Mikrobizid: Molekulare Pinzette greift HI-Viren in Samenflüssigkeit an

Ulm – Ein neuartiges Molekül, das bestimmte Aminosäuren buchstäblich wie eine Pinzette greift, kann die Spermienflüssigkeit von Fibrillen befreien, in denen sich HI-Viren und vermutlich auch andere sexuell übertragbare Erreger verbergen. Experimentelle Ergebnisse in eLife (2015; 4: e05397) zeigen außerdem, dass die molekulare Pinzette die Virushülle zerstört, was die bakterizide Wirkung verstärken könnte.
Alle bisherigen Versuche, Frauen durch ein Vaginalgel die Möglichkeit zu geben, sich bei unsicheren Sexualkontakten vor einer HIV-Infektion zu schützen, sind gescheitert. Die Vaginalgele konnten die Übertragung nicht verhindern, obwohl sie in hoher Konzentration antiretrovirale Wirkstoffe enthielten, die sich bei oraler Gabe als effektiv erwiesen haben.
Die Erklärung für das Versagen sieht Jan Münch vom Ulmer Institut für Molekulare Virologie in kleinen Fibrillen, die sich in der Samenflüssigkeit spontan aus Bruchstücken der prostataspezifischen sauren Phosphatase bilden. Diese „Klebestäbchen“ (Semen Enhancer of Virus Infection/SEVI) binden die Viren in großer Anzahl in einem feinen Netzwerk, wo sie gegen die antiretroviralen Substanzen der Mikrobizide abgeschirmt sind.
Eine Lösung des Problems könnte ein an der Universität Duisburg-Essen entwickeltes komplexes Protein bieten, das die Form einer ringförmigen Pinzette hat. Die beiden Greifer von CLR01, so die Bezeichnung des neuen Wirkstoffs, binden die Aminosäure Lysin und in schwächerem Maße auch die Aminosäure Arginin. Sie verhindern dadurch die Bildung von SEVI und können auch bereits existierende Fibrillen wieder auflösen. Zusätzlich bricht das Molekül CLR01 die Virenmembran auf, wodurch die Erreger ihre Infektiosität verlieren.
Diese Beobachtung, die Münch zusammen mit Forschern der Universität von Pennsylvania in Philadelphia gemacht hat, könnte bedeuten, dass CLR01 nicht nur HI-Viren, sondern auch andere sexuell übertragbare Erreger wie Herpes-Viren und das Hepatitis C-Virus in der männlichen Samenflüssigkeit vernichtet. Ein Mikrobizid auf der Basis von CLR01 könnte dann eine breite Schutzwirkung entfalten. Im Prinzip müsste das Mittel auch gegen Influenza- und Ebola-Viren wirksam sein, berichtet Münch.
Die Forscher hoffen jetzt auf klinische Tests, für die sich CLR01 (trotz seiner komplexen Molekülstruktur) einfach und kostengünstig synthetisieren lasse. Die bisherigen Experimente wurden nur im Labor durchgeführt, so dass unklar ist, ob das Mikrobizid in der klinischen Anwendung sicher und effektiv wäre. Das Molekül ist übrigens auch als potenzieller Wirkstoff gegen den Morbus Alzheimer in der Diskussion. Die degenerative Hirnerkrankung wird durch die Ablagerung von Amyloid-Komplexen im Gehirn ausgelöst, die sich im Labor ebenfalls durch CLR01 auflösen lassen.
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