Dan McClure (Foto: Adam Ward / <a target="_blank" href="http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/deed.de">CC BY-SA 2.0)</a></p>
Dan McClure (Foto: Adam Ward / CC BY-SA 2.0)

Was würde passieren, wenn es keine Läden mehr gäbe? Würden alle Produkte online verkauft werden? Wären die Straßen voller Lieferwagen? Eher unwahrscheinlich. Denn selten gehen Veränderungen so reibungslos über die Bühne. Dan McClure, Querdenker und Leiter des Bereiches Innovations-Design beim US-Software-Unternehmen ThoughtWorks, sucht für etailment nach Antworten auf die Frage, was passiert, wenn die Welt von Amazon Dash Buttons, smarten Kühlschränke und 3D-Druckern vollgestellt wird.

Die traditionellen Mauern rund um das Einzelhandelsgeschäft brechen ein und mit diesem Moment des Erwachens werden neue Möglichkeiten geschaffen. In Zeiten schwindender Marktdominanz physischer Läden und steigender Verlagerung in den Online-Bereich ergibt sich gerade in der Übergangsphase eine Lücke. Nun sind es nicht mehr nur Amazon und FedEx, die sich im Online-Handel von morgen platzieren können. Gerade kleine Unternehmen haben hier die Chance, die entstandene Lücke innovativ zu füllen und sich von der steigenden Macht der Großen zu emanzipieren. Unternehmen, die es schaffen, neue und innovative Möglichkeiten zu bieten, werden diejenigen sein, die sich am Ende durchsetzen können – in dieser noch nie dagewesenen Disruption des Einzelhandels.

Der Einkauf von morgen: Von Knöpfen, Kühlschränken und lokalen Landwirten

Der Amazon Dash Button ist nur ein Beispiel, wie das Internet der Dinge beginnt, Einzug in den Alltag zu nehmen. Der Dash Button ist ein kleiner Knopf, der direkt mit dem W-LAN verbunden ist. Konsumenten können ihn an einer beliebigen Stelle anbringen – genau dort, wo neue Haushaltsartikel am dringendsten benötigt werden. Man muss nur den Knopf drücken und der Kauf des geforderten Artikels geschieht automatisch. Vorbei sind die Zeiten langer Einkaufslisten mit Haushaltsartikeln.

Amazon Dash Button
Amazon Dash Button
Es braucht also in der Theorie nur einen einzigen Knopf, um die Läden verschwinden zu lassen. Das Internet der Dinge schafft eine immer intelligenter werdende, fast magische Welt rund um den Verbraucher. Technologische Feinheiten wie der Amazon Dash Button sind erst der Anfang. Die zuvor „dummen“ Geräte werden zu „smarten” Begleitern im Haushalt.

Und genau an dieser Stelle ergeben sich auch für die kleinen Marktteilnehmer interessante Möglichkeiten. Denn „smarte“ Kühlschränke können durch ihre ungehinderten Verbindungen zu einem Markt, der zunehmend mit der Cloud arbeitet, zu einer ganz neuen Form intelligenter Einkäufer werden. So steigt etwa die Beliebtheit frischer, regionaler Produkte. Doch ihr steht bisher noch allzu häufig die Alltagsroutine im Weg: Statt auf den Markt oder zum Erzeuger gehen Konsumenten aus Gewohnheit im Supermarkt einkaufen. Der vernetzte Kühlschrank aber hat die technischen Möglichkeiten und vor allem die Zeit, dieser Trägheit des Konsumenten entgegenzuwirken. Er kann eine Vielzahl neuer Kaufoptionen erschließen, durchsuchen und selbstständig die Kaufentscheidungen treffen.

Auf diese Weise kann der „smarte“ Kühlschrank beispielsweise einen lokalen Landwirt ausfindig machen, der just in diesem Moment frische Bio-Eier verkauft. Mikro-Zulieferer wie dieser Landwirt haben damit in einer Welt ohne Läden weitaus weniger Marktzutrittsschranken als zuvor. Sie müssen keine Schaufenster dekorieren. Ihr schwankendes Angebot ist nicht mehr Barriere für den überlebenswichtigen ökonomischen Erfolg. Nun können sie die vernetzten Edelstahl-Einkäufer aus der Küche auf ihre Seite holen und die Lieferketten zerschmettern, die bisher die Marktmacht der zentralisierten Einzelhandelsstellen ausmachten.

Die Lieferketten: Dönerbuden und ein Latte Macchiato to Go

Wissenschaftler und Ingenieure, die sich mit Transportnetzwerken innerhalb der Stadt auseinandersetzen, stoßen oft auf ein unerwartetes Phänomen: Den zeitlich größten Anteil der Fahrt zur Arbeit verbringen Arbeitnehmer auf den Nebenstraßen, die zur Autobahn führen. Während die Fahrt auf den großen Straßen schnell vorangeht, sind die letzten Kilometer ein echter Zeitfresser.

Analog dazu sind auch für den Einzelhandel die letzten Kilometer der Lieferung die Aufwendigsten. Ihre Lieferketten sind wie die Autobahnen der Arbeitnehmer und verbinden die Produktion mit den lokalen Läden. Die Einzelhändler haben die Verantwortung für die Wegstrecke des „letzten Kilometers“ vom Laden zum Konsumenten bisher erfolgreich an ihre Kunden abgegeben. Onlinehändler bieten zwar an, in Kooperation mit Zustellern wie DHL und UPS, gekaufte Waren direkt nach Hause zu bringen – doch auch diese Dienstleistungen muten stark wie Verlängerungen der eigenen Lieferketten an.

