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Tarantino-Western "The Hateful 8" Spiel mir das Lied vom Hass

Gewaltiges Theater: Mit seinem grandiosen Western-Kammerspiel "The Hateful 8" wandelt sich Kultregisseur Quentin Tarantino vom Kino-Grobian zum politischen Filmemacher.
Tarantino-Western "The Hateful 8": Spiel mir das Lied vom Hass

Tarantino-Western "The Hateful 8": Spiel mir das Lied vom Hass

Foto: Universum

Es dauert sehr lange, bis Fans des Splatter-Freundes Quentin Tarantino in seinem neuen Film "The Hateful 8" auf ihre Kosten kommen.

Als es endlich so weit ist, fließt das zinnoberrote Kunstblut gleich in mächtigen Fontänen. Dreimal kotzt der hinterlistig vergiftete Kopfgeldjäger John "The Hangman" Ruth (Kurt Russell) seine sich auflösenden Eingeweide auf die Dielen von "Minnie's Haberdashery". Und zuletzt ergießt sich der Blutschwall noch mitten in das eh schon schwer misshandelte Gesicht seiner Gefangenen, der Gaunerbraut Daisy Domergue (Jennifer Jason Leigh).

Diese Szene der Entladung wirkt grotesk in ihrer Übertriebenheit. So demonstrativ und verschwenderisch lässt Tarantino das Blut spritzen, dass schnell klar wird: Derlei Plakativität, die ja viele seiner bisher acht Filme dominierte, ist nur noch Fingerübung. Als Herausforderung begreift der US-Filmemacher längst etwas anderes.

Auch um herauszufinden, was das ist, braucht der Zuschauer viel Geduld. Denn Tarantino, der Meister der effektvollen Poptrash-Collage, errichtet mit seinem Schnee-Western "The Hateful 8" ein ambitioniertes Konstrukt aus Dialogen und Dialektik, dessen Architektur zunächst sperrig wirkt.

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"The Hateful 8": Killerspiel im Kurzwarenladen

Foto: Universum

Schauplatz ist die verschneite Prärie von Wyoming nach Ende des Bürgerkriegs. Ruth, ein bäriger, an John-Wayne-Figuren erinnernder Mann aus den Bergen, reist in einer Postkutsche in die Stadt Red Rock, um Domergue verurteilen und aufknüpfen zu lassen. Unterwegs steigt der schwarze Ex-Nordstaaten-Offizier Warren (Samuel L. Jackson) zu; ebenfalls ein Kopfgeldjäger, der seine Beute aber lieber tot als lebendig abliefert - das erleichtere den Transport und erspare Scherereien. Mit Chris Mannix (Walton Goggins) gesellt sich ein Strauchdieb und früherer Südstaaten-Milizionär hinzu, der behauptet, der neue Sheriff von Red Rock zu sein.

Ein Schneesturm zwingt die Reisegruppe, in Minnies Kurzwarenladen Station zu machen. Überraschenderweise fehlt aber von der jovialen Wirtin und ihrem gutmütigen Mann, alte Bekannte von Warren und Ruth, jede Spur. Dafür hat es sich bereits eine andere Gruppe Gestrandeter gemütlich gemacht: Ein eleganter Brite (Tim Roth in einer Rolle, die offenbar einmal für Christoph Waltz vorgesehen war), der sich als Henker von Red Rock vorstellt, ein wortkarger Mexikaner namens Bob (Démian Bichir), der gleichmütig wirkende Cowboy Joe Gage (Michael Madsen) und ein greiser Konföderierten-General a.D. (Bruce Dern).

"Dafür, dass draußen ein Blizzard tobt, wandern ganz schön viele Leute durch die Gegend", sagt Ruth. Eine Atmosphäre des gegenseitigen Belauerns breitet sich in der warmen Hütte aus, nachdem die aus noch unbekannten Gründen defekte Tür mit Brettern vernagelt werden musste. Wer sind diese Fremden, die sich angeblich untereinander nicht kennen? Wer sind die Guten, wer die Bösen? Oder gibt es gar keine Guten?

Die Niedertracht in den Visagen

Nach Tarantinos "Inglourious Basterds": Spiel mir das Lied vom Apfelstrudel und Sklaverei-Western "Django Unchained": Tarantino, ziemlich zügellos ist "The Hateful 8" ein weiterer Tarantino-Film, der sich der Topoi des Westerns bedient - bei den Spaghetti-Opern von Leone und Corbucci wie bei den revisionistischen US-Produktionen der Nachkriegszeit, die das Genre als Folie nutzten, um gesellschaftliche Umbrüche abzubilden. Tarantinos Ansatz ist der einer monumentalen Moritat: Gefilmt wurde mit antiken Kameralinsen im 70-Millimeter-Breitwandformat, zu Beginn läuft ein kolossaler Soundtrack von Altmeister Ennio Morricone über eine zehnminütige Standbild-Ouvertüre.

