Ein dickes Buch beschreibt Menschen aus Gomaringen, die in der ganzen Welt ein besseres Leben suchten. Die Not war einstmals groß: Mit 14 oder 15 Jahren, nach der Schule und der Konfirmation, wurden viele Buben nach Amerika geschickt.

Gomaringen - Nur selten dürfte ein Heimatbuch einen aktuelleren Bezug gehabt haben: Auf 592 Seiten wird in dem Werk mit dem Titel „Das Glück in der Fremde gesucht“ die Geschichte der Auswanderer aus Gomaringen in der Zeit von 1679 bis 1957 beschrieben. Mit vielen Daten sind 1460 Einwohner – und dazu viele ihrer Nachfahren – dokumentiert, die den Ort im Kreis Tübingen verlassen haben, um in fernen Ländern ein besseres Leben zu finden. „Das passt zur aktuellen Situation“, betont Willi Kemmler, der Vorsitzende des Gomaringer Geschichts- und Altertumsvereins, der Herausgeber des Buches ist. „Jetzt kommen viele Menschen nach Deutschland, denen es in ihrer Heimat schlecht geht“. Die Deutschen seien gefragt, den Flüchtlingen Hilfestellung zu geben. Als vor drei Jahren mit der Arbeit an diesem Buch und einer Datenbank mit mittlerweile 20 000 Namen begonnen wurde, war keineswegs absehbar, dass Deutschland heute so viele Flüchtlinge aufnehmen würde.

 

Von Gomaringen in die Welt hinaus

Der Tübinger Kreisarchivar Wolfgang Sannwald kennt kein Projekt in ganz Baden-Württemberg, „in dem in solcher Dichte wie in Gomaringen biographische Informationen zu ehemaligen Ortsbewohnern zusammengetragen wurden“. Ein Ausgangspunkt war, dass die Kulturwissenschaftlerin Birgit Wallisser-Nuber bei der Konzeption von bisher fast 40 Ausstellungen seit 1999 im Gomaringer Schloss immer wieder auf das Thema Auswanderung gestoßen war. „Deshalb wollte ich eine Ausstellung machen über Gomaringer, die in die Welt hinaus gezogen sind“, sagt sie. Die Ausstellung wird am 29. Oktober von Innenminister Reinhold Gall (SPD) eröffnet werden. Die Recherche zu den Auswanderungen übernahm Beatrice Burst, die seit langem von dem Thema Ahnenforschung fasziniert ist. Birgit Wallisser-Nuber und Beatrice Burst haben das weit über die Ausstellung hinaus reichende Buch konzipiert. „Jeder, der aus einer der alteingesessenen Gomaringer Familien stammt, dürfte hier den Namen eines Verwandten finden“, sagt Burst, die dem Vorstand des Geschichts- und Altertumsvereins angehört.

US-Datenbanken waren besonders ergiebig

Laut Willi Kemmler hat sie in den vergangenen drei Jahren 30 bis 50 Wochenstunden in die Recherche und Aufarbeitung der Daten investiert. „Ehrenamtlich“, betont er. Viele Daten stammen aus Kirchenbüchern, aus in Gemeindearchiven aufbewahrten Inventuren und Teilungen, aus Auswandererakten oder auch amerikanischen Datenbanken. „Die waren besonders ergiebig“, sagt Beatrice Burst. Manche Lücke konnte geschlossen werden, weil sich bereits Nachkommen der Auswanderer bei ihr gemeldet haben.

75 Prozent der 1460 Gomaringer verließen den Ort mit dem Ziel Amerika, neun Prozent von ihnen übersiedelten in die Schweiz, acht Prozent in Länder des Ostens. 19 Menschen ließen sich in den Niederlanden nieder. „Vorwiegend als Bäcker“, ist dem Buch zu entnehmen.

Die Statistik der Ahnengalerie bietet in vielen Fällen nicht nur die Namen und Geburts- wie Todesjahres der Auswanderer, sondern auch die Daten vieler Nachkommen. Oft sind Ergänzungen angefügt bis hin zu Briefen, die diese Menschen in die Heimat geschrieben haben. „Lieber Bruder Martin! Endlich nach 2 Jahren sehe ich dein Handschrift auch wieder, freute mich herzlich, daß Du wieder eine Feder gefunden hast. .. nun ja, ich nehme an deine Tinte ist eingetrocknet..“, so beginnt ein Schreiben, mit dem innerhalb der Familie Rapp auf eine gewisse Nachlässigkeit im Informationsaustausch hingewiesen wurde. 53 Gomaringer mit Namen Rapp haben ihren Heimatort verlassen, viele lebten später in San Antonio, Texas.

Mit 14 oder 15 wurden viele Buben nach Amerika geschickt

Diese Daten wären lange nicht so eindrucksvoll, wenn sie nicht eingeordnet würden in das Leben der Menschen, die in Gomaringen keine Zukunft sahen. Als „fromm, obrigkeitshörig, kinderreich und arm“, beschreibt Willi Kemmler die Gomaringer der letzten Jahrhunderte. Die Realteilung bot vielen jungen Menschen keine Lebensgrundlage. „Mit 14 oder 15 Jahren, nach der Schule und der Konfirmation, wurden viele Buben nach Amerika geschickt“, sagt Birgit Wallisser-Nuber. Zu viele hungrige Menschen scharten sich um die Tische, erst recht nach Hungersnöten. Dazu erreichte die Industrialisierung Gomaringen spät. So kam es zu regelrechten Auswanderungswellen. Zwischen 1880 und 1889 verließen 282 Gomaringer ihre Heimat. Die Heimatverbundenheit blieb meist, viele Ehen wurden unter den Auswanderern geschlossen, dazu unterstützten diese ihre Familien in Deutschland mit finanziellen Zuwendungen und frühen „Care-Paketen“.

Die Gemeinde half bei besonders armen Familien bei der Finanzierung der Überfahrt. In anderen Fällen bürgte ein Familienmitglied in den USA für Neuankömmlinge. Sonst wäre die Einreise nicht gestattet gewesen. Marie Rilling und ihr Verlobter Julius Zeeb wollten 1923 auswandern. sie zerstritten sich aber vor der Abfahrt, die junge Frau reiste allein. Julius Zeeb wollte ihr nachreisen, doch im Gegensatz zu ihr fehlte ihm ein Bürge. Julius versuchte es über Brasilien, doch auch von dort aus blieb ihm die Einreise in die USA verwehrt.Enttäuscht und vollständig mittellos kehrte er nach Gomaringen zurück. Maries Mutter Katarina Pfeffer berichtete der Tochter von der Hartnäckigkeit ihres Verehrers. Die war offensichtlich beeindruckt. Mit einem Hochzeitskleid im Gepäck kehrte Marie nach Gomaringen zurück. Als Ehepaar und ohne bürokratische Hindernisse bestiegen sie am 24. August 1926 in Bremen gemeinsam die „Sierra Ventana“ in Richtung New York. So schließt sich ein Kreis: Dieses Hochzeitskleid wird bei der Ausstellung im Gomaringer Schloss zu sehen sein.