Auch in puncto Lieferung sind ganz andere Ansätze denkbar. Schnell wachsende Unternehmen wie Uber oder AirBnb sind ein Beweis dafür, dass es möglich ist, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, Dienste eines organisch gewachsenen Pools an kleinteiligen Anbietern in Anspruch zu nehmen. Angenommen, es gäbe keine Läden mehr – wie könnte man also die Lieferung zum Kunden effizient gestalten? Das ohnehin schon vielbeklagte Netz der Paketzusteller ist in einer solchen Situation schnell überlastet.

Jedoch gibt es Verkaufsstellen in unseren Städten, die besonders in der Phase der Transformation einen guten Grund haben, auf unserem täglichen Weg präsent zu sein. Es gibt allein 6000 Bars und Restaurants in Berlin, hinzu kommen zahllose Friseursalons, Wellnessoasen und Dönerbuden. Die typische Dönerbude etwa ist fest in den alltäglichen Verkehrsfluss der Konsumenten integriert und bietet sich, ein wenig mehr Lagerfläche vorausgesetzt, als Verteilerstelle bestens an. Sicherlich bringen einige Zusteller bereits gelegentlich Pakete in kleine Läden zur Abholung durch den Empfänger, das führt jedoch meist zu Frust des Endverbrauchers, welcher sich mit Öffnungszeiten und komplizierter Anfahrt herumschlagen muss. Händler, die es verstehen, hier neue Ansätze zu entwickeln, können sich nachhaltig beim Endverbraucher beliebt machen.

Gehen wir noch einen Schritt weiter und betrachten die Möglichkeiten, die die zunehmende Echtzeit-Vernetzung im Alltag der Konsumenten bietet. Wenn die Kaffeemaschine zu Hause feststellt, dass Sie zu spät dran sind (da sie heute keine Tasse Kaffee gekocht hat) und dann eine Warnung an Ihr Auto schickt (das bis oben hin mit intelligenter Technologie ausgestattet ist), dann könnte Ihr Auto sich mit Ihrem Fitnessarmband verbinden. Melden dessen Sensoren dem Auto Werte wie ein schleppender Puls und leicht gesenkte Körpertemperatur, könnte Ihr Auto sofort reagieren und sich mit dem nächsten Coffee Shop vernetzen. So kann Ihr Bedürfnis nach einem doppelten Latte Macchiato schon an der nächsten roten Ampel gestillt werden.

Die Produktion: Crowdsourced Pizza und maßgeschneiderte Knieprothesen

Während die Funktionen der Läden in den beschrieben Szenarien ausgelagert werden, könnte eine Gegenbewegung ebenso interessant aussehen. Inwieweit könnten Kunden in das Unternehmen hineingeholt werden, etwa bei der Gestaltung neuer Produkte und Dienstleistungen?

In Australien hat der Pizzalieferdienst Domino’s mit Pizza Mogul ein digitales Werkzeug entwickelt, das es jedem erlaubt, seine eigene Pizza zu gestalten. Die Aktion wird auf der Domino’s Webseite promotet –  so weit so gut. Doch man ging noch deutlich weiter: Jede von Kunden erstellte Pizza wird zum Kauf angeboten. Die Entwickler der Pizzen werden nicht nur zu Werbezwecken eingebunden, sondern auch am Gewinn jeder Eigenkreation beteiligt. So können die virtuellen Pizzabäcker tausende Dollar mit ihren Ideen verdienen. Anderes als bei den üblichen Crowdsourced-Kampagnen großer Unternehmen gewinnt hier nicht nur der Händler, der von den Ideen der Kunden profitiert, sondern beide Parteien.

Ein weiteres Beispiel: Die Modekette Zara hat es geschafft, die Kunst der Reproduktion von Mode im großen Stil zu meistern und damit zum größten Einzelhändler im Bereich Mode zu werden. Gerade diese Geschwindigkeit ermöglicht es, mit dem sich ständig wandelnden Markt Schritt zu halten und das Design basierend auf Kundenreaktionen anzupassen. Doch auch hier gibt es  Möglichkeiten für die Kleinen zu stören: Die Technologie des 3D-Drucks und ähnliche Verfahren befinden sich nach wie vor in den Anfängen. Aber sie sind in der Lage, auch solche schnellen, anpassungsfähigen Lieferketten wie die von Zara zu durchbrechen – und zwar mit personalisierten Produkten. Ein interessantes Beispiel sind persönlich angepasste Knieprothesen, wo die „image to implant“-Technologie es erlaubt, einen Scan direkt in ein genau angepasstes Körperteil zu übersetzen. Wenn es möglich wird, Jeans ebenso herzustellen wie diese Knieprothesen, dann wird die traditionelle Rolle der Läden bei Auswahl und Verfügbarmachung der Produkte ihre Relevanz verlieren.

Innovatives Denken ist der Schlüssel auf dem Weg zu einer Welt ohne Läden

Diese Beispiele zeigen: Auf dem Weg zu einer Welt ohne physische Läden gibt es gerade für kleinere Marktteilnehmer viele Möglichkeiten, sich in der zukünftigen Welt des Einzelhandels einen Platz zu schaffen. Wer aber versucht, an etabliertem Denken festzuhalten, wird kaum mehr als einen kleinen Wettbewerbsvorteil daraus gewinnen. Stattdessen ist die beste Hoffnung für einen nachhaltigen Weg in die Zukunft, nicht länger am physischen Ladengeschäft festzuhalten.