Das kann man als Mätzchen und Manierismen abtun. Doch in Wahrheit ist diese Großspurigkeit die beste Pointe von "The Hateful 8". Statt die Panavision-Ästhetik für ausschweifende Panoramen zu nutzen, verengt Tarantino den Raum zum Großteil auf ein Kammerspiel.

Was er hingebungsvoll inszeniere, sei "die sich ständig verändernde Landschaft des menschlichen Gesichts", schrieb der Kritiker Anthony Lane im US-Magazin "New Yorker": Wozu lang und breit die Erhabenheit der Natur abfilmen, wenn die Niedertracht in den Visagen seiner Figuren viel aussagekräftiger ist? Das Ergebnis ist nichts Geringeres als ein großes Panorama: Die Versammlung von Archetypen in der "Haberdashery" wird zum Schmelztiegel, in dem Amerikas brutalistische Ursuppe köchelt, brodelt und gärt wie Minnies Eintopf über der Feuerstelle.

Erstmals stellt Tarantino das Theaterhafte, das seine Filme immer schon hatten, in den Vordergrund. Er führt den mit der Rachefantasie "Django Unchained" begonnenen Prozess fort, sich vom Genre-Verwurster und Kino-Grobian zum politischen Filmemacher zu wandeln. "The Hateful 8" blickt tiefer in die amerikanische Seele, muss aber auch die noch nicht abgeschlossene Entwicklung seines Regisseurs aushalten. Es ruckelt an so mancher Stelle, immer wieder droht der Balanceakt aus gewohntem Draufgängertum und neuer Lust am Drama zu scheitern.

Hier gibt es keine Helden

Doch es lohnt sich, diesem Spektakel bis zu seinem Ende zu folgen. Mit den oft langatmig mäandernden Wortgefechten in Minnies guter Stube, die alsbald in einen Süd- und einen Nordstaatensektor unterteilt ist, tastet sich Tarantino in die Abgründe von Rassismus, Hass und Willkür hinein, aus denen sich die heutige US-Gesellschaft mit ihren Brüchen und Härten geformt hat. Er wühlt mit Wonne darin herum.

Helden gibt es hier keine. "Hangman" Ruth ist nicht ohne Grund der erste, der sterben muss: Das Ideal, dem er seinen Spitznamen verdankt - nämlich seine Gefangenen trotz ihrer Abscheulichkeit einem fairen Prozess zuzuführen - ist zu zivilisatorisch für diese vormoderne Versammlung. Sein Bemühen um Gerechtigkeit schafft die Bühne für die komplexen Vorgänge des Films. Wenn er Daisy auf der Stelle abgeknallt hätte, hätte er sein Kopfgeld trotzdem kassiert - und ein bisschen länger überlebt. Aber das ist keine Geschichte, die sich zu erzählen lohnt.

Stattdessen fällt es Major Warren zu, den ganzen Schlamassel als Hercule-Poirot-Wiedergänger aufzuklären. Zu dieser ermittelnden und richterlichen Position kann er sich nur deshalb aufschwingen, weil er in Besitz eines persönlichen Briefes von Abraham Lincoln ist.

Ein filmischer Taschenspielertrick, der zum Leitmotiv wird: Der mythisch überhöhte US-Präsident, der den Bürgerkrieg beendete und die Sklaven befreite, verkörpert den amerikanischen Traum von Gleichheit, Gerechtigkeit, Liebe und Brüderlichkeit. Allein die Behauptung, im Besitz eines Dokuments mit der Unterschrift Lincolns zu sein, ermächtigt Warren, den einzigen Schwarzen unter den hasserfüllten Acht, sich aus dem Status des "Niggers" zu erheben. Nichts in diesem grandios vertrackten Film ist, was es zu sein scheint - und keiner das, was er zu sein vorgibt.

Der ominöse Lincoln-Brief wird am Ende, während die Kamera auf einem Grand Guignol aus geschundenen Körpern verharrt, in voller Länge aus dem Off vorgelesen. Lakonisch formuliert Tarantino damit seine Sehnsucht nach einem Amerika, das vielleicht doch noch die Matrix seiner Barbarei transzendieren kann.

The Hateful 8

USA 2015

Regie: Quentin Tarantino

Drehbuch: Quentin Tarantino

Darsteller: Samuel L. Jackson, Kurt Russell, Jennifer Jason Leigh, Tim Roth, Walton Goggins, Michael Madsen, Bruce Dern, Démian Bishir, Channing Tatum

Produktion: The Weinstein Company

Verleih: Universum/Disney

Länge: 169 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Start: 28. Januar 2016