografen abgeschossen wird. Nein, ich weiß das alles über eine ganz normale Person, die ihr Leben vollkommen freiwillig mit mir teilt. Mit uns allen.

Jeden Tag kann man sie durch ihr Schlafzimmer, ihr Wohnzimmer verfolgen. Sieht ihre Hausschuhe (Geburtstagsgeschenk), ihr neues Kunstwerk an der Wand (teuer) – solange, bis man sich über einen Kommentar einer weiteren Person in ein anderes fremdes Leben klickt. In eine andere fremde Wohnung, in einer anderen Stadt, wo ein hübscher Kelim unter einem Sofa von Bolia liegt, neben dem ein Couchtisch von Hay steht. Ein Bild weiter sitzt eine Familie darauf, daneben eine Trio Bag von Céline, das Kind trägt einen Pullover von Mini Rodini. Über einen Link könnte man das Outfit nachkaufen.

300 Millionen Nutzer, süchtig nach Stalking

Ein Bild weiter ist die Familie im Urlaub, zwei Klicks weiter ist die Mutter bei der Arbeit, dann lachen alle, sie haben zusammen Pizza gebacken, später gehen die Eltern aus, es ist Samstagnacht, die Acne-Schuhe glänzen auf diesem Bild besonders zurückhaltend. Morgen ist der Jahrestag des Paares. Wie ungünstig der öffentliche Austausch von Bildern aus dem Alltag auch für die Instagrammer selbst sein kann, bewies gerade „Vogue“-Redakteurin und Adelstochter Elisabeth von Thurn und Taxis, die ein Foto von der Pariser Modewoche hochgeladen hat. Am Straßenrand hatte sie eine obdachlose Frau gesehen, die in einer „Vogue“ las. Paris sei einfach voller Überraschungen, schrieb sie darunter. Und als Kommentatoren moralische Bedenken äußerten („Get the fuck out of town and just basically fuck off“), löschte sie es schnell wieder. Vielleicht ist in diesem plakativen Fall die Aufregung aber eigentlich eher unbegründet – schließlich zeigt uns die Millionärserbin zur Abwechslung mal, was Menschen nicht haben.

Über vier Millionen Menschen in Deutschland nutzen Instagram, damit ist das soziale Netzwerk um einiges erfolgreicher als Twitter. 300 Millionen Nutzer weltweit, 70 Millionen Bilder werden jeden Tag hochgeladen. Und bewertet. Und es ist die schädlichste, die böseste und die kaputteste App, denn sie macht süchtig nach einer Lightversion des Stalkings. Und sie zerstört das Glück durch seine permanente Verbildlichung.

Das Problem sind nicht die so häufig belächelten Filter, die man bei Instagram zur Auswahl hat, um der Fadheit des eigenen Lebens ein wenig Patina aufzutragen. Es sind die immer selben Inhalte

Klar, es gibt auch Künstler auf Instagram. Oder Lena Dunham. Doch viele Bilder dort ähneln sich: Badezimmerspiegel-Selfies, Babybilder, Wohnungseinrichtungsdetails, lackierte und beringte Finger an Kaffeebechern mit verzierter Schaumkrone, Fotos, die am eigenen Körper herunterfotografiert wurden, Bilder, die beweisen, dass man beim Sport war oder verreist ist oder ein schlaues Buch beziehungsweise ein schlaues Magazin liest (UND lackierte Fingernägel hat). Das Problem sind nicht die so häufig belächelten Filter, die man bei Instagram zur Auswahl hat, um der Fadheit des eigenen Lebens ein wenig Patina aufzutragen. Es sind die immer selben Inhalte, die uns sorgen sollten, weil sie zu einer Norm werden. Weil sie uns hetzen und verhöhnen. Ein subtiles Inhaltsdiktat, das für einige Nutzer, sie nennen sich meist Blogger, mittlerweile zum lukrativen Geschäft geworden ist. Andere nutzen es, um den Marktwert der Firma „Ich“ zu erhöhen.

Eine eigene Ästhetik hat sich so in den letzten Jahren entwickelt und um diese herum werden nun Lebenswirklichkeiten geformt, die kein Scheitern erlauben. Natürlich ist das in allen sozialen Netzwerken ein bisschen so. Auf Facebook will man auch nicht als uninformierter Loser dastehen und postet daher fleißig, was der Zeitgeist fordert. Aber eine Plattform, in der ausschließlich Bilder darüber entscheiden, ob ein Moment gelungen ist oder nicht, ist viel radikaler und viel grausamer. Ein Bild, das nicht innerhalb der Instagram-Logik perfekt ist, landet dort erst gar nicht.

OMG, you are so pretty!

Am Montag wird ein Bild aus dem Office gesendet, am Mittwoch das OOTD („Outfit of the Day“!) gezeigt, am Dienstag der grüne Smoothie, am Wochenende die Schnittblumen. Manchmal auch in anderer Reihenfolge, nur ein festes Datum gibt es in der Woche: den „Throwback Thursday“ (TBT), den Donnerstag, an dem wir mit abfotografierten alten Bildern zeigen können, wie hübsch und dünn oder was für niedliche Babys wir mal waren. „OMG, you are so pretty!“ Frauen mit Babys posten natürlich Bilder vom Meeting und vom morgendlichen Joggen, denn all das macht man als erfolgreiche Frau wieder, sobald das Kind ein paar Wochen alt ist.

