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Psychische Notlagen Brauche Therapie, warte Monate

Oft müssen gesetzlich Versicherte monatelang auf einen Platz für eine Psychotherapie warten - auch bei Krisen und Depressionen. Ein neues Gesetz soll das ändern: Wenigstens zu einer Sprechstunde soll jeder schnell kommen können. Reicht das?
Frau vor Grau: Lange Wartezeiten, auch bei ernsten Depressionen

Frau vor Grau: Lange Wartezeiten, auch bei ernsten Depressionen

Foto: Julian Stratenschulte/ dpa

Wer in Deutschland psychisch erkrankt oder eine Krise durchmacht, muss warten: Es vergehen im Schnitt drei Monate, bis gesetzlich Versicherte ein erstes Gespräch bei einem niedergelassenen Psychotherapeuten erhalten. Es gibt zu wenige Therapeuten, die eine Zulassung haben, um Kassenpatienten zu behandeln.

Die Bundesregierung hat darauf mit einer Gesetzesinitiative reagiert, vor wenigen Tagen ist das Gesetz zur Versorgungsstärkung (kurz: GKV-VSG ) in Kraft getreten. Ein Punkt darin: Um die Wartezeiten für eine psychotherapeutische Versorgung zu verringern, soll es künftig mehr Angebote für Gruppentherapien, ein simpleres Antragsverfahren sowie eine Psychotherapie-Sprechstunde geben. Letztere soll die Versorgung von akut belasteten Menschen in Notfällen ermöglichen.

Aber erreicht das neue Angebot auch genug Menschen?

Bis Ende Juni 2016 hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) Zeit, die Psychotherapie-Richtlinie  zu überarbeiten und festzulegen, wie genau die Sprechstunde aussehen soll. So könnte es ablaufen: Innerhalb weniger Tage erhalten gesetzlich Versicherte einen Termin bei einem Psychotherapeuten. Der klärt ab, welche Beschwerden vorliegen und berät den Patienten, ob eine herkömmliche Psychotherapie nötig ist und ob andere Maßnahmen die Zeit bis zum Therapiebeginn überbrücken können.

Warum man nicht bei jeder Krise eine Psychotherapie braucht

Psychotherapeuten können außer der regulären Therapie zudem kurze Interventionen und Krisengespräche anbieten, bei Bedarf zu Fachärzten oder in Kliniken überweisen und Selbsthilfeangebote vermitteln. Das kann von einer Adresse fürs Frauenhaus über Entspannungskurse bis hin zu Mediation am Arbeitsplatz reichen. Manchen Patienten hilft es auch schon zu wissen, was ihre psychische Krise ausgelöst hat, wie sie mit Symptomen im Alltag umgehen und was sie ändern können. Denn: Nicht immer bedarf es in Krisen einer Psychotherapie. Professionelle Hilfe wird trotzdem oft benötigt, denn schnelle Unterstützung kann dem Ausbruch einer Erkrankung vorbeugen.

Kurzzeitmaßnahmen und Gespräche können Psychotherapeuten zwar auch jetzt schon anbieten. Das lasse sich aber nur schlecht abrechnen, sagt Renate Schepker, Chefärztin am Zentrum für Psychiatrie Südwürttemberg und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft Kinder-und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Erstgespräche seien in den Abrechnungsregularien bislang relativ zum Aufwand schlecht vergütet. Auch kurzzeitige Therapiemaßnahmen seien verhältnismäßig aufwendig und daher weder rentabel noch konkret geregelt.

Warum es nicht mehr Behandlungsplätze gibt

Die Reform könnte es Psychotherapeuten nun erleichtern, Sprechstunden und Krisendienste einzuführen. Der Haken dabei ist: "Wer tatsächlich eine reguläre Psychotherapie benötigt, wartet weiterhin", sagt Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK). Denn nur das erste Gespräch finde früher statt, es würden mehr Patienten in gleicher Zeit gesehen, aber es entstünden nicht mehr Behandlungsplätze für reguläre Psychotherapien.

Und auch schneller wird es wohl nicht gehen: "Schon jetzt behandeln die Psychotherapeuten größtenteils so kurz wie möglich. Etwa 70 Prozent aller Psychotherapien sind Kurzzeitbehandlungen mit weniger als 25 Sitzungen", so Munz.

Auch der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) geht der Gesetzesvorschlag nicht weit genug. "Wir begrüßen die Überarbeitung der Psychotherapie-Richtlinie, aber sie betrifft nur einen kleinen Ausschnitt der ambulanten Versorgung", sagt Iris Hauth, Präsidentin der DGPPN. "Nur etwa jeder zehnte Patient mit einer Depression erhält eine ambulante Psychotherapie gemäß Richtlinie." Oft würden auch Hausärzte oder niedergelassene Psychiater die Betreuung übernehmen.

"Geschulte Hausärzte, Psychiater oder Psychosomatiker müssen besser honoriert werden für psychotherapeutische und psychosomatische Gespräche", sagt auch Johannes Kruse, Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Gießen/Marburg. Er verweist auf Einrichtungen, die bereits Anlaufstellen für psychisch akut belastete Menschen sind: Betroffene könnten sich jederzeit an Psychosomatische Hochschulambulanzen und Psychiatrie-Ambulanzen von Universitätskliniken wenden. Diese bieten in dringenden Fällen zeitnah einen Termin an.

"In Baden-Württemberg haben einige Krankenkassen spezielle Verträge mit Psychiatern, Psychotherapeuten und Neurologen ausgehandelt, die eine Akutversorgung von Versicherten begünstigen", berichtet Barbara Lubisch, Vorsitzende der Deutschen Psychotherapeuten-Vereinigung. "Dafür wurde der Bürokratie-Aufwand herabgesetzt oder bessere Vergütung für Kurzzeitbehandlungen sowie sprechstundenartige Konzepte eingeführt." Dieses niedrigschwellige Angebot werde bundesweit gebraucht. Ihre Hoffnung ist daher, dass das Versorgungsstärkungsgesetz nicht nur eine Papiernummer ist.


Zusammengefasst: Weil Menschen in psychischen Krisen derzeit zu lange auf einen Psychotherapieplatz warten müssen, soll es demnächst eine zusätzliche Sprechstunde und vereinfachte Antragsverfahren geben. Darüber könnten die Betroffenen an passende Hilfsangebote verwiesen werden. Weil der Mangel an Therapieplätzen aber bleibt, geht der Vorstoß vielen Psychiatern, Hausärzten und Psychotherapeuten nicht weit genug.

Zur Autorin
Foto: privat

Jana Hauschild ist Psychologin und arbeitet als freie Journalistin in Berlin.