Anführer dieser öffentlich ausgestellten und natürlich arg inszenierten Privatheit ist eine Horde von Mode- oder Food- oder Beauty- oder Mommybloggerinnen, die unlängst ein System geschaffen haben, das sich selbst erhält, indem es permanent erfolgreich seine eigene Relevanz suggeriert. So ist eine Blase entstanden, in der sich zudem eine erstaunliche Marktkraft entwickelt hat. Und zwar, indem sie Neid generiert. Blogger machen nicht Werbung, weil sie bekannt sind, sondern sind bekannt, weil sie Werbung machen. Die übrigens selten von der Zielgruppe als solche erkannt wird. Wann immer von Authentizität die Rede ist, weiß man, in diesem Umfeld ist ein Produkt gut aufgehoben und das Wort nur eine Hülle. Ein Paket mit der neuen Gesichtscreme an Bloggerin XY in Krefeld zu versenden, ist günstiger und zielführender als jede Anzeige in einem Frauenmagazin.

Reichtum auf Rabatt

Wenn, wie im vorvorletzten Jahr, der Twentysomething plötzlich einen Turnschuh namens Stan Smith tragen wollte, lag das daran, dass eine Marketingagentur diesen Schuh kurzzeitig vom Markt nahm und ihn stattdessen Showsternchen und Modebloggern hinterherwarf, die sich damit wieder und wieder fotografierten und Hashtags hinterließen.

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Es sind die immer gleichen Marken, die von den meist weiblichen Instagram-Nutzern in die Kamera gehalten werden, weil es die immer gleichen PR-Agenturen sind, die ihnen diese Produkte in hübschen Päckchen mit handgeschriebenen Karten nach Hause schicken, die dann mit der Überschrift „happygirl“, „surprise“ oder „new in“ geposted werden können. Schnell kommt es einem so vor, als habe jeder Mensch auf dieser Welt ein Lala-Berlin-Teilchen im Schrank, dabei ist es nur eine kleine Gruppe von Instagrammerinnen, die ihr Geld damit verdienen, diesen Anschein zu erwecken.

Das Perfide ist, dass mit den professionellen Instagram-Auftritten ein Reichtum und Lifestyle präsentiert und dann von den Hobby-Instagrammern imitiert wird, der real nicht existieren muss. Denn all die Waren sind meist durchlaufende Posten. Das teure Zimmer im Luxus-Spa, das goldene Armband, die It-Bag, all das wird nur mit Rabattkarten und oft gar nicht bezahlt.

Das Wettrüsten im Privaten hat längst begonnen. Man ertappt sich dabei, die neue Vase so auf den Tisch zu stellen, dass der Designer-Kerzenständer im richtigen Winkel steht

Welche Bildsprache sich mit der Instagrammisierung des Alltags durchgesetzt hat, sieht man an den ewig gleichen Posen, den sich ähnelnden Food-Bildern (gerade sind Eggs Benedict ziemlich angesagt), auch an den sich erschreckend gleichenden Wohnungseinrichtungen. Blaue Wände, pastellfarbenes Geschirr, Sinnspruch-Prints an den Wänden. Kaffeetassen mit Buchstaben darauf, die entweder auf die Fensterbank neben eine Blumenvase gestellt werden oder neben die Tastatur, wenn Montag ist. Die Zeit von sauteuren Duftkerzen scheint vorüber. Dafür kommt man an einem Foto mit dem Buch von Lena Dunham nicht vorbei. Der von ihr formulierte Feminismus lässt sich ebenso hübsch tragen wie ein Trenchcoat von A.P.C.

Das Wettrüsten im Privaten hat längst begonnen. Man ertappt sich dabei, die neue Vase so auf den Tisch zu stellen, dass der Designer-Kerzenständer im richtigen Winkel steht, um auch noch den Print an der Wand richtig aufs Bild zu bekommen. Wenn man in einem Restaurant sitzt, das angesagt ist, macht man ein Bild vom Cocktailglas, und wenn man mit einer angesagten Person in einem Restaurant ist, das angesagt ist, macht man ein Bild Arm in Arm vor dem Toilettenspiegel. Natürlich vollkommen selbstironisch ruft dann jemand noch das passende Hashtag in den Raum.

Und man muss Einkaufstüten fotografieren. Und Sahnekuchen. Aber nur am Wochenende und nur, wenn Nike-Turnschuhe im Bild sind. Und man macht Selfies mit dem Boyfriend, während man ihn auf die Wange küsst, aber nur, wenn beide eine Sonnenbrille tragen. Gerade hat die Firma Ace & Tate ihre Modelle an Blogger verschenkt. Glücklicherweise sind die einigermaßen erschwinglich. Manche Menschen leben sehr gut davon, dass sie versuchen, andere Menschen mit ihrem Leben neidisch zu machen. Andere machen einfach nur mit. Wieder andere vergessen dadurch manchmal, dass ihr Leben total gut ist, auch wenn bei ihnen Zu Hause kein Ikea-Schafsfell auf einem Egon-Eiermann-Stuhl liegt.

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Quelle: WELT/ Christin Brauer

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